Patricia Vandenberg

Sophienlust Box 17 – Familienroman


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war schon seit vielen Jahren verwitwet – erschien und brachte wie jeden Tag ein Tablett mit Tee und belegten Broten. Angela füllte die Tassen. Dieser Abschluss des Arbeitstages war nun schon zur Tradition geworden, ehe sie in ihr bescheiden möbliertes Zimmer zurückkehrte. Sie tat die Arbeit bei dem Professor ausgesprochen gern. Zwischen dem weißhaarigen alten Herrn, der an einem wissenschaftlichen Werk arbeitete, und ihr, hatte sich eine Art Vater-Tochter-Verhältnis entwickelt.

      »Nun, Frau Angela, wollen wir heute noch einmal über Ihr Problem sprechen, oder ist Ihnen nicht danach zumute?«, fragte der Professor, nachdem die Haushälterin wieder gegangen war.

      »Doch, ich bin Ihnen dankbar, Herr Professor. Sie sind der einzige Mensch, bei dem ich mich aussprechen kann. Manchmal kommt mir alles wie ein böser Traum vor.«

      »Trotzdem glaube ich nicht, dass es viel Sinn hat, wenn Sie sich weiterhin der Scheidung widersetzen. Ihr Mann wird alle rechtlichen Mittel ausschöpfen und am Ende behaupten, dass Sie aus eigenem Antrieb weggegangen seien.«

      »Aber er hat mich fortgeschickt, Herr Professor. Er kann doch nicht die Tatsachen auf den Kopf stellen.«

      »Wenn jemand eine Scheidung erzwingen will, ist ihm leider jedes Mittel recht, liebes Kind. Er wird behaupten, Sie hätten ihn verlassen, und daraus lässt sich ziemlich leicht ein Scheidungsgrund konstruieren, bei dem er sogar Ihnen die Schuld in die Schuhe schieben kann. Da er Wert auf sein sogenanntes gesellschaftliches Ansehen legt, wird ihm das besonders willkommen sein. Also ist es besser, Sie gehen auf seine Forderungen ein und retten wenigstens eine ordentliche Abfindung für sich.«

      Angela Schlüter machte eine müde Handbewegung. »Das Geld ist mir schrecklich gleichgültig, Herr Professor. Ich kann für mich immer genug verdienen. Millionen anderer Frauen müssen das auch. Das Geld hat unsere Ehe zerstört. Ich hasse es.«

      »Trotzdem sollten Sie nicht auf das verzichten, was Ihnen zusteht, liebe Frau Angela. Sie könnten auch einmal krank werden und das Geld benötigen. Außerdem steht Ihnen nach dem Gesetz ungefähr die Hälfte des Vermögens Ihres Mannes bei einer Scheidung zu, denn alles ist ja erst im Laufe Ihrer Ehe, und zwar mit Ihrer Hilfe, erworben worden.«

      »Wenn ich den Jungen bekäme, würde ich auf alles verzichten«, seufzte Angela. »Ich weiß jetzt nicht einmal, wo er sich aufhält. Kurt hat mir mitgeteilt, dass Bastian in einem Heim oder Internat sei, wo er standesgemäß erzogen würde. Aber er ist doch erst fünf Jahre alt und braucht in erster Linie Liebe. Früher waren wir glücklich mit unserem Kleinen, der uns erst nach so langen Jahren geschenkt wurde. Kurt war außer sich vor Stolz über seinen Stammhalter. Jetzt aber ist alles anders geworden, und aus Bastian soll ein kleiner Generaldirektor gemacht werden, noch ehe er lesen und schreiben kann. Es ist eine Tragödie, wenn man als Mutter nichts gegen so viel Unverstand und Grausamkeit unternehmen kann. Schon aus diesem Grund bin ich froh, dass ich arbeiten muss und keine Zeit zum Nachdenken finde, Herr Professor.«

      Professor Fabricius schob ihr den Teller mit den leckeren Broten hin. »Essen Sie erst einmal ein bisschen. Ich denke, Sie sollten sich den besten Anwalt nehmen. Ich habe mich erkundigt und empfehle Ihnen Dr. Immerling. Er ist ein Experte auf dem traurigen Gebiet der Ehescheidungen und wird bestimmt dafür sorgen, dass Sie zu Ihrem Recht kommen.«

      »Trotzdem wird Kurt erzwingen, dass er den Jungen behält und ich ihn höchstens einmal im Monat zu sehen bekomme. Sie kennen meinen Mann nicht, Herr Professor. Wenn er etwas durchsetzen will, erreicht er es auch gegen den besten Rechtsanwalt der Welt.«

      Unendliche Mutlosigkeit und Resignation sprachen aus den Worten der unglücklichen Frau.

