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Ein Heimsieg per Post


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Schienbeinknochen gesehen habe. „Ja, leve Mann, wat glaubt ihr denn, womöt ech in Jlabach die Tore maach?“, entgegnet der „Pitter“. In seinem Zimmer türmen sich die Blumensträuße und Genesungskarten, jeden Tag geben sich die Besucher die Klinke in die Hand, und auch das Telefon steht nicht still. Kein Wunder, schließlich hat die Westdeutsche Zeitung offenherzig dazu aufgerufen, dem „Pitter“ zu schreiben oder ihn in seinem Krankenzimmer anzurufen, sogar die Durchwahlnummer hat das Blatt mit abgedruckt. Gerade so, als wüssten alle, dass der ungeduldige „Pitter“ nichts mehr braucht als Ablenkung. „Der Pitter freut sich über jeden Gruß aus der freien Welt wie nie zuvor.“

      17 Tage verbringt Meyer im Duisburger Krankenhaus, doch damit ist seine Leidenszeit noch nicht beendet. Aus den vier Monaten ohne Fußball, die ihm die Ärzte zunächst angekündigt haben, werden fast anderthalb Jahre. Am 23. August 1969, dem ersten Spieltag der übernächsten Saison, läuft Peter Meyer noch mal für Borussia auf, muss das Heimspiel gegen Bayern München aber schon in der Pause wieder beenden – zu groß sind die Schmerzen im Bein. Es bleibt sein letztes Spiel für Borussia Mönchengladbach.

      PERSONALIE

      DOPPELTE ZWILLINGE Vier Spieler stoßen vor der Saison 1967/68 aus Borussias eigener Jugend zum Profikader. Kurioserweise handelt es sich bei den vieren um zwei Zwillingspärchen: Erwin und Helmut Kremers sowie Dieter und Klaus Baumanns. Während die Baumanns-Brüder zu keinem Einsatz kommen und nach der Saison zu Holstein Kiel wechseln, gelingt den Kremers-Zwillingen der Sprung in die Bundesliga. Fünf Spiele macht Erwin in seinem ersten Jahr, zwei sein Bruder Helmut. So richtig erfolgreich werden beide aber auch erst später bei anderen Vereinen, bei den Offenbacher Kickers und Schalke 04. Ein doppeltes Zwillingspärchen in die Bundesliga zu bringen, das machte Hennes Weisweiler niemand mehr nach. „Die kennen sich schon von klein auf und einer möchte immer besser als der andere sein“, so der Trainer der kickenden Brüder.

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      1968|69

      Siegprämie Oktoberfest

      2:5, 3:3, 3:4, 3:4, 1:3, 0:0 – wann immer es bislang in der Bundesliga für Borussia nach München ging, es gab noch keinen Sieg zu feiern – weder gegen 1860 noch gegen Bayern München. Sogar in den sechs Heimspielen auf dem Bökelberg konnte noch kein Sieg gegen eine Münchner Mannschaft verbucht werden. Und was tut man als guter Trainer, wenn’s nicht läuft? Man greift in die Trickkiste und lobt zur Motivation der Spieler eine besondere Prämie aus. „Wenn wir Erfolg haben“, kündigt Hennes Weisweiler in der Pressekonferenz vor dem Auswärtsspiel bei den „Sechz’gern“ an, „dann gehen wir zusammen aufs Münchner Oktoberfest.“

      Nach sieben Spieltagen stehen die glänzend in die Saison gestarteten Borussen in der Bundesligatabelle auf dem zweiten Platz, selten waren die Vorzeichen für einen Sieg in der bayrischen Landeshauptstadt besser als diesmal. Borussias Nationalspieler Günter Netzer und Berti Vogts zeigen, vielleicht auch angespornt durch die Sonderprämie, ganz besonderen Einsatz: Unmittelbar nach dem Länderspiel mit der Nationalmannschaft in Frankreich fahren die beiden mit dem privaten Pkw vom Frankfurter Flughafen nach Mönchengladbach, um nur 18 Stunden nach dem Länderspiel mit den VfL-Kollegen zu trainieren.

      Wie dem auch sei: Beide sind am 28. September 1968 im Stadion an der Grünwalder Straße Teil einer Mannschaft, die in der 18. Minute durch Vogts in Führung geht. Nach dem Seitenwechsel schrauben Hartwig Bleidick und zweimal Peter Dietrich das Endergebnis bei Nieselregen auf 4:0 in die Höhe – von einem München-Komplex ist nichts zu spüren. Vielleicht ist Weisweilers Oktoberfest-Angebot der Grund für die großartige Mannschaftsleistung, vielleicht die nagelneuen und erstmals getragenen Klubanzüge oder der Aufenthalt im piekfeinen Luxushotel. Löwen-Trainer Albert Sing muss nach dem Spiel jedenfalls zugeben: „Borussia war einfach eine Klasse besser. Das ist schon hervorragend, wie da jeder mitspielt, jeder in Bewegung und immer anspielbar ist.“ Die Analyse Weisweilers fällt kurz und knapp aus: „Unser Spiel ist gut gelaufen, so, wie wir es gerne wollten. Netzer hatte immer den Raum, den er für sein kluges Spiel brauchte. Ja, meine Herren, wir gehen jetzt mit der ganzen Mannschaft auf die Wies’n zum Oktoberfest. Dafür haben Sie wohl Verständnis.“

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      Drei Männer, drei Bier und zwei Punkte im Gepäck: Rudi Pöggeler, Hacki Wimmer und Berti Vogts begießen den 4:0-Sieg bei 1860 München auf dem Oktoberfest.

