Karina Kaiser

Sophienlust - Die nächste Generation Staffel 1 – Familienroman


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ihre Freundin zur Haustür. Dort verabschiedete sich auch Kira von ihrer Mutter.

      »Viel Spaß in Kärnten, und vergiss bitte das Edelweiß nicht. Darauf freue ich mich schon.«

      Liane nahm ihre Tochter in die Arme.

      »Das weiß ich doch, und ich verspreche dir, dass ich ein besonders schönes Edelweiß für dich aussuchen werde.«

      Mit diesen Worten wandte Liane sich ab und machte sich auf den kurzen Rückweg zu ihrem Haus. Unterwegs drehte sie sich noch einmal um und winkte ihrer Tochter und Ellen zu, die am Gartentor standen und herzlich zurückwinkten.

      *

      An diesem Tag war die Köchin Magda schon mehrmals in ihren Kräuter- und Gemüsegarten gegangen, der direkt von der Küche aus erreichbar war. Als sie wieder einmal nachdenklich die Beete betrachtete, gesellten sich die beiden jüngsten Kinder von Sophienlust zu ihr, der sechs Jahre alte Kim und die siebenjährige Heidi. Kim stammte aus Vietnam und war als Waisenjunge nach Sophienlust gekommen. Mitunter hatte er noch ein paar kleine Probleme mit der deutschen Sprache.

      Heidi, die die erste Klasse besuchte und heute schon relativ früh aus der Schule gekommen war, konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, jemals woanders als in Sophienlust gelebt zu haben. Sie war noch ein Baby gewesen, als ihr Vater, ein drogenabhängiger junger Mann, ums Leben gekommen war und Heidis Mutter mit in den Tod gerissen hatte.

      »Warum guckst du denn so traurig deine Kräuter an, Magda?«, erkundigte Heidi sich. Wollen die etwa nicht richtig wachsen?«

      Kim schüttelte den Kopf. »Das nicht kann sein. Du irrst dich, Heidi. Guck doch, alle Pflanzen grün, und wenn sie grün, sind auch richtig gewachsen.«

      »Nun ja, gewachsen ist schon alles, aber nicht so richtig«, erklärte Magda. »Die Möhren sind ziemlich klein geraten, Dill und Schnittlauch sehen nicht gerade schön saftig aus, und auch alle anderen Pflanzen sind ein bisschen kümmerlich. Das liegt daran, dass nicht mehr genug Sonne in meinen Gemüsegarten scheint. Aber nachher kommt eine Gärtnerin, die das ändern möchte.«

      Kim blickte nachdenklich zum strahlend blauen Himmel hinauf. »Aber Sonne ist groß, stark und weit weg von Erde. Kein Mensch kann schieben Sonne, damit sie scheint hier in Garten und auf Gemüse. Auch die Gärtnerin ist nicht stark genug und kann nicht reichen an Sonne zum Schieben. Sonne ist zu weit weg.«

      Magda schmunzelte vergnügt. »Nein, an der Sonne kann die Gärtnerin nichts verändern. Da hast du vollkommen recht. Aber sie kann mir helfen, etwas an dem Garten zu verändern. Seht ihr da drüben die große Hecke? Die wirft auch bei Sonnenschein Schatten auf die Beete. Das ist nicht gut für mein Gemüse und die Kräuter. Aber ich will die Hecke auch nicht einfach herausreißen lassen. Das täte mir leid. Auch die Sträucher hier auf der Seite sind sehr groß geworden und nehmen den kleinen Pflanzen das Licht. Der Gärtnerin wird vielleicht etwas einfallen, um Sträucher und Hecke zu erhalten und trotzdem Sonnenschein in den Garten fallen zu lassen.«

      »Ja, wäre gut, wenn das ginge«, ließ Kim sich vernehmen. Möhren und Kohlrabi müssen haben Sonne und Petersilie auch. Aber ist nicht schlimm, wenn Radieschen bleiben im Schatten von Hecke.«

      »Das sagst du jetzt doch nur, weil du Radieschen nicht magst«, stellte Heidi fest. »Wenn hier keine mehr wachsen, weil sie keine Sonne bekommen, ist dir das ganz recht. Dabei wollen auch Radieschen leben und groß werden. Pünktchen hat neulich gesagt, dass man niemandem den Tod wünschen darf. Das gilt bestimmt auch für Radieschen.«

      »Ihr sollt nicht streiten«, ermahnte Magda die Kinder. »Die Gärtnerin wird schon dafür sorgen, dass die Radieschen genug Sonne bekommen, und ich sorge dafür, dass du, Kim, keine Radieschen auf deinem Teller finden wirst. Was meint ihr? Ist das ein fairer Handel zwischen uns?«

      Die Köchin hielt den beiden Kindern ihre Hand hin und lächelte ihnen aufmunternd zu. Kim und Heidi erwiderten das Lächeln und schlugen ein.

