Herbert Brandner schon meinte, sie in der Hand zu haben, warum sollte sie ihren Trumpf nicht ausspielen? Sie musste es nur ganz vorsichtig anfangen. Jetzt durfte ihr kein Fehler mehr unterlaufen.
*
Viola hatte einen Anruf von der Behnisch-Klinik bekommen, dass Thomas nach ihr und den Kindern gefragt hätte.
Sie instruierte Joana, was in ihrer Abwesenheit getan werden sollte. »Sie sind ja schon so fit, dass ich Ihnen das Feld überlassen kann, Joana. Wenn Anrufe kommen, sagen Sie einfach, dass ich geschäftlich unterwegs bin. Sollte sich jemand nach meinem Mann erkundigen, wissen Sie überhaupt nichts. Sie können das besser als Frau Töpfer.«
Und Herta Töpfer war heilfroh, dass Joana auch das Telefon übernehmen sollte, denn sie redete nicht gern mit Leuten, von denen sie nur die Stimme hörte.
Viola wollte sich nur noch umkleiden und dann fahren. Kaum hatte sie die Werkstatt verlassen, läutete dort schon das Telefon. Joana nahm den Hörer auf und meldete sich mit »Viola-Kindermoden«.
Sie ließ beinahe den Hörer fallen, als eine Männerstimme an ihr Ohr tönte. »Hier Brandner, ich möchte Frau Anderten sprechen.«
Joana zitterte am ganzen Körper. Mühsam sagte sie, dass Frau Anderten geschäftlich unterwegs sei. »Kann ich etwas ausrichten?«, fragte sie dann noch heiser.
»Nein, ich muss Frau Anderten selbst sprechen. Wann kann ich sie erreichen? Oder können Sie mir sagen, in welcher Klinik Dr. Anderten liegt?«
»Nein, das ist mir nicht bekannt.« Ihre Stimme hatte überhaupt keinen Klang, sie war ihr selbst völlig fremd.
»Gut, ich rufe wieder an«, sagte der Mann.
Schnell eilte Joana hinaus, als sie den Hörer aufgelegt hatte, und sie erwischte Viola gerade noch, als diese eben ihren Wagen aus der Garage fuhr.
»Einen Augenblick«, flüsterte Joana aufgeregt. »Eben kam ein Anruf. Brandner war am Apparat. Ich dachte, er hätte mich gefunden.«
Viola sah, wie sie bebte, und Joanas Augen waren voller Angst. »Er wollte Sie sprechen. Er hat gefragt, in welcher Klinik Dr. Anderten liegt.«
»Warum regen Sie sich so auf, Joana? Brandner war früher mal ein Kollege von meinem Mann, bis er sich selbstständig machte. Aber warum er sich jetzt für Thomas interessiert, weiß ich auch nicht. Wieso kann er überhaupt wissen, dass mein Mann in der Klinik ist?«
»Brandner ist der Mann, der mich hierher gelockt hat«, erwiderte Joana, und erst jetzt begriff Viola, was Joana gleich anfangs gesagt hatte.
»Brandner? Sind Sie sicher, Joana?«
»Ich kenne seine Stimme. Ich hoffe nur, dass er meine nicht erkannt hat, aber die war mir ja selbst fremd.«
»Guter Gott, welcher Zufall«, sagte Viola nachdenklich, »aber das erklärt noch nicht, warum er sich für Thomas interessiert. Mein Gott, Sie zittern ja. Sollte er wieder anrufen, stellen Sie zu Hilde durch und informieren Sie sie kurz. Auf Hilde ist Verlass. Aber der Name Brandner ist hier nicht selten.«
»Herbert Brandner«, murmelte Joana.
»Ja, ich erinnere mich«, sagte Viola bestürzt. »Er war im Marketing tätig. Es ist fast unfassbar. Ich muss jetzt fahren, vielleicht kann ich etwas von Thomas erfahren.«
»Und wenn er herkommt«, flüsterte Joana voller Angst.
»Hilde soll ihn abwimmeln, und in die Werkstatt darf er nicht. Dafür wird Frau Töpfer sorgen.«
*
Diesmal wurde Viola von Dr. Dieter Behnisch empfangen. »Ihr Mann ist wach, sogar hellwach«, sagte er, »aber bitte, besprechen Sie nichts mit ihm, was ihn erregen könnte, und bleiben sie nicht zu lange. Er braucht immer noch viel, sehr viel Schlaf.«
»Ich werde mich danach richten«, sagte Viola geistesabwesend.
