Nicht an die Madonna auf Goldgrund, sondern an das Mädchen mit den dunklen Goldaugen, an das Mädchen, das Ihre Kinder lieben und das auch Stoffel und Vronli liebt.«
Jetzt räusperte sich der alte Herr. Seine Stimme klang ganz trocken: »Und das wahrscheinlich auch Sie selbst von Herzen liebt.«
»Mich?« Michail schaute auf wie sein Stoffel, wenn der Lehrer lateinische Vokabeln abhörte.
»Mich liebt Jasmine doch nicht! Sie liebt diesen… den Dr. Brockdorff!«
»Vielleicht früher einmal, wie junge Mädchen sich eben töricht verlieben können«, meinte Professor Ringling. »Dann aber hat Ihre Schneekönigin gedacht… na, sie hat auf den Klatsch gehört, der ja immer Sie mit meiner Tochter Charlotte zusammenbringen will, wovon in Wahrheit niemals die Rede sein kann. Von Charlottes Seite schon, aber wir beiden Männer, wir haben doch immer gewußt, daß auch das nur eine törichte Mädchenträumerei war.
Denn sie paßt nicht zu Ihnen. Und auch nicht zu Vronli und Stoffel und dem verflixten Kater Julius! Darüber waren wir beide uns doch wohl immer klar.«
»Ja.« Der andere nickte gedankenverloren.
»Aber wie… wo finde ich sie denn nun?«
»Na, die sind zunächst mal vor lauter Angst ausgerückt«, erklärte Professor Ringling bedächtig.
»Da soll es ja auch noch eine Geschichte mit nicht eben erfreulichen Schulzeugnissen geben. Das ganze Nest ist sitzengeblieben!«
»Sitzengeblieben? Meine Kinder? Aber die sind doch nicht dumm.« Michail von Bassarow hatte sich jetzt erhoben.
»Nein, dumm sind sie wohl nicht. Aber es fehlt ihnen eine liebevolle Hand, die mal ein bißchen nachhilft.«
»Mir fehlt sie eigentlich auch«, räumte da der berühmte Kunstexperte Michail Fürst von Bassarow ein.
Trotz seiner grauen Schläfen schien er jetzt unwahrscheinlich jung.
Seine Unruhe aber wuchs von Minute zu Minute.
»Ich werde sie finden, ganz gewiß. Und ich weiß auch schon, wo!«
»Dann alles Gute!« Professor Ringling verneigte sich leicht gegen den Freund. »Und ich, na, ich werde wohl kein Bett für Stoffel und Vronli freizuhalten brauchen. Ihre Krankheit heilt wohl am besten mein Fräulein Doktor in spe.«
*
Michail von Bassarow winkte Waschkewitz ab, als er am Steuer des vorgefahrenen Wagens sitzen blieb.
»Ich fahre selber«, erklärte er.
Und dann fuhr Michail von Bassarow die Straßen entlang, die er schon einmal gefahren war, damals, als er mit Jasmine von der Klinik Professor Ringlings zurückkam.
Damals hatte es geschneit in den Straßen, die zu Jasmines Wohnung führten.
Heute lachte die Sonne. Überall blühte es. Selbst in dem bescheidenen Streifen Vorgarten des großen Mietshauses, in dem Jasmine im Dachgeschoß wohnte, wiegten sich leuchtende goldgelbe Osterglocken und verströmten ihren starken Duft.
Auf all dies aber achtete der Mann nicht.
Er sprang aus dem Wagen, orientierte sich an den Namensschildern und jagte dann die Treppen hinauf, immer zwei Stufen auf einmal, genau wie sein Sohn Stoffel es zum Ärger von Frau Franzen zu tun pflegte. Und dann klingelte er ganz oben im fünften Stock.
Er keuchte ein wenig.
Aber er fühlte sich so jung wie noch niemals zuvor in seinem Leben.
Ich liebe! Ich liebe! Und ich darf hoffen, daß ich wiedergeliebt werde! Sein Blut sang und rauschte.
Ganz vorsichtig wurde die Tür geöffnet.
