»Sie ist aber doch ein kluges Mädchen.«
»Aber auch naiv, anfällig für materielle Vorteile. Allerdings hat sie sich auch bereit erklärt, die Schule zu verlassen und eine Stellung anzunehmen. Das kommt aber nicht infrage.«
»Ich bin ganz deiner Meinung, Lori. Und ich sage es noch mal, seht nicht zu schwarz.«
»Schön wäre es aber schon, einen Lichtblick zu sehen.«
»Es kommt, Lori, hab’ Vertrauen. Verlass dich doch ein bisschen auf mich«, sagte er beschwörend, und dann griff er nach ihren Händen. Ihr wurde es warm ums Herz, und als sie ihn anblickte, wurde sie sich zum ersten Mal genau bewusst, dass sie ihn liebte. Es musste wohl aus ihrem Blick zu lesen sein. Ein zärtliches Lächeln legte sich um Jörgs Mund. »Wir schaffen es, Lori, vertrau mir.«
Sie wollte ihm ja vertrauen, sie wollte hoffen. Sie klammerte sich an ihm, an ihren einzigen Halt, den sie jetzt hatte in dieser Not, mit all den Zweifeln, die sie quälten.
Sie küssten sich so innig wie nie zuvor, als sie sich trennten an diesem Abend, und als Jörg allein durch die Nacht fuhr, waren seine Gedanken noch bei Lori, seiner ersten und einzigen Liebe. Doch jäh schrak er zusammen. Ohne daran zu denken, war er in die Nähe von Fritz Kienbaums Haus gekommen, und da sah er etwas, was ihn sofort hellwach werden ließ. Seppi, das Dammerl, schlurfte die Straße entlang, nicht zu Kienbaums Haus hin, sondern von diesem fort. Er fuhr langsam und er hatte den Gedanken, Seppi anzusprechen, aber diesen ließ er schnell fallen, als er bemerkte, dass Kienbaum sein Haus verließ und zu seinem Wagen ging. Rasch fuhr Jörg in eine Seitenstraße, und als Kienbaum dann in der gleichen Richtung fuhr, wie Seppi ging, folgte er dem Wagen wie unter einem Zwang.
Dann aber begann sein Herz schneller zu schlagen, denn der alte Volkswagen, der jetzt beim Seppi an der Kreuzung hielt, gehörte Bobby. Jörg kannte ihn genau.
Seltsam mutete es ihn an, dass Kienbaum nun Gas gab und schnell vorbeifuhr, obgleich er doch offensichtlich Seppi im Auge behalten hatte. Er selbst hielt an. Ihm war es egal, ob Bobby seinen Wagen erkennen würde. Aber der war ausgestiegen und redete auf Seppi ein, der darauf mit den Armen fuchtelte und abwehrende Bewegungen machte.
Dann aber stieß Seppi Bobby zurück, als dieser seinen Arm ergriff, schlug einen Haken und lief torkelnd von dannen. Bobby stieg in seinen Wagen, doch bevor er losfahren konnte, hatte Jörg ihn schon erreicht.
»Was machst du hier?«, fragte Bobby betroffen, als Jörg auf ihn zukam.
»Eigentlich nichts. Ich habe nur zufällig Seppi gesehen und dann Kienbaum, der in seinen Wagen stieg und Seppi folgte. Ich bin ihm nachgefahren.«
»Und ich war bei Seppis Mutter, aber die redet ja genauso konfus wie Seppi auch. Alles, was recht ist, Jörg, aber solche Frauen dürften wirklich keine Kinder kriegen. Man sieht ja, was dabei herauskommt.«
»Seppi ist doch nicht gemeingefährlich«, sagte Jörg einlenkend.
»Aber er kann sehr aggressiv werden.«
»Ich frage mich, was er mit Kienbaum zu schaffen hat«, meinte Jörg.
»Vielleicht hat der ihm auch angeboten, für ihn zu arbeiten. Annelore hat er doch auch schon eine Stellung angeboten.«
»Davon hat sie mir gar nichts gesagt.«
»Es kommt für sie sowieso nicht infrage. Aber mich würde es auch interessieren, was für eine Rolle Kienbaum spielt. Ich will dich nicht erschrecken Jörg, aber er ist hinter Anne her, so viel ist mir klar.«
»Er soll sie ja nicht anrühren, sonst bekommt er es mit mir zu tun«, sagte Jörg grimmig.
»Da würde sie sich schon wehren, aber er ist tückisch. Er versucht es hintenrum.«
»Hast du etwas herausgebracht aus Seppi?«
»Er redet immer dasselbe. Alles hin, alles hin, aber nun wird alles gut. Jedenfalls hat er Letzteres eben hinzugefügt. Seppi hilft, dass alles gut wird.«
»Und warum ist er jetzt davongelaufen?«, fragte Jörg.
