Helga Torsten

Fürstenkinder Staffel 1 – Adelsroman


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bist zerfahren!« tadelte Dr. Harald Brockdorff. »Fühlst du dich nicht gut, kleines Mädchen?«

      Die stahlblauen Augen des Mannes schauten hinab zu Jasmine, die neben ihm am Tisch saß.

      Es hatte sich eingebürgert, daß der Mann allabendlich vorbeikam, wenn der Dienst im Krankenhaus beendet war.

      »Ich muß meiner kleinen Frau Doktor in spe doch beim Vorwärtskommen helfen!« lachte er.

      »F r a u Doktor?«

      Jasmine dehnte dieses Wort bis ins Unendliche. »Wer sagt dir, daß ich je eine F r a u Doktor werde?«

      »Meine Liebe!« lachte dann der große, siegesgewisse Harald Brockdorff, den nicht nur die Patientinnen, sondern auch die Krankenschwestern umschwärmten.

      »Ich habe Stoffel und Vronli versprochen, heute am Ballabend ihres Vaters ein wenig früher zu kommen«, erklärte Jasmine jetzt, während sie die eng beschriebenen Manuskriptseiten der geplanten Doktorarbeit zurückschob.

      »Stoffel! Vronli!« Der Mann lachte. Aber es war kein gutes Lachen.

      Jasmine erschrak plötzlich.

      Sie hatte noch niemals zuvor einen Mann so lachen hören, so ohne jede Wärme.

      »Harald!«

      Ihre kleine Hand legte den Kugelschreiber beiseite und fuhr zärtlich über Harald Brockdorffs Ärmel.

      »Du mußt das doch verstehen! Die Kinder, ich habe sie wirklich lieb!«

      »Fremde Kinder!« spottete der Mann. »Du verschwendest viel zu viele Gedanken an diese fremden Kinder.«

      Da lachte die kleine Jasmine plötzlich silberhell auf.

      »An eigene kann ich schließlich noch nicht denken!« erklärte ihre Stimme, die an die Melodie einer alten Spieldose erinnerte.

      »Aber sie werden kommen – eines Tages!«

      Harald Brockdorff verlor für Minuten etwas von seiner beherrschten Kälte.

      Mein Gott – das Mädchen neben ihm besaß nichts, war nichts, aber…

      Ich liebe die kleine Jasmine!

      Harald Brockdorff legte den Arm um Jasmine.

      »Du!« Seine Stimme gewann Leidenschaft. »Du, Jasmine. Du willst mir doch angehören?«

      »Für den Bruchteil einer Sekunde stand Jasmine das Bild eines anderen Mannes vor Augen, dieses Mannes, dem sie in der Oper beim Kinderweihnachtsmärchen gegenübergestanden hatte.

      Der hatte weiches dunkles Haar, mit einer kaum sichtbaren grauen Strähne an den Schläfen.

      Klug war er – und man konnte ihn nicht vergessen.

      Aber er schien wie ein unerreichbarer Stern!

      Ein Traum war Stoffels und Vronlis Vater, ein Vater, der sich gar nicht um seine Kinder kümmerte.

      Der ihr, der kleinen Tanzelevin, dem unbedeutenden Fräulein Dr. med in spe aber zum Vorweihnachtsball in seiner schloßähnlichen Villa eine Einladung geschickt hatte.

      Langsam, stufenweise glitt die kleine Jasmine wieder auf diese Erde zurück.

      »Harald!« flüsterte Jasmine. »Ich hab’ dich sehr lieb.«

      Der junge Arzt legte den Arm um die schmalen Schultern des Mädchens.

      »Jasmine! Willst du wirklich meine Frau werden?«

      Jasmine schaute in die tiefblauen Augen des Mannes.

      »Frag nicht so töricht!« erklärte sie dann.

      »Oder willst du etwa, daß ich ganz feierlich mein Ja sage? du weißt doch, daß ich dich liebhabe, Harald!«

      Einen Augenblick schlug das Herz des ehrgeizigen, nur auf sein Vorwärtskommen bedachten Harald Brockdorff stürmisch.

