Karina Kaiser

Sophienlust - Die nächste Generation Staffel 1 – Familienroman


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musste sich einen gespielt strafenden Blick gefallen lassen.

      »Du hast von uns beiden die besseren Instinkte und von Anfang an alles durchschaut. Trotzdem hast du mich im Dunkeln tappen lassen. Hättest du mir nicht wenigstens zuflüstern können, dass Christine in Wirklichkeit Romina ist?«

      Barbara schüttelte den Kopf. »Nein, mein Lieber, dazu war die Zeit noch nicht reif. Du solltest dich erst richtig in dein Enkelkind verlieben. Ich habe schon lange darüber nachgedacht, ob es richtig war, Jennys Tochter abzulehnen, und war zu der Überzeugung gekommen, dass wir damit wahrscheinlich einen riesengroßen Fehler machten. Aber mit dir war darüber nicht zu reden. Jetzt wollte ich kein Risiko eingehen und zu früh mit der Wahrheit herausrücken. Rominas Chance, dein Herz im Sturm zu erobern, durfte nicht aufs Spiel gesetzt werden. Deshalb habe ich geschwiegen. Außerdem wusste ich ja selbst nicht so genau, was hier eigentlich gespielt wird. Ich habe nur gespürt, dass Christine nicht irgendein Kind, sondern unsere Enkelin Romina ist.«

      »Ich bin so froh, dass alles zu Ende ist und dass ich jetzt nicht nur liebe Eltern, sondern auch nette Großeltern habe«, bemerkte Romina glücklich. »Nun muss ich keine Angst mehr haben, dass ich mich verplappern könnte. Ich brauche nicht mehr zu schwindeln. Das ist gut. Ich lüge nämlich nicht gern. Meine Mama Jenny und mein Papa Alessandro haben nämlich immer gesagt, dass Menschen niemals lügen sollen. Sie haben mir erklärt, dass es nicht so schlimm ist, wenn ich etwas angestellt habe. Dann sollte ich ruhig die Wahrheit sagen. Nur lügen sollte ich auf keinen Fall. Sie konnten es nicht leiden, wenn jemand unehrlich war. Aber diesmal ging es nicht anders.«

      Thorsten spürte einen Kloß in seinem Hals. Er fühlte sich beschämt. Wie sehr hatte er seinen Schwiegersohn verachtet und ihn für einen primitiven Taugenichts gehalten, für den es keine moralischen Werte gab. Insgeheim musste er diesem Mann jetzt Abbitte leisten. Ein italienischer Schausteller musste nicht zwangsläufig ein schlechter Mensch sein, der nicht in der Lage war, ein Kind zu erziehen.

      Jenny hatte die Werte dieses Mannes damals erkannt und sich für ihn entschieden.

      Jetzt war es zu spät, sich mit den beiden zu versöhnen und sie um Verzeihung zu bitten.

      Aber für ihre Tochter konnte er wenigstens etwas tun und damit vielleicht einen Teil seiner Schuld ausgleichen.

      »Wir sollten jetzt nach Sophienlust fahren«, schlug Thorsten vor. »Ich möchte mich gerne bei Nick, dem Urheber dieser ganzen Geschichte, bedanken. Außerdem würde ich auch gerne Fabio kennen lernen. Er ist nun ja auch ein vollwertiges Familienmitglied. Unterwegs würde ich für den kleinen Kerl gerne noch ein Leckerchen besorgen. Ohne Willkommensgeschenk möchte ich ihm nicht unter die Augen treten. Gibt es hier eine Metzgerei in der Nähe?«

      »Die werden wir nicht brauchen«, meinte Andrea. »Wir haben immer genügend Hundefutter im Haus und auch viele andere Leckerbissen, die bei Hunden beliebt sind. Im Haushalt eines Tierarztes mangelt es daran nie. Ich packe rasch etwas ein.«

      Es dauerte nicht lange bis alle startbereit waren. Auch Andrea und Hans-Joachim wollten mit nach Sophienlust fahren. Ihre Anwesenheit dort war zwar nicht unbedingt erforderlich, aber bei diesem ganz besonderen Ereignis wollten sie anwesend ein und an dem Glück einer jungen Familie teilhaben.

      *

      Niemand in Sophienlust wusste, was sich im Haus des Tierarztes in Bachenau abspielte. Es herrschte eine allgemein gespannte Stimmung. Die Kinder sprachen nicht viel miteinander. Alle waren mit ihren Gedanken beschäftigt und drückten die Daumen. Jeder hoffte, dass die Sache gut ausgehen würde, aber sicher war sich niemand. Immer wenn das Telefon läutete, liefen die Kinder herbei und hofften auf eine erlösende Nachricht. Aber keiner der Anrufe kam aus Bachenau, und jedes Mal war die Enttäuschung deutlich spürbar.

      Auch Nick und Denise machten sich Sorgen. Für sie war es ein unerträglicher Zustand, dass ihnen im Moment die Hände gebunden waren. Zu gern hätten sie etwas zum Gelingen des Unternehmens beigetragen. Doch das war nicht möglich.