      »Jetzt musst du noch mit Pünktchen verhandeln«, bemerkte Heidi. »Ich glaube, die mag auch keine Radieschen. Oder war es vielleicht doch Blumenkohl?«

      Magda kannte die fünfzehn Jahre alte Angelina Dommin, die wegen ihrer zahlreichen Sommersprossen nur Pünktchen gerufen wurde, sehr gut. Das Mädchen war als Dreijährige nach Sophienlust gekommen, nachdem die Eltern bei einem Zirkusbrand ums Leben gekommen waren. Alle Vorlieben und Abneigungen von Pünktchen waren der Köchin bekannt.

      »Nein, du irrst dich, Heidi. Radieschen und Blumenkohl mag Pünktchen. Blumenkohl isst sie sogar besonders gern, wenn er mit Käse überbacken ist. Was sie aber überhaupt nicht leiden kann, ist Möhreneintopf. Wenn der auf den Tisch kommt, bereite ich für Pünktchen immer Pfannkuchen zu.«

      Heidi schlug sich mit einer Hand gegen die Stirn. »Ja stimmt, es sind gekochte Möhren, die Pünktchen furchtbar findet. Jetzt weiß ich es wieder. Sie hat mir sogar einmal einen von ihren kleinen Pfannkuchen angeboten. Aber ich mochte die Möhren lieber, weil da so leckere Wurststückchen drin waren.«

      Magda freute sich darüber, dass Heidi mit ihren Kochkünsten offenbar zufrieden war. »Wie wäre es denn mit einer kleinen Scheibe Fleischwurst so ganz einfach zwischendurch?«, fragte sie, und als die Kinder von dieser Idee begeistert waren, nahm Magda sie mit in die Küche.

      *

      Ellen war mit ihrem Wagen auf das Gelände von Sophienlust gefahren und hielt unmittelbar neben der Freitreppe, die zum Haupteingang führte, an. Sofort kamen zwei große Hunde angelaufen, wedelten freundlich und schienen sich über die Besucher zu freuen.

      »Sind das Barri und Anglos?«, erkundigte sich Kira bei Ellen. In ihrer Stimme lag keine Spur von Angst, sondern freudige Erwartung. Als Ellen nickte, stieg die Neunjährige aus und begann gleich damit, die beiden Hunde zu streicheln. Es dauerte auch nicht lange, bis einige Kinder erschienen, die das fremde Auto entdeckt hatten.

      »Hallo, ich bin Angelika Langenbach und wohne hier in Sophienlust«, stellte sich ein Mädchen vor und wies dann auf ihre Begleiterin: »Und das ist meine Schwester Vicky. Eigentlich heißt sie Viktoria, aber so nennt sie niemand. Wer bist du denn - und bleibst du für längere Zeit hier bei uns?«

      Kira schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin nur heute hier. Ich heiße Kira, und ich bin mit Tante Ellen hergekommen. Sie ist nicht meine richtige Tante, aber ich darf sie so nennen, weil sie eine gute Freundin von meiner Mutti ist. Tante Ellen ist Gartenbauarchitektin und soll sich hier einen Gemüsegarten ansehen, an dem etwas verändert werden soll.«

      »Dann kann es sich nur um Magdas Gemüsegarten handeln«, meinte Vicky. »Hier gibt es nur einen Gemüsegarten, und der gehört ihr. Ich kann euch beide zu Magda bringen.«

      Während Ellen sich gerne zu der Köchin führen ließ, zog Kira es vor, bei den Hunden zu bleiben und sich mit Angelika zu unterhalten.

      »Bist du mit deiner Schwester schon lange in Sophienlust?«, fragte Kira. »Ich habe gehört, dass die meisten Kinder, die hier wohnen, keine Eltern mehr haben. Stimmt das?«

      Angelika nickte. »Ja, das ist richtig. Vicky und ich sind schon seit einigen Jahren hier. Unsere Eltern sind bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen. Das war damals sehr schlimm für uns. Aber inzwischen fühlen wir uns in Sophienlust sehr wohl. Es ist das beste Kinderheim, das es auf dieser Welt gibt. Wir leben hier alle zusammen wie in einer großen und fröhlichen Familie.«

      »Es ist wirklich schön hier«, bestätigte Kira und ließ ihren Blick durch den weitläufigen Park streifen. »Wenn ich keine Mutter mehr hätte, wäre ich bestimmt auch lieber hier als in irgendeinem anderen Kinderheim.«

      »Ah, du hast noch eine Mutter? Ich dachte, du würdest bei der Frau leben, die die beste Freundin deiner Mutter ist und die du Tante Ellen nennst.«

      Kira schüttelte heftig den Kopf. »Nein, ich bin nur für eine Woche bei Tante Ellen, weil meine Mutter nach Österreich fahren musste. Sie ist Fotografin und hat dort einen Auftrag bekommen. Sie soll von einem Flugzeug aus ein Ferienzentrum fotografieren. Weil im Moment keine Ferien sind, konnte sie mich nicht mitnehmen. Einen Vater, der auf mich aufpassen könnte, habe ich leider nicht mehr. Er