der Familienfrieden zu Weihnachten gesichert war. Für Hilde Weber wurde es das schönste Weihnachtsfest ihres Lebens, für Joanna und Ulrich, die dazugehörten, der Beginn ihres gemeinsamen Lebens, denn Ulrich steckte Joana den Verlobungsring an den Finger. Und für Viola und Thomas zählte nur das Glück, wieder vereint zu sein, voller Dankbarkeit, die bedrohliche Krise überwunden zu haben.
Nach dem Urlaub, den sie in den Bergen verbrachten, übernahm Thomas die leitende Position in der Forschungsabteilung, die er angestrebt hatte. Sandra war auch mit ihrem Papi versöhnt, aber sie versicherte ihm auch energisch, dass sie bitterböse sein würde, wenn er wieder so lange fortgehe.
»Nie mehr«, versprach er.
Im Mai heirateten Ulrich und Joana, und dass sie einmal eine so große Hochzeit feiern würden, hätte sich Joana gewiss nicht träumen lassen. Ihr Brautkleid war von Viola entworfen und in der Werkstatt gefertigt worden, und jeder der Näherinnen hatte dazu beigetragen, dass es ein Gedicht wurde. Sie hatte sich auch deren Herzen erobert, aber nun bekam sie auch einen Mann, dessen Liebe sie sicher sein konnte. Und es gab niemanden, der ihr dieses Glück nicht gönnte.
Von Herbert Brandner hörte man nichts mehr. So töricht war er doch nicht, dass er Rachegelüste hegte, nachdem er aus der Haft entlassen war. Er setzte sich ins Ausland ab und ward nie mehr gesehen. Aber auch von Sonja Bertram hörte man nichts mehr, und niemand fragte nach ihr.
Was blieb, war die Freundschaft mit Fee und Daniel Norden, die innige Bindung zu Joana und Ulrich, die Erkenntnis, dass Liebe alles Leid vergessen ließ.
Es war ein lauer Frühlingsabend. Die Dämmerung sank herab. Fee Norden rief ihre Kinder, die noch im Garten herumtollten und kein Ende finden konnten, weil es endlich wieder einmal wärmer wurde.
»Kommt jetzt herein, es wird doch schon dunkel«, rief Fee zum zweiten Mal mahnend.
»Schau doch, Mami, es wird schon wieder hell«, rief Anneka.
»Ganz hell am Himmel«, rief nun auch Felix.
»Toll«, gab Danny seinen Kommentar dazu.
Fee blickte hinaus, und sie erschrak. »Feuer«, rief sie aus. »Da brennt es.« Ihr Schrecken war besonders groß, weil in dieser Richtung auch die Leitner-Klinik lag, und schon stürzte sie zum Telefon.
Claudia Leitner meldete sich so rasch, als hätte sie auf den Anruf gewartet.
»Reg dich nicht auf, Fee, das Sägewerk brennt, wir nicht«, sagte sie.
Das Sägewerk, dachte Fee, die Marls sind vom Pech verfolgt. Frau Marl hatte erst vor drei Tagen eine schwere Operation in der Behnisch-Klinik überstehen müssen.
Fee rief in der Praxis an. Da meldete sich Loni, die außer Atem schien.
»Bei den Marls brennt es«, sagte Fee.
»Wissen wir schon. Der Chef ist unterwegs. Es gibt ein paar Verletzte. Da werden Sie heute wieder lange warten müssen.«
Das war Fee Norden gewohnt, jetzt hoffte sie vor allem, dass ihr Mann mit heiler Haut davonkommen würde.
Das Sägewerk brannte lichterloh. Die Feuerwehr bemühte sich, die Flammen vom Wohnhaus fernzuhalten, da der Wind sie genau dorthin trieb.
Es war ein einziges Inferno, als Dr. Norden kam.
»An zwei Stellen hat es angefangen, das ist Brandstiftung«, sagte eine erregte Männerstimme. »Ich habe es genau gesehen.«
»Ich auch«, rief eine Frau, doch es klang an Dr. Nordens Ohren vorbei. Er war hier, um zu helfen, wo Hilfe gebraucht wurde.
Ein zierliches Mädchen kam auf ihn zugelaufen. Schluchzend rief es: »Der Papa und mein Bruder Bobby, sie waren noch im Büro.«
»Ruhig, Marilli«, sagte Dr. Norden, »sie werden schon herausgeholt.«
Er sah jetzt, dass ein paar Gestalten aus dem Anbau gewankt kamen, in dem sich auch das Büro befand. Er kannte sich hier aus. Er schob das Mädchen, ein halbes Kind noch, zur Seite, und eilte auf die Stelle zu, wo jetzt den Verletzten erste Hilfe zuteil wurde.
