Vorratsstätten nicht mehr lohnt. Das bedeutet aber, dass diese Vorräte rapide an Wert verlieren. Nach Schätzungen der Citibank könnten so bis zu 100 Billionen US-Dollar an Vermögenswerten in der fossilen Energieindustrie (stranded assets) vernichtet werden9. Wichtige Schlüsselindustrien haben damit begonnen, sich von der fossilen Energiewirtschaft zu entkoppeln. Diese könnte im perfekten Sturm zwischen einbrechenden Preisen für erneuerbare Energien, fallender Nachfrage nach Öl, und geopolitischem Streben nach Energiesicherheit vor dem Kollaps stehen. Die Analysten der englischen Zentralbank sagen daher eine Neubewertung der fossilen Industrie voraus. Die fossile Energiewirtschaft stößt also nicht nur an die ökologischen Grenzen des Planeten, sondern auch an die ökonomischen Grenzen ihres Geschäftsmodells.
Dennoch stößt die Energiewende immer wieder auf den Widerstand wichtiger Interessengruppen. Neben den fossilen Industrien gehören dazu auch all diejenigen, die sich um den Verlust von Arbeitsplätzen sorgen. Wirtschaftsliberale ziehen gegen Verbote und Regulierungen zu Felde. Von der Linken kommen Bedenken gegen die sozialen Auswirkungen höherer Energiepreise. Und gegen Windparks und Überlandleitungen demonstrieren sogar Umweltschützer.
Bislang ist es noch nicht gelungen, die Energiewende politisch so zu gestalten, dass auch Verlierer des Strukturwandels eine Zukunft darin sehen. Im Ergebnis muss daher jeder Fortschritt, wie etwa der Kohleausstieg, immer wieder mit zeitlichen Aufschüben erkauft werden. Im Kampf gegen den Klimawandel müsste die Energiewende aber eigentlich viel schneller als bisher vorangetrieben werden.
Aber selbst, wenn es gelingt, die Energiewende gegen den Widerstand der fossilen Kräfte umzusetzen, stellt sich die Frage, ob eine erneuerbare Ökonomie produktiver ist als eine fossile. Erneuerbare Energien sind zweifelsohne klimafreundlicher als fossile Brennstoffe. Geringere Energieentstehungs- und Grenzkosten sowie höhere Energieeffizienz tragen zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität bei. Andererseits sind höhere Energieeffizienz und geringere Energiekosten auch Anreize für einen höheren Energiekonsum (Reboundeffekt). Ob die Energiewende also mit Produktivitätssprüngen in derselben Größenordnung wie bei den letzten Industriellen Revolutionen einhergehen, ist offen.
Zweifelsohne haben die innovativen Produkte der Digitalwirtschaft neue Märkte erschlossen. Und selbstverständlich haben effizientere Vertriebsformen und Energiesysteme die Produktivität der Volkswirtschaften erhöht. Bisher haben allerdings weder die Digitalisierung noch die Energiewende eine Produktivitätsrevolution ausgelöst. Die Hoffnung, nach Jahren der Stagnation durch neue Produkte und höhere Produktivität einen neuen Wachstumszyklus auszulösen sind daher bislang nicht in Erfüllung gegangen.
Kapitel 2
Kostenreduzierung verschärft die Nachfragekrise
Trotz phänomenaler technologischer Fortschritte wächst die Produktivität nicht schnell genug. Ob sich die Hoffnungen, dass die Vierte Industrielle Revolution einen ähnlichen Wachstumsschub generieren könnte wie ihre Vorgänger, jemals bewahrheiten, steht in den Sternen.
Bis dahin gilt es, im immer härter werdenden globalen Wettbewerb um Marktanteile zu bestehen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, drücken die Unternehmen ihre Preise. Das setzt jedoch voraus, dass sie ihre Kosten verringern können.
Um die Arbeitskosten zu drücken, wurden die Gewerkschaften geschwächt oder zerschlagen. In den angelsächsischen Ländern, wo dieses Union Busting am weitesten fortgeschritten ist, sind die durchschnittlichen Reallöhne in den letzten 40 Jahren kaum gestiegen, während die Einkommen der Spitzenmanager sich verzehnfacht haben. Um die Herstellungskosten zu senken, wurden zudem im großen Stil Produktionsstätten in Länder mit billigen Arbeitskräften verlegt. Die Globalisierung der Arbeit übt indirekt Druck auf die Löhne in den alten Industrieländern aus. Die Furcht vor Arbeitsplatzverlusten treibt selbst progressive Volksvertreter in die Defensive. Auch in Deutschland haben Agendareformen und Lohnzurückhaltung die Reallöhne der unteren 40 Prozent der Arbeitnehmer gesenkt.
