Menschen zu viel gehalten«, sagte Annelore leise.
»Ich bin realistischer, Kleines. Nichts gegen deinen Vater. Er ist ein ehrenwerter Mann, aber dieser harten Konkurrenz, die wir jetzt haben, nicht gewachsen. Sei mir nicht böse, wenn ich das sage, aber einen Familienbetrieb kann man heute eben nur halten, wenn viel Kapital dahintersteht.«
»Wir hatten viel Pech, Jörg«, flüsterte sie.
»Das weiß ich.«
Sie waren nun am Ziel. Die Feuerwehr war immer noch am Werk. Scheinwerfer beleuchteten die Unglücksstelle. Es sah gespenstisch aus. Das Wohnhaus war hell erleuchtet. Seppi schlich dort herum. Als er Annelore und Jörg sah, zuckte er zusammen.
»Alles hin, alles hin«, murmelte er. »Kann nichts mehr tun.«
»Geh nach Hause, Seppi«, sagte Annelore müde. »Und du fährst jetzt auch heim, Jörg. Ich muss mich um Marilli kümmern.«
»Ich komme morgen Abend vorbei, Lori. Versuch zu schlafen.«
Daraus wurde allerdings nicht viel. Marilli saß mit verweintem Gesicht in der Küche bei Burgl und Kaspar, die völlig versteinert wirkten.
»Wenn nur der Herr wieder gesund wird und es der Frau nicht schadet«, murmelte Burgl.
»Mama darf es nicht erfahren«, sagte Annelore leise. »Es geht ihr nicht gut.«
»Alles kommt zusammen«, flüsterte Marilli. »Was ist mit Papa?«
»Er ist gut versorgt. Bobby bleibt noch bei ihm«, erwiderte Annelore. »Morgen werden wir weitersehen. Irgendwie muss es weitergehen.«
»Der Teufel steckt dahinter«, brummte Kaspar.
*
Wer kann es getan haben, überlegte Bobby, als er am Bett seines Vaters saß. Aber alles Grübeln nutzte nichts, es machte ihn nur noch müder, und dann fielen ihm auch schon die Augen zu. Dr. Behnisch sorgte dafür, dass er auf ein Notbett gelegt wurde. Bobby merkte davon nichts mehr. Er schlief den Schlaf tiefster Erschöpfung.
Dr. Norden stärkte sich indessen schon in seinem behaglichen Heim mit einem heißen Tee, dem Fee einen guten Schuss Rum zugegeben hatte.
»Wer könnte es gewesen sein, wenn es Brandstiftung war?«, fragte Fee nachdenklich.
»Wenn man das wüsste, aber es war Brandstiftung. Zur gleichen Zeit bricht ein Feuer nicht an zwei entgegengesetzten Stellen aus. Marl und Bobby waren im Büro, das steht fest.«
»Du wirst doch keinen von den beiden verdächtigen, Daniel«, sagte Fee erschrocken.
»Weißt du, Feelein, in der Verzweiflung kommt es manchmal doch zu einer Kurzschlusshandlung, aber ich glaube jetzt nicht mehr, dass Marl mit seinen Vermutungen, dass ein Kesseltreiben gegen ihn im Gange sei, so Unrecht hatte, obgleich ich mir schlecht vorstellen kann, dass ein so gutmütiger Mann Feinde haben kann.«
»Das Sägewerk war manchen ein Dorn im Auge«, meinte Fee.
»Immerhin stand es bereits, bevor diese Häuser dort gebaut wurden, und die Käufer wussten davon. Sie konnten es ja sehen.«
»Vielleicht wurde ihnen gesagt, dass es bald verschwinden würde.«
Daniel sah sie bestürzt an. »Aber so verrückt kann doch von diesen Anliegern niemand sein, es anzuzünden, weil es eben nicht verschwunden ist.«
»Es könnte ja auch jemand gewesen sein, dem es nicht gefiel, dass Marl nicht verkaufen wollte.«
»Was du alles denkst, Fee.«
»Es braucht ja nicht zu stimmen, aber man hat in letzter Zeit ja so manches gemunkelt. Das weißt du auch.«
»Nun, es wird untersucht werden, und hoffentlich wird der Schuldige bald gefunden«, sagte Daniel, »aber ich glaube nicht, dass Marl solch Durchstehvermögen hat, noch mal aufzubauen.«
»Soll er sich mit fünfzig Jahren zur Ruhe setzen?«
»Er ist verbraucht, Fee. Ich glaube jetzt, dass man ihn zermürbt hat. Und wenn seine Frau nicht durchkommen sollte …«
»Sag das um Himmels willen nicht!«, fiel Fee ins Wort.