      Die Stimmung im Bus ist schon auf der Hinfahrt zur Theresienwiese grandios, durch diesen Triumph bleibt der VfL erster Verfolger von Spitzenreiter FC Bayern.

      Bis 22 Uhr, so ist die klare Ansage des Coaches, darf sich die Mannschaft im Getümmel treiben lassen – danach geht es noch in der Nacht weiter zu einem Freundschaftsspiel nach Österreich zum SV Gröding. Bis dahin aber dürfen die Borussen die Puppen tanzen lassen. Da der FC Bayern an diesem Tag bei Eintracht Braunschweig spielen muss, ist die Loge der „Roten“ im riesigen Festzelt frei für die Gäste aus Mönchengladbach. Günter Netzer, Berti Vogts und Hacki Wimmer sitzen mit Maßkrug und Tirolerhut an der langen Bierbank, aber auch Präsident Dr. Helmut Beyer und Coach Weisweiler haben die Gaudi ihres Lebens. Auf dem Oktoberfest ist man schließlich nicht alle Tage.

      SAISONVERLAUF

      WIEDER DRITTER Für den Computer steht der Deutsche Meister schon vor der Saison fest: Borussia Mönchengladbach! Die Bild-Zeitung hat einen riesigen Rechner mit allerhand Informationen über die neue Saison gefüttert. Heraus kam, dass sich die Mannschaft von Trainer Hennes Weisweiler um zwei Plätze verbessert – und die Schale in die Vitusstadt kommt. Auch Weisweiler selbst hält mit seinem ehrgeizigen Vorhaben nicht hinterm Berg, die Meisterschaft anzupeilen. Und das, obwohl die Mannschaft eigentlich nur durch Jung-Nationalspieler Horst Köppel verstärkt wird. Ansonsten wechseln die zuvor wenig bekannten Wolfgang Kleff, Hartwig Bleidick und Winfried Schäfer an die Bökelstraße. Und nach dem 4:0-Sieg am achten Spieltag bei 1860 München sieht es gut aus für den VfL: Mit sechs Siegen und nur einer Niederlage ist die Mannschaft Zweiter hinter den Bayern. Doch genau danach bleiben die Borussen vier Spiele in Folge sieglos und verlieren so ein wenig den Anschluss. Und, obwohl die Stürmer nicht mehr so häufig treffen wie in der Vorsaison: Nach 20 Spieltagen ist Borussia punktgleich mit dem Spitzenreiter. Nach drei Niederlagen in Serie rutscht Borussia allerdings auf Rang fünf ab und sollte sich davon nie mehr so recht erholen. Immerhin wiederholt das Team am Ende den dritten Platz des Vorjahres, am letzten Spieltag gibt es bei der 5:6-Nie-derlage in Bremen ein Schützenfest auf beiden Seiten – das Borussia letztlich die Vize-Meisterschaft kostet. Aachen wird Zweiter, die Bayern Meister – und der Bild-Computer hat Unrecht.

      Das denkt sich offenbar auch eine Spielergruppe um Egon Milder, Wolfgang Kleff und Berti Vogts. Sie erscheint nicht um 22 Uhr am Treffpunkt und beteuert, dass das allein an der Tatsache liegt, sich verlaufen zu haben. In die Mannschaftskasse blechen müssen sie trotzdem – schließlich muss der Rest des Trosses auf die Nachzügler warten. Für Egon Milder jedoch verläuft es glimpflicher: Da er die Reisegruppe während der kompletten Busfahrt mit lauten Gesängen unterhalten und zum Mitsingen animiert hat, lässt der Mannschaftsrat später Gnade walten – und reduziert die Strafe um zehn Mark. Günter Netzer übrigens beteuert wenig überzeugend, dass die Verspätung seiner Kollegen aber auch gar nichts mit Alkoholkonsum zu tun hatte: „Wir können auch mit Bier umgehen. Was man uns neulich aber, bei unserem harmlosen Wies’n-Bummel auf dem Oktoberfest, als Bierverbrauch angedichtet hat, war eine blanke Zeitungsente.“

       Wie viel Post ich täglich bekomme, weiß ich nicht. Autogrammpost beantwortet meine Mutter. Liebesbriefe und Heiratsanträge erledige ich persönlich.“

       Günter Netzer

      PERSONALIE

      WINFRIED SCHÄFER – EIN „ROTER“ FÜR DEN COACH „Ne Vosse“, also einen Rothaarigen, will Hennes Weisweiler unbedingt in seiner Mannschaft haben. Natürlich ist die auffällige Haarpracht längst nicht das Einzige, das Winfried Schäfer