Karina Kaiser

Sophienlust - Die nächste Generation Staffel 1 – Familienroman


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kleine Heidi ist bezaubernd«, meinte Linda lächelnd.

      »Ja, das ist sie«, bestätigte Denise und lächelte ebenfalls. »Allerdings ist sie nicht nur bezaubernd, sondern auch extrem neugierig. Vor ihren spitzen Öhrchen ist nichts sicher. Aber Sie sind ja wegen eines nicht weniger bezaubernden Kindes hergekommen, wegen Ihrer Nichte Romina, nicht wahr?«

      Daniel nickte. »Ja, das ist richtig. Bis vor ein paar Tagen haben wir noch gar nichts von der Existenz dieses Kindes gewusst. Ein bisschen ist das auch unsere Schuld. Das müssen wir zugeben. Als meine Schwiegereltern ihre Tochter aus der Familie ausschlossen, haben auch wir keinen weiteren Kontakte gesucht. Das war ein Fehler, der uns niemals so recht bewusst geworden ist. Erst nach den schrecklichen Ereignissen sind wir plötzlich aus unserem Dornröschenschlaf aufgewacht. Es mag unglaublich klingen, aber genauso ist es gewesen. Für Jenny können wir nichts mehr tun und für ihren Mann auch nicht. Aber jetzt ist da dieses kleine Mädchen, unsere Nichte Romina. Sie hat ein Anrecht auf unsere Hilfe und Unterstützung. Ein Kind, das seine Eltern verloren hat, muss doch jemanden haben, an dem es sich festhalten kann.«

      »Das haben Rominas Großeltern leider ganz anders gesehen«, erklärte Denise. »Es freut mich, dass Sie beide diese ablehnende Einstellung nicht teilen. Am Telefon hatten Sie erwähnt, dass Sie gerne mehr für Ihre Nichte tun würden, als sie nur einmal zwanglos zu besuchen. Darf ich fragen, welche Pläne Sie haben?«

      »Es sind noch keine festen Pläne«, bemerkte Linda. »Vorerst haben wir nur die Möglichkeit in Erwägung gezogen, Romina vielleicht als unser Kind in die Familie aufzunehmen.« Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Ob das gesetzlich überhaupt möglich ist, wissen wir beide nicht. Diesbezüglich wären wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Aber es ist ja auch ein wichtiger Schritt, der länger als zwei Tage überlegt sein will. Wenn die Entscheidung einmal gefallen ist, soll sie Bestand für immer haben. Eine Aufnahme auf Probe ist nicht möglich. Wenn das Zusammenleben nicht funktioniert, kann man ein Kind nicht einfach wieder abgeben. Dergleichen darf man keinem Kind antun.«

      »Sie verfügen über sehr viel Einfühlungsvermögen«, stellte Denise fest. »Das findet man nicht so häufig. Haben Sie bereits Kinder? Sie scheinen nicht ganz unerfahren zu sein.«

      Linda schüttelte den Kopf und sah plötzlich traurig aus. »Nein, wir haben keine Kinder und werden auch keine bekommen. Vor einigen Jahren, wir waren gerade sieben Monate verheiratet, hatte ich unverschuldet einen schweren Autounfall. Eigentlich hatte ich Glück und habe den Unfall überlebt. Aber ich war eingeklemmt und hatte mir schwere Bauchverletzungen zugezogen. Die Feuerwehr hat mich befreit, und zwei große Operationen retteten mein Leben. Doch leider mussten dabei wichtige Organe entfernt werden. Deshalb kann ich niemals Kinder bekommen.«

      »Das tut mir aufrichtig leid«, bekundete Denise und griff spontan nach Lindas Händen. »Dieser Unfall muss ein harter Schlag für Sie beide gewesen sein. Aber Sie haben überlebt. Das ist das Wichtigste.«

      Linda nickte. »So sehen wir das inzwischen auch. Aber die Sehnsucht nach einem Kind ist trotzdem groß. Wir leben in einem wunderschönen geräumigen Haus, das von einem riesigen Garten umgeben ist. Unsere beiden Juweliergeschäfte florieren prächtig. Ein Kind könnte bei uns sorglos glücklich sein. Wir können ihm alles bieten, einschließlich unserer Zuwendung und Liebe. Deshalb haben wir uns kürzlich entschlossen, einen Adoptionsantrag zu stellen. Eigentlich war das für die nächste Woche geplant. Nun ist da plötzlich Romina, unsere Nichte, die eine Familie braucht.«

      Denise lächelte verständnisvoll. »Und da dachten Sie, dass ein Adoptionsantrag vielleicht gar nicht mehr nötig sein wird, weil Sie nun natürlich ein ganz bestimmtes Kind im Auge haben.«

      »So ähnlich ist es«, bestätigte Daniel. »Allerdings bewegen wir uns mit diesem Gedanken auf sehr dünnem Eis. Es kann ja sein, dass Romina nichts von uns wissen will. Vielleicht findet sie uns unsympathisch und würde nie bei uns leben wollen. Unter Umständen finden wir auch keine Verbindung zu ihr, oder es tun sich irgendwelche anderen Hinderungsgründe auf, an die wir im Augenblick noch gar nicht denken.«

      Es gefiel Denise, dass da zwei Menschen vor ihr saßen, die sich Gedanken machten.