Zögernd betrat sie das Krankenzimmer. »Endlich«, seufzte Thomas auf. »Endlich sehe ich dich wieder.«
»Ich bin froh, dass es dir besser geht«, sagte sie leise.
»Wie geht es den Kindern? Ich möchte sie so gern sehen.«
»Du musst dich erst noch erholen, Thomas. Ich habe dir die neuesten Fotos mitgebracht.«
»Wie groß sie schon sind«, murmelte er. »Du musst mir glauben, dass ich euch sehr vermisst habe, Viola. Ich werde nie wieder an so einem Projekt mitarbeiten, das verspreche ich dir. Ich weiß nicht, wie ich diese Wochen überstanden habe.«
Viola wusste nicht, was sie sagen und was sie denken sollte. Konnte er einfach aus seinen Gedanken ausschalten, was er nicht wahrhaben wollte, oder gab es da doch so etwas wie einen Gedächtnisschwund?
Plötzlich wechselte sein Mienenspiel. »Es war doch nur ein Traum, dass du die Trennung willst«, sagte er heiser. »Sag, dass es ein Traum war. Ich kann Traum und Wirklichkeit nicht unterscheiden.«
»Wir werden uns nicht trennen, Thomas«, sagte sie leise, »aber wir müssen diese Geschichte mit Sonja Bertram regeln.«
»Es ist alles Lüge. Ich finde nur nicht die Zusammenhänge, Viola, nicht das Konzept. Es muss geplant gewesen sein an jenem Abend. Ich habe es immer wieder überlegt, bin aber zu keinem Ergebnis gekommen. Ich hatte kein Verhältnis mit Sonja. Wenn jemand mir doch weiterhelfen, einen Hinweis geben könnte. Bei mir dreht sich alles im Kreis. Ich werde verrückt, wenn ich nicht endlich dahinterkomme, was da gespielt worden ist.«
Was darf ich sagen, ohne ihm zu schaden, dachte Viola. Dann raffte sie sich auf. »War Sonja Bertram bei dir neulich abends, Thomas?«
Er starrte sie fragend an. »Neulich abend, wann war das, wie lange ist das her, Viola?«
»Vorgestern«, erwiderte sie.
»Mir kommt es vor, als würde ich ewig hier liegen. Ja, sie war bei mir. Du hilfst mir, ich kann mich erinnern. Ich habe ihr gesagt, dass ich mit ihr zum Arzt gehen werde, um festzustellen, wann das Kind kommt und ob ich der Vater sein kann.« Seine Stimme bebte. »Ich weiß jetzt, was du mir vorgeworfen hast. Ich weiß jetzt alles, Viola«, stöhnte er. »Der Schleier ist gerissen.«
»Du darfst dich nicht aufregen, Thomas. Ich war ungerecht, es tut mir leid. Ich bin jetzt bei dir und bleibe bei dir. Diese Geschichte wird uns nicht trennen, was auch geschehen sein mag.«
»Ich kann mich an diesen Abend aber überhaupt nicht mehr erinnern, Viola. Du warst nicht bei mir.«
»War Brandner dabei?«, fragte Viola jetzt spontan.
»Brandner? Wie kommst du ausgerechnet auf ihn? Ja, er war dabei. Er hat alle eingeladen auf seinen ersten großen Erfolg.«
»Auf welchen Erfolg?«
»Der Film. Er hat einen Film gedreht. Er muss groß im Geschäft sein.«
»Woher kann er wissen, dass du zurück bist?«, fragte Viola gedankenverloren.
»Weiß er das?«
»Er hat bei mir angerufen. Er wollte wissen, in welcher Klinik du liegst. Ich dürfte dir das nicht sagen, Dr. Behnisch will das nicht. Aber es wäre gut für mich, wenn du Zusammenhänge finden könntest. Hattest du mit Sonja einen Streit?«
»Ich habe mich aufgeregt. Sie schien verblüfft, als ich sagte, ich würde mit ihr zum Arzt gehen. Nein, sie hatte plötzlich Angst und plapperte alles Mögliche. Und dann sagte sie, wie unabhängig und emanzipiert du bist, und dass du einen anderen hast, da …, von weiß ich nichts mehr.«
»Es gibt keinen anderen, Thomas. Sie war also bei dir. Mir sagte sie am Telefon, dass sie nur mit dir telefoniert hätte und die Verbindung dann plötzlich abgerissen sei.«
»Sie war bei mir, das kann ich doch nicht geträumt haben«, murmelte er.
»Nein, du hast es nicht geträumt. Herr Wuttke hat sie gesehen. Ich werde schon dahinterkommen, was da sonst noch gespielt wurde.«
Er