      Jasmine – süße kleine Jasmine! Ich liebe dich so sehr, wie ich noch keine Frau liebte. Aber es ist im Grunde sinnlos, dich zu lieben. Du versprichst keinen Aufstieg, keine Karriere für mich, Dinge, an die ich unaufhörlich denke.

      Zum erstenmal in meinem Leben denke ich jetzt an mein Gefühl, kleine bezaubernde Jasmine.

      »Harald!«

      Jasmines samtweiche zärtliche Hände streichelten plötzlich über des Mannes Antlitz. »Schau nicht so streng. Denk nur daran – heute abend… heute abend werden wir wunderbar tanzen. Oder glaubst du nicht, daß dieser Fürst Bassarow eine erstklassige Kapelle bestellt hat? Und – tanzt du gern einen Walzer, so einen richtigen Walzer, bei dem man über das Parkett fliegt…?«

      Der Arzt Brockdorff erwiderte nichts.

      Er ließ die kleine Jasmine plaudern und… träumen.

      »Ich freue mich schon auf unseren Walzer. Und mein Kleid – das hat die Kostümschneiderin von der großen Oper so ganz unter der Hand in den Werkstätten der Oper genäht!«

      Jasmine beugte ihr süßes Gesicht jetzt zu dem Mann hinab, der dachte, grübelte und sich keinem Gefühl verschenken mochte.

      Harald legte den Arm um das grazile Geschöpf. »Jasmine!« sagte er leise, fast zärtlich.

      Harald Brockdorff spürte den jungen zarten Körper des Mädchens neben sich.

      Jetzt müßte ich sie an mich reißen. Sie liebt mich! Seine Hände zogen sich zurück.

      Er umarmte die kleine Jasmine nicht.

      Ich darf noch nicht heiraten! sagte sein Verstand.

      Und ich müßte wohl heiraten, wenn dies süße, bezaubernde Geschöpf ein Kind von mir bekäme.

      Ja, das müßte ich.

      »Um zwanzig Uhr komme ich mit einer Taxe. Und ich denke, es wird ein schöner Abend werden.«

      Jasmine antwortete nicht.

      Vor das Bild des Mannes, den sie zu lieben glaubte, schob sich wie eine Vision das Bild des Mannes, der seine Kinder vernachlässigte, der genau wie Harald Brockdorff allein für seinen Beruf lebte und der doch…

      Aber irgend etwas ist anders an Michail Fürst Bassarow, dachte Jasmine. Ein nachdenklicher Ausdruck lag auf ihrem zarten Gesicht, als sie das Zimmer verließ.

      *

      »Papas Feste stehen immer in der Zeitung!«

      Vronli preßte die Nase gegen die Fensterscheibe des großen Kinderzimmers, dessen Sicht auf die breite Auffahrtstraße zu der Bassarowschen Villa führte.

      »Heutzutage steht von vielen Leuten etwas in der Zeitung!« knurrte Stoffel.

      Er knurrte heute überhaupt nur und war schlecht gelaunt. Sogar der Kater Julius hatte vorhin einen kleinen Fußtritt von seinem jungen Herrn hinnehmen müssen.

      Das war noch niemals passiert.

      »Herumtreiber!« schimpfte Stoffel. »Zwei Tage bist du weggewesen!«

      »Aber das war doch schon vergangene Woche!« ermahnte die friedfertige Vronli. »Man soll nicht nachtragend sein.«

      »Bin ich aber!« Stoffel bemühte sich gar nicht mehr, seine schlechte Laune zu verbergen, während er jetzt die vor dem Haus vorfahrenden Wagen zählte.

      »Du hast sicher Hunger!« Vronli gab es nicht auf, versöhnlich zu sein. »Zu Abend hast du gar nichts gegessen.«

      »Na und? Du hast ja auch kaum etwas gegessen.«

      »Hat aber niemand gemerkt!« behauptete die kleine Schwester, die ihr Harlekinchen fest an sich gepreßt hatte.

      Nein, es merkte niemand, daß die Kinder nichts gegessen hatten.

      Stoffel trat nach Julius. »He!«

      Der nahm diese ungewohnte Mißhandlung seinem jungen Herrn sehr übel und begann