      »Wir bekommen Besuch!«, rief Schwester Regine plötzlich aufgeregt. »Da kommen drei Autos. Eins gehört den Marbachs und eins Hans-Joachim von Lehn. Den dritten Wagen kenne ich nicht. Das könnte der von Rominas Großeltern sein. Wenn sie nicht gleich wieder nach Hause gefahren sind, sondern mit zu uns kommen, könnte das ein gutes Zeichen sein.«

      Die Kinder waren nicht mehr zu halten. Geschlossen stürmten sie nach draußen und befanden sich noch auf der Freitreppe, als Romina die Wagentür aufriss und ihnen entgegenlief.

      »Es hat geklappt! Alles ist gut! Ich habe tolle Großeltern, die mich mögen!«

      Diese drei Sätze reichten den Kindern vollkommen. Sie waren eine klare und wundervolle Mitteilung, die ihnen alle Sorgen nahm und sie aufatmen ließ.

      Während der folgenden Stunden waren alle Spannungen und Ängste vergessen. In Sophienlust herrschte eine so fröhliche Stimmung wie schon lange nicht mehr. Thorsten und Barbara bedankten sich bei Nick für dessen abenteuerliche Idee.

      »Es freut mich, dass Sie mir nicht böse sind«, bemerkte Nick. »Eigentlich ist es etwas hinterhältig gewesen. Aber Sie waren ein so harter Fall, dass ich keinen anderen Ausweg gesehen habe.«

      »Verbohrte alte Männer verlangen manchmal besondere Maßnahmen«, erwiderte Thorsten. »Ohne diese kleine Hinterhältigkeit wären mir die Augen nie geöffnet worden. Sie war einfach notwendig.«

      Fabio hatte seine Extra-Häppchen dankbar angenommen, schien aber nicht nur wegen dieses Geschenks von Thorsten und Barbara begeistert zu sein. Immer wieder kam er zu ihnen und ließ sich das Fell kraulen. Instinktiv schien er zu spüren, dass jetzt nicht nur Daniel und Linda, sondern auch Thorsten und Barbara zu seiner Familie gehörten.

      Obwohl es noch viele Formalitäten zu erledigen gab, hatte Denise nichts dagegen, dass Linda und Daniel Romina noch am selben Tag mit zu sich nach Hause nahmen. Kurz bevor sich die Familie verabschiedete, schaute Thorsten Romina nachdenklich an. »Bist du eigentlich schon einmal in Italien gewesen?«, wollte er wissen.

      »Einmal, aber da war ich noch ganz klein und kann mich gar nicht mehr richtig daran erinnern.«

      »Ein Land, dessen Sprache man spricht, sollte man aber öfter besuchen. Weißt du was, im nächsten Jahr lade ich dich und deine Eltern zu einem schönen langen Urlaub in Italien ein.«

      »Wirklich?« Rominas Augen strahlten. »Das finde ich prima. Vielleicht lernt ihr dann dort auch ein bisschen Italienisch. Jedenfalls werden wir eine Menge Spaß haben. Ich freue mich schon darauf. Es muss toll sein, mit seinen Eltern und Oma und Opa Urlaub zu machen.«

      Fabio baute sich vor Thorsten auf, reichte ihm die Pfote und schaute ihn fragend an. Es hatte fast den Anschein, als wolle er eine stumme Frage stellen.

      »Keine Sorge, dich vergessen wir nicht. Du kommst selbstverständlich mit, du Schaustellerhund du«, versprach Thorsten lachend, griff mit einer Hand nach der dargebotenen Pfote des Hundes und fuhr ihm mit der anderen Hand liebevoll durch das Fell.

Cover Ich will zu meiner Mutti

      »Hast du auch nicht vergessen, die Knabberstangen für Rosi und Robbi einzupacken?«, fragte Liane Eichhöfer und schaute ihre Tochter Kira lächelnd an.

      »Mutti! Natürlich habe ich das nicht vergessen. Hier, der Beutel ist ganz voll mit all den Sachen, die Rosi und Robbi brauchen.«

      Kira hielt demonstrativ einen Leinenbeutel hoch, der prall gefüllt war. Liane nickte zufrieden. Im Grunde genommen wusste sie genau, dass sie ihre Frage gar nicht hätte stellen müssen. Die beiden Kanarienvögel Rosi und Robbi waren ihrer neunjährigen Tochter sehr wichtig.

      Vor vier Jahren war bei Lianes Mann Robert ein Gehirntumor festgestellt worden, der nicht operabel gewesen war und an dem er schon zwei Monate später gestorben war. Kira, die seinerzeit gerade fünf Jahre alt gewesen war, konnte die Endgültigkeit des Todes zwar noch nicht so recht begreifen, litt aber doch sehr darunter, dass ihr Vati plötzlich nicht mehr da war. Um das kleine Mädchen ein