»Ich habe dich nicht betrogen, Thomas.«
»Du hast dich als Unternehmerin bewiesen, um mir zu zeigen, dass du ohne mich auskommst.«
»Und ich bin froh darüber, dass ich unabhängig bin von deinem Geld. Du brauchst keinen Unterhalt für mich und die Kinder zu zahlen.«
»Mein Gott, denkst du, ich lasse mir die Kinder einfach wegnehmen, ganz und für immer?«
»Wann hast du dich denn schon um sie gekümmert? Dein Stippvisiten können wir ja mal zusammenzählen.« Sie unterbrach sich plötzlich, weil sie meinte, Fees mahnende Stimme zu vernehmen, Ruhe zu bewahren und ihn anzuhören. Aber dazu war es nun schon zu spät.
»Es hat keinen Sinn, dass wir jetzt streiten«, sagte Thomas ziemlich deprimiert. »Ich lasse mich nicht scheiden. Benny und Sandra sind nicht nur deine Kinder, sie sind auch meine Kinder, und ich will sie sehen.«
»Wenn du das versuchst, werde ich ihnen sagen, dass eine andere Frau ein Kind von dir erwartet, und das meine ich ernst, Thomas. Ich will nicht, dass die Kinder einen Knacks bekommen, aber vielleicht kommt es dir doch zu Bewusstsein, wie demütigend diese Affäre für mich ist. Ich denke, du solltest Frau Bertram aufsuchen, und dann wird sich schon herausstellen, was du zu erwarten hast. Ich fände es höchst unfair, wenn du die Kinder in diesen Schmutz auch noch hineinziehen würdest.«
»Du bist so unversöhnlich, so gar nicht bereit, zu verzeihen, Viola.«
»Ich habe dich geliebt«, sagte sie tonlos. »Ich habe dich wirklich geliebt und viel hingenommen. Aber das war zu viel. Ich gehöre nicht zu der Kategorie Frauen, die die Ehe als Versorgung betrachten und alles schlucken, um die finanzielle Sicherheit nicht zu verlieren. Und ich lasse mich nicht mit einer Sonja Bertram auf eine Stufe stellen.«
Schweiß trat auf Thomas’ Stirn. Seine Hand zitterte, als er mit dem Taschentuch darüber fuhr.
»Du bist so hart, Viola«, flüsterte er. »Ich habe einen entsetzlichen Fehler gemacht, das weiß ich, aber es war wirklich nichts als ein Ausrutscher. Ich kann nicht mal sagen, wie das geschehen konnte. Aber jetzt hat es wohl keinen Sinn, darüber zu sprechen. Ich kann dich nur bitten, alles nochmals zu überdenken. Ich denke jedenfalls nicht daran, in eine Scheidung einzuwilligen, auch nicht daran, Sonja zu heiraten. Niemand und nichts kann mich dazu zwingen. Und wenn sie wirklich ein Kind erwartet, werde ich feststellen lassen, ob ich tatsächlich der Vater dieses Kindes bin. Ich kann mich nicht einmal genau erinnern, was in jener Nacht geschehen ist. Wenn ich mich nur daran erinnern könnte!«
»Ich bin nicht neugierig, Einzelheiten zu erfahren«, sagte Viola.
Das Essen war fast unberührt geblieben. Die Bedienung erkundigte sich erschrocken, ob es den Herrschaften nicht geschmeckt hätte.
»Es fehlt am Appetit, es muss am Wetter liegen«, erklärte Viola.
»Ja, es klagen viele Gäste. Ist ja auch verrückt. Ein Tag so, den anderen so.«
Einmal so, einmal so, welch einfache Erklärung!
»Es gibt ja noch unsere Stadtwohnung, Thomas«, sagte Viola. »Ich bringe dich hin.«
»Danke, bemühe dich nicht, ich kann mir ein Taxi nehmen.«
Er machte einen kranken Eindruck. In Viola regte sich etwas wie Beklemmung.
»Sei nicht kindisch. Ich will doch nur, dass die Kinder aus dieser Geschichte herausgehalten werden«, sagte sie dennoch. »Und ich will nicht, dass schmutzige Wäsche gewaschen wird.«
»Du ahnst nicht einmal, wie mir zumute ist«, sagte er dumpf.