Daniel zuckte die Schultern »Wenn sie das erfährt, sehen wir schwarz. Aber wie soll man es ihr verheimlichen? Darüber zerbrechen sich Dieter und Jenny auch den Kopf.«
*
So war’s. Aber Jenny hatte dann die Idee! »Wir werden Frau Marl sagen, dass ihr Mann und Bobby eine schwere Erkältung haben und sie deshalb nicht besuchen dürfen. Eine Woche können wir überbrücken. Die beiden Töchter müssen eben dichthalten, bis die Krisis überstanden ist. Zeitungen bekommt sie auch nicht, und andere Besucher werden nicht vorgelassen.«
»Du weißt sofort Rat«, sagte Dieter Behnisch bewundernd.
»Ich hatte auch schon ein bisschen mehr Zeit als du, darüber nachzudenken. Bobby lassen wir jetzt schlafen, und du gehst auch zu Bett.«
»Und du bleibst wach. Wir führen eine Ehe«, seufzte er.
»Jedenfalls wird es uns nicht langweilig, und wir fallen uns nicht auf die Nerven.« Aber einen Kuss bekam er von Jenny schon noch. Sie verstanden sich und liebten sich, wenngleich es bei ihnen ein bisschen anders war als bei Daniel und Fee Norden. Als sie sich kennenlernten, war Jenny physisch und psychisch fast am Ende gewesen. Ihre Tätigkeit im Nahen Osten hatte nicht nur ihrer Gesundheit geschadet, sie hatte auch menschliche Erniedrigungen hinnehmen müssen. Und damals war es Daniel Norden gewesen, der ihr die Stellung an der Behnisch-Klinik verschaffte. Dieter und Jenny wurden Freunde, und aus dieser Freundschaft wurde dann auch Liebe, die zu einer Ehe führte, in der es sehr harmonisch zuging. Im Beruf konnten sie sich völlig aufeinander verlassen. Ja, Dr. Dieter Behnisch konnte ruhig schlafen, wenn seine Frau Nachtwache hielt. Umgekehrt war es auch so. Aber in dieser Nacht war Jenny noch mehr beschäftigt als sonst.
Berthold Marl phantasierte. Bobby wachte davon auf, und als gäbe es eine Antenne zwischen den beiden und Annemarie Marl, war diese auch sehr unruhig.
Annelore war daheim auch nach kurzem unruhigem Schlummer aufgeschreckt, und als sie sich überzeugt hatte, dass Bobby nicht heimgekommen war, überfiel sie Angst, und sie rief in der Behnisch-Klinik an. Jenny gelang es, auch sie damit zu beruhigen, dass es für Bobby besser sei, wenn er die Nacht in der Klinik verbringen würde.
Da war es bereits fünf Uhr morgens, und als Annelore den Hörer auflegte, kam Marilli aus ihrem Zimmer.
Mit angstvollen Augen starrte sie die ältere Schwester an.
»Was ist?«, fragte sie bebend.
»Nichts, Marilli. Sie behalten Bobby nur noch diese Nacht in der Klinik, und Frau Dr. Behnisch hat mir gerade gesagt, dass Mama keinesfalls etwas von dem Brand erfahren darf.«
»Aber sie ist gewohnt, dass Papa sie jeden Tag besucht«, sagte Marilli beklommen.
»Man wird ihr sagen, dass Papa und Bobby schwer erkältet sind. Daran müssen wir uns auch halten, und du darfst zu niemandem etwas anderes sagen.«
»Für blöd brauchst du mich nicht zu halten«, sagte Marilli. »Ich möchte jetzt nur wissen, wer das Papa und uns allen angetan hat.«
Annelore schwieg. Sie ging zum Fenster. Die Nacht wich morgendlicher Dämmerung. Das Bild des Schreckens lag vor ihren Augen. Nein, dachte sie, Papa hat es nicht getan. In letzter Verzweiflung hätte er eher sich selbst umgebracht. Niemals hätte er auch Bobby geopfert. Sie konnte schon wieder klarer denken.
Da sah sie eine schattenhafte Gestalt herumschleichen.
Zuerst dachte sie, es wäre Seppi, aber dann konnte sie erkennen, dass die Gestalt größer, breiter war. Aber dann war sie auch schon wieder, wie ein Geist in Schwarz, verschwunden.
»Ich kann nicht mehr schlafen«, sagte Marilli.
»Dann mache ich einen Kaffee«, erklärte sich Annelore sofort bereit.
»Es