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Ein Heimsieg per Post


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– Borussia verliert einen herausragenden Stürmer und Kohn verpasst es auf diese Weise, noch zum Bundesligaspieler zu werden.

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      1964|65

      Günter Netzer, der Star-Trompeter

      Das hat sich die Redaktion des „Aktuellen Sport-studios“ im ZDF irgendwie anders vorgestellt. Einen ausgelassen feiernden und glänzend aufgelegten Aufsteiger in die Bundesliga wollte sie ihrem Publikum eigentlich präsentieren, als sie die komplette Mannschaft Borussias in die Sendung am 19. Juni 1965 eingeladen hat. Doch dieser Plan geht schief: Denn das Team von Trainer Hennes Weisweiler kommt in der Aufstiegsrunde bei Holstein Kiel trotz einer 1:0- und 2:1-Führung böse mit 2:4 unter die Räder. Der Einladung ins Fernsehen folgt man aber trotz der verpatzten Chance natürlich dennoch. Schließlich ist das große Medieninteresse für Borussia neu und schon etwas Besonderes: Schon über die 2:4-Niederlage in Kiel berichten sowohl die ARD als auch das Zweite Deutsche Fernsehen in Ausschnitten. Und die Einladung ins Sportstudio zum Talk mit dem smarten Moderator Wim Thoelke ist erst recht eine Wertschätzung, die Borussia bisher noch nicht erfahren durfte.

      Also machen sich die geschlagenen Fußballer per Omnibus direkt vom Holstein-Stadion auf zum Hamburger Flughafen. Es wird keine Jubelfahrt mit Champagner und Bier – das hatte sich die Mannschaft am Nachmittag selbst versaut. Am Flughafen wartet eine extra für diesen TV-Auftritt gecharterte Maschine und bringt den Borussen-Tross zum Flughafen Düsseldorf-Lohausen. Von dort geht es, begleitet von einer Polizeieskorte, mit etwas Verspätung und in den schicken dunkelblauen Jacken und den grauen Hosen zu den Messehallen nach Köln-Deutz. Das Sportstudio überträgt vom Sportpresseball, schon zwei Stunden vor Beginn der Sendung unterhält das Orchester Max Greger das Publikum in den verrauchten und riesigen Hallen mit schmissigen Rhythmen.

       Hier war zu sehen, was zum modernen Fußball gehört. So schafft man sich Erfolge, Freunde – und die Tabellenspitze, auch eine Meisterschaft!

       Kurt Sahm, Trainer vom STV Horst, nach der 1:10-Heimniederlage gegen Borussia

      Eines der Hauptthemen der Sendung: die Tour de France. Zu Beginn der Übertragung werden in einem ersten Filmbeitrag einige Fahrer interviewt. In einem zweiten Bericht geht es endlich um die Aufstiegsspiele zur Fußball-Bundesliga. Die Zuschauer in der Halle können auf den Monitoren verfolgen, wie Borussia die direkte Aufstiegschance verdaddelt hat. Während dieser Beitrag läuft, passiert auf der Bühne das große Stühlerücken: Das Orchester Max Greger räumt das Podium, und für alle Zuschauer überraschend besetzen Manfred Orzessek, Walter Wimmer und Co. die Plätze an den Musikinstrumenten. Als der Filmbeitrag zu Ende ist, schwenkt die Kamera über die Bühne und zeigt die VfL-Fußballer an Blasinstrumenten, Kontrabass und Schlagzeug. Überraschend gut gelaunt legen die Borussen unter dem Jubel der Halle los. Doch dass diese musikalische Darbietung nur Playback ist, bleibt dem einen oder anderen Musikkenner nicht verborgen.

      Moderator Wim Thoelke und Trainer Hennes Weisweiler spielen das Spielchen jedoch weiter. Borussias Coach soll seine Mannschaft vorstellen und beginnt mit dem „Star-Trompeter Günter Netzer“. Die Niederlage vom Nachmittag scheint längst vergessen – oder den Borussen ist in diesem Moment noch nicht bewusst, welch historische Aufstiegschance da liegen gelassen wurde. Aber noch ist nicht aller Tage Abend, und so spricht im anschließenden Interview gesunder Optimismus aus Weisweiler, als er verspricht, dass seine Mannschaft das fehlende Pünktchen im abschließenden Aufstiegsspiel gegen Wormatia Worms auf dem Bökelberg holt.

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      Borussia stürmt in der Saison 1964/65 die Bundesliga und später auch das Sportstudio.

      Beim Ausmarsch der Mannschaft hat das „richtige“ Orchester längst wieder Platz genommen und spielt das Leib- und Magenlied aller Fußballer in diesen Tagen: „Aber eins, aber eins, das bleibt besteh’n – Mönchengladbach wird nie untergeh’n!“ Ein Lied, das, in Moll gespielt, nur irgendwie einem Trauermarsch ähnelt. Aber der Schlussakkord gelingt Borussia dann tatsächlich eine Woche später, am 26. Juni: Es ist ein kräftiger Tusch. Günter Netzer, diesmal nicht als Star-Trompeter, sondern als Spielmacher im Einsatz, gleicht das Wormser Führungstor von Bedürftig aus und schießt Borussia in die Bundesliga.