»Hast du darüber nachgedacht, wie mir zumute sein mag, wenn du immer so lange fern warst?«
»Es ist bitter, gerade zu dem Zeitpunkt, an dem man sein Ziel erreicht hat, einen solchen Schuss vor den Bug zu bekommen. Als ich das letzte Mal zu Hause war, hast du dich ja auch nur um dein Geschäft gekümmert. Für meinen Beruf hast du doch kein Interesse aufgebracht.«
»Ich weiß ja nicht mal, woran du arbeitest.«
»Ich darf darüber nicht sprechen.«
Ihre Augen wurden schmal. »An Vernichtungswaffen etwa? Ich habe mir schon Gedanken gemacht, Thomas. Aber ich habe auch überlegt, ob ein Mann, der Kinder hat, dafür so viel Zeit zu opfern, etwas zu entwickeln, das Leben vernichtet. Auf solchen Ruhm wäre ich nicht stolz.«
»Gib mir jetzt etwas Zeit, Viola«, sagte er leise. »Es ist alles ein bisschen viel für mich. Ich verkrafte auch den Klima- und den Zeitunterschied nicht so rasch. Brich doch bitte nicht gleich alle Brücken zwischen uns ab. Ich liebe dich doch, und ich liebe die Kinder.«
»Und das fällt dir jetzt ein«, sagte sie. »Es ist sehr lange her, dass ich solche Worte hörte. Jetzt höre ich sie, allein mir fehlt der Glaube!«
»Und weißt du, was ich denke? Es spricht die Karrierefrau«, sagte er müde. »Schluss für heute. Am nächsten Taxistand steige ich aus.«
»Wie du willst«, sagte Viola.
*
Thomas hatte sich zur Stadtwohnung fahren lassen. Er hatte darauf bestanden, sie beizubehalten, als Viola sich entschlossen hatte, ihr Elternhaus als Wohnsitz zu nehmen. Damit die Kinder nicht die stickige Stadtluft atmen müssten, hatte sie gesagt, aber schon ein Jahr später hatte sie die Halle, in der ihr Großvater eine Weberei betrieben hatte, als Werkstatt umbauen lassen.
Die komfortable Dachterrassenwohnung war in ordentlichem Zustand, nur nicht gelüftet. Thomas riss die Fenster auf, aber es strömte so eisige Luft herein, dass er schnell fror. Er stellte die Heizung an. Das Wasser im Bad wurde auch nicht so schnell warm. Er hüllte sich in warme Decken und kroch ins Bett, unfähig, klare Gedanken zu fassen oder gar einen Entschluss.
Es erschien ihm alles auch so unwirklich, fast so wie ein schwerer Traum, und er war entsetzlich müde.
Bleiern schwer wurden seine Glieder, und dann fühlte und dachte er nichts mehr.
*
Wenn er nun krank ist und niemand sich um ihn kümmert, dachte Viola indessen. Schlecht hatte Thomas ausgeschaut, so gelb und faltig, viel älter geworden!
Da sie sich nun nicht mehr herausgefordert fühlte, kamen ihr Gewissensbisse. Was immer auch geschehen war, sie war acht Jahre mit ihm verheiratet, und zehn Jahre kannte sie ihn bereits, und er war der Vater ihrer Kinder, der Mann, der einzige Mann, den sie je geliebt hatte. Nicht mal richtig verliebt war sie gewesen, bevor sie Thomas kennen gelernt hatte.
Auf der Heimfahrt hatte sie überlegt, ob sie Fee aufsuchen solle, aber das hatte sie dann doch von sich gewiesen, denn Fee sollte nun nicht denken, dass sie von ihr als seelischer Mülleimer betrachtet würde.
Als sie dann aber heimkam, sagte Hilde, dass eine Frau Bertram angerufen hätte.
Unwillkürlich kam es Viola in den Sinn, dass Thomas schon mit Sonja gesprochen hätte, und wieder war sie voller Abwehr.
»Sie will später nochmals anrufen«, sagte Hilde. »Sie sehen so erschöpft aus, Frau Anderten. Wollen Sie sich nicht ein bisschen hinlegen? Die Kinder sind drüben bei Joana. Sie haben es jetzt schrecklich wichtig mit ihren Basteleien. Aber Sie brauchen nicht gleich zu erschrecken. Joana hat eine Engelsgeduld. Sie ist ja so ein liebes Geschöpf. Wenn ich doch solche Tochter gehabt hätte.«
Violas Blick wanderte in eine imaginäre Ferne. »Ihr beide seid für mich ein rechter Halt«, sagte sie leise. »Ja, ich lege mich eine halbe Stunde hin. Wenn diese Frau Bertram anruft, wecken Sie mich.«
Schlafen konnte sie aber nicht. Sie blickte immer wieder auf die Uhr, die auf der Konsole stand. Und dann hörte sie, wie das Telefon läutete.
Es war Sonja Bertram. Hilde stellte das Telefon durch. »Ich wollte Sie bitten, Thomas nichts von meinem Besuch bei Ihnen zu sagen, Frau Anderten«, sagte Sonja hastig. »Er muss dieser Tage zurückkommen. Ich denke schon, dass wir uns einigen können.«
»Tun Sie das, Frau Bertram«,