      Das zeigte ihr, dass Linda und ­Daniel Marbach nicht leichtfertig aus einer Laune heraus handelten, die sich später womöglich zu Rominas Nachteil hätte auswirken können.

      »Ich schlage vor, dass ich Ihnen Ihre Nichte erst einmal vorstelle. Für sie und die anderen Kinder werden Sie zunächst Leute sein, die sich Sophienlust ansehen und bei dieser Gelegenheit auch einige Kinder kennen lernen wollen. Das ist absolut unverfänglich. Für Sie ist das eine gute Chance, Ihre Nichte etwas genauer zu beobachten.«

      Linda und Daniel waren einverstanden und folgten Denise.

      Die wusste nämlich genau, wo Romina sich im Moment befand.

      Es war kurz vor drei Uhr, und um drei Uhr sollte die nächste Reitstunde stattfinden. Romina war daher bestimmt gerade damit beschäftigt, Sancho unter Pünktchens Anleitung zu satteln und aufzutrensen.

      *

      Es war gar nicht so einfach, ein Pony richtig aufzutrensen.

      Inzwischen hatte Romina sich aber schon gemerkt, welche Riemen der Trense man miteinander verbinden musste, und wie fest sie geschnallt werden durften.

      »Das hast du prima gemacht«, lobte Pünktchen, nachdem sie den Sitz von Sattel und Trense kontrolliert hatte. »Jetzt kannst du Sancho auf den Reitplatz führen. Oder soll ich das für dich tun?«

      »Nein«, protestierte Romina und griff nach dem Zügel.

      »Das mache ich selbst. Du hast gesagt, dass ein guter Reiter sich immer um sein Pferd kümmert und nicht einfach nur darauf wartet, dass es ihm auf den Reitplatz gebracht wird, damit er aufsitzen kann. Was für Pferde gilt, gilt auch für Ponys, und ich möchte für Sancho ein guter Reiter sein.«

      Auf dem kurzen Weg zum Reitplatz trafen Pünktchen und Romina Denise mit deren Besuchern. Romina freute sich darüber.

      »Willst du mir bei der Reitstunde zusehen, Tante Isi?«, erkundigte sie sich sofort. »Dann kann ich dir zeigen, was ich schon alles gelernt habe.«

      »Natürlich schaue ich dir gern zu, Romina. Aber vorher möchte ich dir und Pünktchen meinen Besuch vorstellen. Das sind Linda und Daniel Marbach. Sie wollen sich in Sophienlust ein bisschen umsehen.«

      Das Mädchen schaute die beiden Besucher aufmerksam an.

      »Sie können auch zugucken, wenn Sie wollen. Sind Sie auch schon einmal geritten?«

      »Ja, als ich noch ein Schuljunge war, hatte ich Reitunterricht«, gab Daniel Auskunft. »Das ist aber lange her. Ich glaube, heute könnte ich gar nicht mehr reiten und bekäme höchstens einen tüchtigen Muskelkater, wenn ich es versuchen würde. Wahrscheinlich würde ich sogar aus dem Sattel rutschen und mit einem lautem Plumps auf dem Boden landen.«

      »Das ist mir auch schon passiert«, meinte Romina und kicherte vergnügt. Die Vorstellung, wie dieser erwachsene Besucher auf dem Boden des Reitplatzes landen und sich anschließend womöglich das schmerzende Hinterteil reiben würde, erheiterte sie. Romina wünschte Daniel nichts Böses. Es waren nur die Bilder, die ihr durch den Kopf gingen und die sie komisch fand.

      »Sind Sie auch früher geritten, als Sie noch in der Schule waren?«, wollte Romina von Linda wissen.

      Durch diese Frage wurde Linda aus ihren Gedanken gerissen. Während der letzten Minuten hatte sie ihren Blick nicht von dem kleinen Mädchen wenden können. Romina sah ihrer Mutter tatsächlich sehr ähnlich. Sie hatte dieselben Grübchen in den Wangen und denselben verschmitzten Augenaufschlag. Sogar die Gewohnheit, den Kopf leicht nach links zu neigen, wenn sie Fragen stellte, hatte Romina von ihrer Mutter übernommen. Nur ihre Augen waren wesentlich dunkler. Hier kamen wohl die Erbanlagen des italienischen Vaters zum Tragen.

      »Als ich ungefähr in deinem Alter war, habe ich angefangen, reiten zu lernen«, gab Linda Auskunft. »Ein Jahr später habe ich dann ein eigenes Pferd bekommen. Es war ein Haflinger mit einer langen und fast weißen Mähne. Er hieß ein bisschen ähnlich wie du. Romeo war