      SAISONVERLAUF

      JUNG, FORSCH, AUFSTEIGER Nach einem zähen Zweikampf mit Alemannia Aachen qualifiziert sich Borussia als Meister der Regionalliga West für die Aufstiegsrunde zur Bundesliga. Und dieser erste Platz ist einfach nur verdient: Keine Mannschaft ist so jung, keine spielt so einen herzerfrischenden Offensiv-Fußball wie Borussia. Kein anderes Team schießt auch nur annähernd 92 Tore und hat in Heynckes (23 Treffer), Rupp (23) und Netzer (17) ein derart torgefährliches Angriffstrio. Die Rheinische Post warnt: „Gefeiert wird später“. Dennoch geht das Team nach Meinung der Zeitung als Favorit in die Viererrunde, deren bestes Team am Ende in der Eliteklasse mitmischen darf. In der Aufstiegsrunde wird alles auf null zurückgedreht. Die Gegner heißen Holstein Kiel, SSV Reutlingen und Wormatia Worms, und Borussia stellt die Weichen in den ersten vier von sechs Spielen ganz klar in Richtung Bundesliga: 5:1 gewinnt man in Worms, 1:0 in letzter Minute gegen Kiel, und gegen Reutlingen spielt man 1:1. Das Rückspiel gegen den SSV geht auf dem wie in allen Aufstiegsspielen ausverkauften Bökelberg 7:0 an den VfL, doch am fünften Spieltag droht die Sache dann noch zu kippen: Kiel gewinnt überraschend 4:2 gegen Borussia, es fehlt ein Punkt zum Aufstieg. Doch den holt der VfL im letzten Spiel gegen Worms. Günter Netzer schießt das Tor ins Oberhaus. Das „große Warten“ (RP) hat ein Ende, gemeinsam mit dem FC Bayern München steigt Borussia in den erlauchten Kreis der Erstligisten auf.

      PERSONALIE

      MANFRED ORZESSEK: ALTER HASE MIT FREUDENTRÄNEN Dass die Borussen in der Saison 1964/65 die jüngste Mannschaft der Regionalliga stellen, liegt ganz bestimmt nicht an ihrem Torwart: Manfred Orzessek ist mit seinen 31 Lenzen zehn Jahre älter als ein Großteil seiner Teamkollegen, einzig Verteidiger Gerd Schommen ist älter als der Schlussmann, der liebevoll „der Dicke“ genannt wird. Orzessek ist seinen Kollegen nicht nur einiges in Sachen Lebenserfahrung voraus, sondern auch, was den sportlichen Erfolg angeht: Denn er wurde 1958, drei Jahre vor seinem Wechsel an den Bökelberg, als Stammtorwart Deutscher Meister mit dem FC Schalke 04. Ein abgebrühter Hund eben und ein echtes Kind des Ruhrgebiets, das sein Herz auf der Zunge trägt. Ein selbstbewusster Torwart, der ungewöhnliche und gewagte Flugparaden zeigt und seine Vorderleute lautstark dirigiert. Ein alter Hase und Bär von einem Mann, der nach dem vollendeten Aufstieg aber große Mühe hat, seine Freudentränen hinter der Torwartmütze zu verstecken.

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      1965|66

      Der Pass kommt im Safe

      Es ist Donnerstagabend, als in Borussias Mannschaftsquartier Schloss Glienicke in Berlin die Telefondrähte ordentlich glühen. In zwei Tagen spielt die Fohlenelf im Olympiastadion gegen Tasmania Berlin. Die Aufregung im Teamhotel ist weniger auf die Aufgabe beim abgeschlagenen Tabellenschlusslicht als vielmehr auf den Umstand zurückzuführen, dass gleich vier Spielern der Fohlenelf eine unfreiwillige Verlängerung der Dienstreise in die geteilte Stadt droht. Sie haben ihre Pässe zu Hause gelassen. Einige Stunden zuvor, am frühen Mittag, sind Mannschaft, Trainer und Betreuer im Bus auf dem Weg von der Geschäftsstelle zum Düsseldorfer Flughafen, als bemerkt wird, dass die vier Akteure ihre Ausweise nicht im Reisegepäck haben. „Wir dachten, Berlin gehöre zu Deutschland“, versuchen sie sich zu rechtfertigen. Die Situation ist aber eindeutig: Bei der Ausreise aus Berlin – auch über den Flughafen Tempelhof – erfolgt die gleiche Registrierung und Kontrolle, als wenn man aus dem Ausland zurückkehrt. Für die vier Fußballer heißt das: ohne Ausweis keine Rückreise aus Berlin.

      Nachdem die Fohlenelf ihr Quartier an der Grenze von Berlin zu Potsdam bezieht und in einer Halle am Wannsee erst einmal eine kleine Trainingseinheit absolviert,