»Ich habe ihn gefragt, ob er jemanden gesehen hätte, der das Feuer möglicherweise gelegt haben könnte. Er sagte, dass er niemand gesehen hat. Er hätte Angst.«
»Sag es genau, Bobby«, drängte Jörg.
»Wie genau, was meinst du?«
»Was Seppi sagte. Wie du gefragt hast.«
»Ich habe gesagt, dass er doch noch da gewesen wäre, und er könnte doch jemanden Fremden gesehen haben. Hilf mir doch, Seppi, habe ich gesagt. Ja, genauso. Und da hat er erwidert, dass niemand da gewesen sei und er hätte gerade heimgehen wollen, als es zu brennen begann. Du weißt doch, wie er redet, du kennst doch sein Gestammel. Wollte gehen, da brennt es, und wie, aber es wird wieder gut, alles wird wieder gut.«
»Du hast mit seiner Mutter gesprochen?«
»So weit das möglich ist.«
»Und was sagt sie?«
»Dass Seppi Angst hat vor dem Feuer, dass er große Angst hatte, dass wir verbrennen und nicht mehr ruhig schlafen kann. Und gejammert hat sie, wer ihm jetzt Arbeit geben könnte.«
»Kienbaum vielleicht?«, fragte Jörg.
»Der? Meine Güte, so ein Menschenfreund ist der nicht.« Er sah Jörg nachdenklich an. »Was denkst du?«
»Ich weiß noch nichts, aber ich werde schon dahinterkommen. Kienbaum spielt eine undurchsichtige Rolle. Hoffentlich macht euer Vater nicht den Fehler, ihm zu sehr zu vertrauen, Bobby.«
Bobby seufzte schwer. »In manchen Dingen ist er unansprechbar, Jörg. Ich komme mir oft richtig blöd vor, wenn ich da schon mehr Durchblick habe, als er, aber in seinen Augen bin ich ja noch ein halbes Kind.«
»Dann warne ihn wenigstens, Bobby. Augenblicklich kannst du wohl nicht mehr tun.«
»Ich frage mich nur, woher Hilfe kommen sollte«, sagte Bobby bekümmert.
»Manchmal schickt sie tatsächlich der Himmel.« Jörg legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du bist ein ganz pfundiger Bursche, Bobby, und schon ein richtiger Mann. Halt die Ohren steif, und wenn du Hilfe brauchst, ruf mich an.«
»Ist es zwischen dir und Annelore ernst?«, fragte Bobby verlegen.
»Von mir aus wäre sie schon bald meine Frau. Ich hoffe, dass sie ja sagt.«
»Mich würde es sehr freuen, wirklich, Jörg.« Und nun konnte Bobby sogar ein bisschen lächeln.
*
Zwei Tage vergingen, ohne dass etwas Besonderes geschah. Im Sägewerk waren noch die Brandfahnder am Werk, aber sie ließen nicht verlauten, wie weit ihre Ermittlungen gediehen waren.
Seppi ließ sich nicht blicken, und so schickte Bobby diesmal Kaspar zu Frau Mösler. Sie lebte mit ihrem geistig zurückgebliebenen Sohn in einem Austragshäusel. Der kleine Bauernhof, der mal ihren Eltern gehört hatte, war schon lange verfallen. Für ein Butterbrot, wie man so sagte, war vor Jahren das Stückl Land verkauft worden, damit sie wohnen bleiben konnten. Man war froh, dass sie nicht der Staatskasse zur Last fielen und billigte ihnen sozusagen Narrenfreiheit zu, obgleich das schäbige kleine Gebäude manchem auch ein Dorn im Auge war. Erna Mösler war mal ein ganz hübsches Mädchen gewesen, wenn auch sehr einfältig, und so war sie schnell zu einem Kind gekommen, aber so schnell war dann auch der Vater des Kindes wieder auf und davon, wurde gesagt, und dann hatte sie ganz zu den Außenseitern gehört.
Zuerst war Seppi ein ganz normales Kind gewesen und ein kräftiger Bub dazu, aber dann war er auf dem Schulweg in ein Auto gelaufen, und seither hatte er sich geistig kaum noch weiterentwickelt. Aber anstellig war er, und die Marls hatten sich seiner angenommen.
Bei manchen Arbeiten zeigte er sich sogar ganz anstellig und er verdiente auch so viel, dass er und seine Mutter keinen Hunger leiden mussten. Was man Seppi sagte, merkte er sich auch.
Als Kaspar kam, wurde er