Die Strategie der Kostenreduzierung hat auch eine ideologische Dimension. Marktradikale sehen im Gemeinwohl nur Standortnachteile, in Löhnen nur Kosten und in Staaten nur erstickende Bürokratie. Der Wettbewerb mit den neuen Standorten in Osteuropa und Fernost lieferte den Marktradikalen den passenden Knüppel: Wenn wir unsere Anbieter nicht von allen Gemeinschaftsaufgaben entlasten, dann gehen sie – oder werden gefressen! Entsprechend munitioniert gingen neoliberale Reformer mit der Abrissbirne durch den staatlichen Regelungsrahmen.
Unter dem Schlachtruf der Standortsicherung wurden den Unternehmen ihre Beiträge zum Erhalt der Gesellschaft und der Umwelt erlassen. Steuern für die Reichen wurden gesenkt, Wohlfahrtsstaaten zurechtgestutzt, und die Risiken des Lebens – von Arbeitslosigkeit bis zu Krankheit – auf die Individuen abgewälzt. Begründet wurden die Kürzungsorgien mit den hohen Kosten für Gesundheitsversorgung und Renten in alternden Gesellschaften. Doch die eigentliche Motivation zeigte sich deutlich bei den Sozialtransfers im engeren Sinne. Umverteilt wurde fortan nicht mehr von oben nach unten, sondern von unten nach oben.
Die Reduzierung der Kosten macht zwar die Angebotsseite wettbewerbsfähiger, schwächt jedoch zugleich die Kaufkraft ihrer Kunden. Mit jeder Null- und Sparrunde vertiefte sich also das Nachfrageproblem, was die neoliberalen Strategen zu immer weiteren Kürzungen der Kosten anstachelte. In dieser Abwärtsspirale aus massivem Wettbewerbsdruck, sinkenden Löhnen, schrumpfender Kaufkraft und fallenden Preisen sind die entwickelten Volkswirtschaften bis heute gefangen.
Die digitale Automatisierung könnte diese Entwicklung weiter verschärfen. Kommt es tatsächlich zu technologischer Arbeitslosigkeit, wie das John Maynard Keynes befürchtet hatte, verschärft sich das Nachfrageproblem weiter. Ob der Welt tatsächlich die Arbeit ausgeht, oder ob die durch Roboter und Algorithmen ersetzten Arbeitsplätze an anderer Stelle neu entstehen, ist hoch umstritten. Die einen skizzieren düstere Zukunftsszenarien von einer Welt ohne Arbeit. Die anderen entgegnen, die Angst vor dem technologischen Fortschritt sei so alt wie dieser selbst. In der Vergangenheit hätten Automatisierungsschübe langfristig immer zu mehr Beschäftigung geführt. Ob weiter im großen Stil menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt wird, hänge weniger von den neuen technologischen Möglichkeiten ab, sondern eher von politischen und wirtschaftlichen Anreizstrukturen. Wo und wie viele neue Jobs entstehen, entscheide sich durch die Geld-, Steuer- Industrie-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Die entscheidenden Stellschrauben blieben demnach in menschlicher Hand. Die Wahrheit könnte in der Mitte liegen: Auch wenn die digitale Ökonomie auf lange Sicht neue Arbeit schaffen sollte, ist wohl kaum zu vermeiden, dass es in der Übergangszeit zu massiven Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten kommen kann. Und schon die Befürchtung, den Arbeitsplatz zu verlieren, wirkt sich hemmend auf die Konsumnachfrage aus.
Aber werden diese Stellschrauben zur Linderung der Nachfragekrise überhaupt genutzt? Um die Volkswirtschaften auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen, müsste die Nachfrage durch Umverteilung stabilisiert werden. Bislang lassen die Multimilliardäre jedoch keinerlei Willen erkennen, die Volkswirtschaften durch Vermögenseinbußen zu stabilisieren. Sämtliche Versuche, die Finanzmärkte zu regulieren, die Staatsfinanzen durch Vermögenssteuern zu konsolidieren oder die Reallöhne zu steigern, scheitern daher regelmäßig am Veto der Reichen und Mächtigen. Und der Rückbau der Sozialsysteme, die Steuergeschenke für die Reichen und die Zerschlagung der Gewerkschaften gehen unvermindert weiter. Ob eine Biden-Regierung einen Kurswechsel gegen den Willen der Superreichen durchsetzen kann und will, ist offen. Die Chancen dafür stehen denkbar schlecht. Die jahrzehntelange Unterdrückung der Nachfrage zur Stärkung der Angebotsseite hat zu einer beispiellosen Konzentration von Vermögen und Macht an der Spitze der Gesellschaft geführt. Die digitale Automatisierung ersetzt nun Arbeiter durch Maschinen, also Kapital. In der politischen Ökonomie des digitalen Kapitalismus verschieben sich also die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit weiter zuungunsten der Lohnabhängigen. Auch in Deutschland legt ein nüchterner Blick auf diese gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nahe, dass die politischen Schalthebel zur Stabilisierung der Nachfrage ungenutzt bleiben dürften. Die strukturelle Nachfragekrise des Kapitalismus dürfte sich also weiter verschärfen.
Kapitel 3
Die