Er sah Berthold Marl am Boden liegen. Seine Kleider und auch sein Haar waren versengt. Er stöhnte, aber er schlug die Augen auf, als Dr. Norden sich über ihn beugte. Dass Dr. Norden ihm eine schmerzstillende Spritze gab, schien er nicht zu spüren.
»Man will uns vernichten, Dr. Norden«, murmelte er, dann verlor er das Bewusstsein.
»Zur Behnisch-Klinik, schnellstens«, sagte Dr. Norden heiser. »Wo ist Bobby?«
»Hier bin ich«, ertönte eine zitternde Stimme. »Lebt Papa?«
Er war ein schmaler Junge von neunzehn Jahren, gewiss kein Kraftprotz, aber Dr. Norden erfuhr, wie unglaublich mutig er gehandelt hatte, als Ruhe eingekehrt war. Doch jetzt ging alles noch drunter und drüber.
Bobby sah fürchterlich aus, rauchgeschwärzt, und Brandwunden hatte er auch davongetragen. Dr. Norden versorgte ihn, so weit das hier möglich war und sagte dann, dass man ihn auch in die Behnisch-Klinik bringen solle.
»Davon werden’s sich nimmer erholen«, sagte jemand. Diesmal blickte Dr. Norden um und mitten hinein in das faltige Gesicht einer alten Frau. Aber dann sagte schon jemand: »Da wär’ auch noch der Seppi, unser Dummerl. Er hat auch was abbekommen.«
Der Seppi Mösler war schon zwanzig, aber geistig zurückgeblieben. Doch so deppert, wie er oft genannt wurde, war er nicht, wie Dr. Norden wusste. Er wurde von den Marls mit leichten Arbeiten betraut.
Seppi grinste töricht, als Dr. Norden ihn fragte, was ihm denn weh täte.
»Nix weiter, war nix mehr zu machen«, stotterte Seppi. »Alles ist hin, alles, ist ja auch nix wert. Das Haus hat’s nimmer erwischt.«
Aber da kam wieder Marilli, zitternd und schluchzend. »Was soll nur werden, Herr Doktor, was soll denn jetzt nur werden?«, flüsterte sie bebend.
»Es wird sich alles finden. Wo ist Annelore?«, fragte er.
»Bei der Mama in der Klinik. Mama geht es doch noch so schlecht.«
»Sind Burgl und Kaspar da?«, fragte er.
»Schon, aber sie packen alles zusammen was geht, falls das Haus auch noch brennt.«
»Es wird nicht brennen, Marilli«, sagte Dr. Norden tröstend. »Willst du mitkommen in die Klinik?«
Sie nickte. »Wenn Mama das erfährt, ich wag’s nicht zu denken, Herr Doktor. Es geht ihr doch noch gar nicht gut.«
*
Nein, es ging Annemarie Marl nicht gut. Ihre älteste Tochter Annelore, gerade zweiundzwanzig geworden, saß schon zwei Stunden am Bett der Mutter, als Sirenengeheul sie aufschreckte.
»Jetzt kommt der Krieg«, flüsterte Annemarie, »o nein.«
»Es kommt kein Krieg, Mama«, sagte Annelore. »Es wird ein Unfall sein.«
»Es ist die Feuerwehr«, murmelte die Kranke.
Annelore hörte es auch. Sie trat ans Fenster, auch sie sah den Feuerschein, die Richtung, und sie wusste, dass dort das Sägewerk lag. Ihr Herzschlag stockte. Kalkweiß wurde ihr reizvolles junges Gesicht.
»Bevor sie uns alles nehmen, jag ich es in die Luft«, hatte der Vater neulich im Zorn gesagt, als der Gerichtsvollzieher kam.
»Nein, das nicht«, stöhnte Annelore, »das nicht auch noch.«
»Was sagst du, Kind?«, flüsterte Annemarie.
»Du darfst dich nicht aufregen, Mama«, sagte Annelore tapfer, und dann drückte sie auf die Klingel.
Dr. Jenny Behnisch kam herbeigeeilt. Sie wusste auch schon, wo es brannte. Aber an diesem Tag war auch in der Klinik die Hölle