Patricia Vandenberg

Sophienlust Box 17 – Familienroman


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Wäre das unkindliche Verhalten des kleinen Buben nicht so herzergreifend unnatürlich gewesen, hätte es fast lächerlich wirken können.

      Denise griff unwillkürlich nach ihres Mannes Hand, als der Chauffeur den Wagenschlag geschlossen und am Steuer des Rolls-Royce Platz genommen hatte. Es ist überstanden!, dachte sie erleichtert. Doch wie wird es mit dem Jungen werden?

      *

      »Ich brauche aber ein Zimmer für mich allein«, erklärte Bastian etwas später Frau Rennert. »Mein Vati sagt, dass man sich nichts gefallen lassen darf. Ich mag den anderen Jungen nicht leiden. Außerdem schläft Wiking im Bett in meinem Zimmer – in seinem eigenen Bett natürlich.«

      Frau Rennert kam aus dem Staunen nicht heraus. »Wie bitte? Ein Hund in einem richtigen Bett und dann noch in deinem Zimmer? Dies ist ein Kinderheim und kein Tierhotel, mein lieber Junge. Ein Tierheim haben wir in Bachenau bei Tante Andrea. Aber die Hunde haben dort ihre Körbchen und keine Betten wie Menschen. So etwas mögen Hunde nämlich gar nicht.«

      »Mein Hund mag es aber. Wiking war extra in einer Schule und hat alles gelernt, was ein feiner Hund können muss. Vati hat viel Geld dafür bezahlt. Wiking isst manierlich am Tisch, bellt nicht laut und stört überhaupt nie. Sie werden es schon sehen.«

      Frau Rennert legte dem Jungen die Hand auf die Schulter. »Du kannst mich Tante Ma nennen wie alle Kinder, Bastian. Aber die Sache mit deinem Hund müssen wir uns noch gründlich überlegen. Stell dir mal vor, jedes Kind würde einen Hund mit ins Schlaf- und Esszimmer bringen. Es wäre gar nicht auszudenken. Außerdem ist dein Wiking auch noch so riesengroß. Wenn er einmal richtig mit seinem Schwanz wedelt, wird er die Teller vom Tisch werfen oder sonst Schaden anrichten.«

      »Du, Tante Ma, so etwas gibt es wirklich«, ließ sich von der Tür her Pünktchen vernehmen. Sie hatte die Szene bis jetzt schweigend verfolgt. Die schwarz-weiße Dogge, um die es ging, hatte währenddessen artig und still auf dem Fußboden gesessen und der Schule, von der Bastian gesprochen hatte, alle Ehre gemacht. »Ich hab’ da mal was in einer Illustrierten gelesen«, fuhr Pünktchen, die eigentlich Angelina Dommin hieß und diesen lustigen Spitznamen den Sommersprossen auf ihrer Nase verdankte, fort. »Es gibt in Deutschland ein Hunde-Internat, ›Schule der feinen Hunde‹ oder so heißt es. Dort lernen die Hunde von verrückten reichen Leuten, wie man vornehm bellt, graziös das Pfötchen gibt und in Hotels artig am Tisch sitzt und vom Teller frisst. Auch wie man im Bett schläft und im Auto sitzt, ebensodass man nicht mit dem Schwanz wedelt, wenn man sich als Hund freut, und so weiter. Richtig spleenig ist es, kann ich dir sagen.«

      Bastian stampfte mit dem kleinen Fuß auf. »Mein Hund ist nicht spleenig. Du bist eklig, Pünktchen.« Aller guten Erziehung zum Trotz streckte er Pünktchen die Zunge heraus, was der wohldressierte Hund Wiking sicherlich nie getan hätte.

      »Also, Pünktchen, wenn das stimmt, haben wir zwar einen Wunderhund in Sophienlust, aber wir werden trotzdem nicht dulden, dass er bei Bastian im Zimmer schläft. Frau Dr. Frey würde uns mit Recht vorwerfen, dass wir die einfachsten Grundsätze der Hygiene missachten. Wir sind tierlieb in Sophienlust, aber wir lassen den Tieren ihren eigenen Schlafplatz. Deshalb werde ich für diesen Riesenköter einen Korb unten im Wintergarten aufstellen. Du kannst mal zu Justus laufen und fragen, ob er etwas Passendes hat. Und Bastian wird mit Fritzchen das Zim­mer teilen, ob es ihm nun passt oder nicht.«

      Bastian war anderer Meinung. Doch Frau Rennert – im Umgang mit Kindern sehr erfahren – setzte ihren Willen durch. Immerhin wurde bereits an diesem ersten Tag deutlich, dass man mit Bastian Schlüter einen schwierigen Neuling aufgenommen hatte, der Frau Rennert, Denise und allen anderen im Heim noch manche Nuss zu knacken geben würde.

      Schon beim Abendessen ergab sich das nächste Problem. Bastian erschien mit seinem Hund und nötigte das Tier auf einen Stuhl neben dem seinen. Alle waren so fasziniert, dass selbst Frau Rennert zunächst kein Verbot aussprach, sondern sich – genau wie die Kinderschar – auf die Zirkusvorführung freute.