      »Aber wenn es so bleibt wie jetzt, werden Sie den Jungen auch nicht wiedersehen«, entgegnete Professor Fabricius sanft. »Im Gegenteil. Sie setzen sich ins Unrecht. Besprechen Sie Ihren Fall doch einmal ausführlich mit Dr. Immerling. Er kann dann einen Brief an Ihren Mann aufsetzen. Möglicherweise lässt sich am Ende doch erreichen, dass Sie das Kind bekommen. Sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Es ist Ihr Mann, der auf die Scheidung drängt.«

      Angela seufzte. »Ich bin ziemlich am Ende. Auf die Dauer wird man ganz einfach zermürbt und fügt sich. Sie meinen also, dass ich Hoffnung hätte, Bastian für mich zu bekommen?« Ihre hellen Augen leuchteten sehnsüchtig auf. »Bastian ist ein liebes Kind. Ich fürchte, er ist schrecklich unglücklich und kann sich gar nicht erklären, wo seine Mutter geblieben ist. Ich weiß nicht einmal, was mein Mann ihm gesagt hat. Es ist eine schlimme Situation, in der ich mich befinde.«

      »Die juristische Seite muss Dr. Immerling mit Ihnen klären. Die menschliche wäre, dass wir alles versuchen, um Ihnen Ihr Recht zu verschaffen und dem Kind die Mutter wiederzugeben. Liebe ist für ein Kind immer wichtiger als Geld und ein schönes Haus oder ein kostspieliges Internat.«

      Angela rannen Tränen über die Wangen.

      »Nicht weinen, Frau Angela, es kommt schon irgendwie in Ordnung – aber sicherlich nicht, wenn Sie den Kopf in den Sand stecken und gar nichts unternehmen.«

      Angela Schlüter trank einen Schluck Tee und beruhigte sich etwas. »Sie haben sicherlich recht, Herr Professor. Ich werde mir die Adresse von Herrn Dr. Immerling notieren.«

      »Nein, nein, wir rufen ihn gleich an und vereinbaren einen Termin. Verstehen Sie mich recht, Frau Angela. Ich will Sie nicht zur Scheidung drängen. ich bin ein alter Mann und meine wie Sie, dass der Mensch das, was Gott zusammengefügt hat, nicht scheiden sollte. Aber irgendetwas müssen Sie jetzt unternehmen, sonst kommt Ihr Mann zum Ziel, ohne dass Sie sich in irgendeiner Weise dagegen zur Wehr setzen können.«

      Angela ließ den Professor, von dem sie wusste, dass er es aufrichtig mit ihr meinte, gewähren. Er hatte sich die Telefonnummer und Adresse von Dr. Immerling notiert und wählte die Nummer sofort. Wenig später war der Termin vereinbart. Noch am gleichen Abend nach sechs Uhr sollte Angela den Anwalt aufsuchen. Er wollte in der Kanzlei auf sie warten.

      »Danke, Herr Professor«, flüsterte Angela Schlüter. »Dann werde ich jetzt rasch nach Hause fahren, um die Briefe meines Mannes herauszusuchen, die er mir in dieser Angelegenheit geschrieben hat. Ich nehme an, dass der Anwalt die Unterlagen benötigen wird.«

      »Sehr vernünftig, Frau Angela. Ich sehe, Sie nehmen die Sache jetzt entschlossen in die Hand. Morgen müssen Sie mir erzählen, was Dr. Immerling gesagt hat.«

      »Natürlich, Herr Professor.« Angela leerte ihre Tasse und stand auf.

      »Viel Glück, mein gutes Kind. Wenn Sie sich mit Dr. Immerling beraten, brauchen Sie nicht gleich einen Entschluss zu fassen. Lassen Sie sich Zeit.«

      »Ja, Herr Professor.«

      Angela verließ das schöne alte Patrizierhaus des Professors und fuhr mit dem Bus nach Hause, um die Briefe ihres Mannes, um derentwillen sie schon viele Tränen vergossen hatte, herauszusuchen, und sich auf den Weg in die Rechtsanwaltskanzlei zu machen.

      War dies der Anfang vom Ende? Gab es keinen Weg mehr zur Versöhnung zwischen Kurt und ihr? Würde sie ihren süßen kleinen Bastian für immer verlieren?

      Angela Schlüter wusste genau, dass ihr Mann die junge, schöne Hella von Walden heiraten wollte. Sie wusste auch, dass er Bastian um jeden Preis behalten und zu einem Jungen genau nach seinen Idealen formen wollte. Würde der Anwalt in der Lage sein, sich gegen die eiserne Härte ihres Mannes durchzusetzen?

      Angela Schlüter war so verzweifelt und zermürbt, dass sie wenig Hoffnung hatte. Trotzdem ging sie den Weg, den der wohlmeinende Professor ihr gewiesen hatte.

      Kurt hat mich verstoßen, dachte sie, er liebt mich nicht mehr. Es ist sicher das Beste, wenn ich in die Scheidung einwillige. Es ist das Letzte, das ich noch für ihn tun kann. Vielleicht hat er dann wenigstens ein Einsehen und lässt mich meinen süßen kleinen Jungen ab und zu sehen.

      Zugleich ahnte und fürchtete Angela, dass ihr Mann Bastian so erziehen wollte, dass er mit einer einfachen Frau, wie sie es geblieben war, nichts mehr zu tun haben wollte. Er sollte ein stolzer kleiner Prinz werden, dem Geld mehr galt als Mutterliebe. Das war Kurts Ziel.

      Das Gespräch mit dem Rechtsanwalt dauerte sehr lange. Als Folge davon schrieb Dr.