»Oh!« sagte Jasmine nur. Das klang nicht wie ein freudiger Empfang, sondern wie ein tiefes Erschrecken.
Sie hatte sich tatsächlich nach einer Taxifahrt mit den Kindern und dem Unheilstifter Julius in ihre kleine, bescheidene Wohnung geflüchtet, die eigentlich nur aus einem einzigen Raum bestand. Hinter einem Vorhang gab es eine winzige Küche und auch eine Dusche.
Stoffel und Vronli hatten sich hinter einer großen Standvase versteckt, Kater Julius zwischen sich.
Was würde jetzt geschehen?
Das Maß war wohl wahrhaftig voll. Davon war sogar der sonst für sich immer sehr optimistische Stoffel überzeugt.
Papa aber schalt nicht, wenn er auch noch so stürmisch ins Zimmer eingedrungen war.
Er schien auch weder die Kinder noch den grauen Kater zu sehen. Er hatte wohl überhaupt nur Augen für Jasmine.
Und wie er sie in die Arme zog!
Ob er böse mit ihr war?
Aber einen, dem man böse war, den küßte man doch nicht einfach so… so immerzu.
Einen anderen Ausdruck fand Stoffel nicht für seinen Vater.
»Du!« Michail von Bassarow preßte Jasmine so fest an sich, daß Stoffel nun doch aus seinem Versteck mahnend sagte: »Du zerbrichst sie ja, unsere Jasmine, Papa!«
»M e i n e Jasmine«, erklärte da Michail Fürst von Bassarow sehr laut und deutlich. Er schaute in die dunklen Augen des Mädchens, in denen plötzlich helle Goldfunken zu tanzen schienen.
»Oder… widersprichst du, Schneekönigin?«
Jasmine schwankte ein wenig.
»Aber… aber ich bin doch kein Bild. Und von Kunst verstehe ich überhaupt nicht viel!«
Da lachte der Mann und küßte den süßen jungen Mund noch einmal, aber nicht mit der Leidenschaft männlicher Forderung, sondern unsagbar innig und beinahe zärtlich behutsam.
»Ich will ja auch kein Bild mehr, kleine Jasmine, nur dich habe ich lieb, sehr lange schon.«
»Na, und wir schon viel länger!«
Jetzt wagten sich Stoffel und Vronli auch hinter der riesigen Vase mit den goldschimmernden Blüten hervor. »Wir haben Jasmine zuerst liebgehabt, Papa. Das kannst du glauben. Und überhaupt: Wer hat Jasmine nicht lieb?«
In diesem Augenblick drängte sich etwas Maunzendes, Warmes, Seidenfelliges an Jasmines rechten Fuß.
»Julius!«
»Der hat dich auch lieb«, behauptete Stoffel, aber mit etwas kleinlauterer Stimme.
Denn was wurde nun mit Julius?
Schließlich hatte er ein kostbares Gemälde zerstört, und Frau Franzen behauptete, Julius trage die Schuld an ihrem Sitzenbleiben in der Schule.
All das legte man Julius nun zur Last.
»Julius!« Wie aus einem Mund sprachen es plötzlich Jasmine und die beiden Kinder.
»Julius«, wiederholte der Mann, der des Katers Sündenregister kannte.
Aber seltsam: Papa sprach gar nicht böse.
Er beugte sich sogar zu dem wunderschönen Tier hinab und streichelte es.
»Darf… Julius bei uns bleiben?« fragte Vronli.
»Und ob! Er bekommt doppelte Portionen Hack von mir höchste eigenhändig serviert!«
Die Kinder schauten sich an.
Sie verstanden Papa nun wirklich nicht mehr. Kenne sich einer bei Erwachsenen aus!
»Ja, aber…«
Auch Jasmine wagte noch einmal ein Aber einzuwenden.
Da zog der Mann sie ganz fest in seine Arme, so, als wolle er sie niemals wieder loslassen.
»Jasmine, kleine Jasmine, weißt du überhaupt, weshalb ich das Bild der zerkratzten Madonna so geliebt habe, es nicht verkaufen wollte? Es ist ganz einfach dein Ebenbild! Doch nun brauche ich kein Abbild mehr von dir. Jetzt habe