      »Was isst denn dein Hund?«, fragte Angelika Langenbach spöttisch.

      »Eine Wurst oder ein Stück Fleisch. Habt ihr denn nichts für einen Hund in der Küche?« Hochnäsig, vermutlich so, wie sein Vater zu Hause mit den Dienstboten zu reden pflegte, stellte der Knirps diese Frage.

      Nick, der mit seinem Bruder aus lauter Neugier zum Abendessen in Sophienlust geblieben war, erbot sich, bei Magda in der Küche ein Hundegericht zu holen. Allerdings bestand die Köchin darauf, dass Wiking einen Emailleteller erhielt und nicht vom gleichen Geschirr wie die Kinder aß.

      Nun konnten die Kinder tatsächlich etwas Erstaunliches erleben. Sie wussten genau, dass jeder normale Hund sich sofort und gierig schmatzend auf sein Futter stürzte und es in wenigen Augenblicken verschlang. Nicht so Wiking. Er blieb angesichts der beiden prächtigen Schnitzel vollkommen ungerührt auf seinem Stuhl sitzen und wartete geduldig.

      Triumphierend blickte sich Bastian im Kreise um. Er genoss es sichtlich, im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen.

      »Seht ihr, Wiking ist ein besonderer Hund«, sagte er stolz. Dann nahm er sein Messer und schnitt in das Fleisch kleine Stücke. »So, Wiking, nun guten Appetit«, erklärte er.

      Jetzt begann die Dogge sehr manierlich Stückchen für Stückchen zu fressen. Es war kaum ein Laut zu hören dabei.

      »Der könnte im Fernsehen auftreten«, meinte Vicky. »Trotzdem kommt es mir albern vor, wenn ein Hund sich nicht wie ein richtiger Hund benimmt.«

      »Aber er darf immer mit am Tisch essen«, trumpfte Bastian auf.

      »Ich fürchte, das wird sich bei uns nicht einrichten lassen, Bastian«, erklärte Frau Rennert. »Alle Kinder, besonders die Kleinen, gucken nur noch auf den Hund. Wir kommen gar nicht zum Essen, und wenn wir das Tischgebet sprechen, gehört Wiking auf den Fußboden oder eigentlich gar nicht ins Speisezimmer.«

      Bastian zog einen Flunsch. Trotzdem ließ er sich Magdas Abendessen schmecken. Die Köchin hatte schon zu Lebzeiten Sophie von Wellentins auf Sophienlust gekocht, und ihre Küche erfreute sich bei allen Kindern der größten Beliebtheit. Auch bei Bastian fand sie Anklang. Es gab an diesem Abend Rührei mit Schinken und Bratkartoffeln, dazu einen bunten Salat.

      Wenig später musste Bastian mit den anderen kleineren Kindern schlafen gehen, obwohl er laut protestierte und behauptete, zu Hause habe er immer noch im Fernsehen die Tagesschau und manchmal auch einen Krimi ansehen dürfen. Vor neun oder halb zehn sei er nie zu Bett gegangen.

      »Du musst dich hier schon nach den anderen richten, Bastian«, erklärte Frau Rennert ungerührt. »Außerdem glaube ich, dass du bald nicht mehr so dünn und blass aussehen wirst, wenn du am Abend rechtzeitig ins Bett kommst.«

      Bastian versuchte noch einmal seinen Kopf durchzusetzen, aber Frau Rennert hatte den längeren Atem. Sie verfrachtete den aufsässigen Neuling schließlich ins Bett – den Hund dagegen im Wintergarten in einen Korb, der mit einer schönen weichen Decke ausgepolstert worden war. Auch eine Schale mit Wasser stellte sie für Wiking hin, denn man war äußerst tierlieb in Sophienlust. Es gab allerlei Tiere hier. Weder Frau Rennert noch Denise noch Nick hätten genau sagen können, wie viele Katzen, Hunde, Meerschweinchen, Zwerghasen und Kanarienvögel sich zu diesem Zeitpunkt in Sophienlust befanden. Aber ein Hund wie die Dogge Wiking war tatsächlich noch nie dagewesen.

      *

      »Also, den Jungen habe ich erst einmal gut untergebracht. Alexander von Schoenecker ist mit mir zur Schule gegangen. Honoriger Mann. Das Heim ist in einem schlossartigen Herrenhaus eingerichtet. Man kann nichts dagegen einwenden. Ich hoffe, dass Bastian dort in meinem Sinne erzogen wird, Hella.«

      Hella von Walden saß mit ihrem Freund Kurt Schlüter im teuersten Restaurant der Stadt. Soeben war Kaviar serviert worden. Als Nächstes sollte Räucherlachs folgen. Das ausgefallendste und anspruchsvollste Menü war dem Generaldirektor für seine vierundzwanzigjährige junge Freundin gerade gut genug. Er wollte sie verwöhnen und darüber hinwegtrösten, dass es mit der Hochzeit noch ein bisschen dauern musste. Denn bisher hatte sich Angela zu seinem Leidwesen der Scheidung widersetzt.

      »Dann können wir also reisen,