Winde standen günstig, die See war uns gut gesonnen und die Fracht gab mir die Gewissheit, dass alles seine Richtigkeit hatte. Es war inzwischen der 21. März und die Magdalena segelte südwärts der Sonne entgegen. Pinzon, wir kommen und ich kann dir nur raten, noch am Leben zu sein, damit sich diese Fahrt nicht als Zeitverschwendung erweist. Eduardo Cortez sagte kein Wort, doch ich konnte seine Gedanken lesen. Er war verunsichert. Würde ich Jacques und Gilles die Freiheit wiedergeben? Würde ich mein Versprechen halten und mir die Reliquien aus Paris aushändigen lassen?
Ja, dieses Versprechen würde ich einhalten und bei nächster Gelegenheit Cortez mit einer Depesche nach Paris schicken, um den Großmeister zu bitten, ihm die Gefangenen zu übergeben und ebenso die Reliquien, sollten wir diese Reise überleben. Ich hoffte nur, dass Robert de Craon noch der Großmeister war, dessen Wertschätzung ich ebenso sicher war wie der Gondamers, mein bester Freund und Compagnon der ersten Stunde. Wie sehr vermisste ich ihn.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wie es in Paris, im Heiligen Land, in La Rochelle oder in Rom zuging. Keine Ahnung von den ständigen Angriffen der Sarazenen, von dem Bedarf an Soldaten, die sich für den Vatikan und nicht für Yeshua, den Zimmermann aus Nazareth, abschlachten ließen. Für die Intrigen im Orden und im Königshaus. Für die Zwietracht, die sich zwischen den Johanniterorden und den Templern ausbreitete. Für die Unsummen, die dieser Krieg kostete und gleichzeitig dem Orden einbrachte. Mehr und mehr Spenden, Beitritte adliger Abenteurer, Landgewinnung durch Schenkung, der Bau von Klöstern und Kathedralen für die Unterschlagung gestohlener Gelder. All das lief weit von uns und unserer Nussschale ab, die auf und ab schwankte auf dem Meer, das mit jedem Tag blauer wurde.
Wir waren frei und unbelastet. Den Bauch des Kahnes voller Schätze, und alles, was wir brauchten, war eine neue Heimat, eine neue Identität und den Tag, an dem wir wieder nach Osten segeln durften.
Regenschauer überraschten uns an diesem Morgen des 27. März 1138, doch die See blieb beständig. Kein Sturm war zu sehen, nur ein paar Wolken hier und dort. Das Astrolabium konnte wir in diesen Tagen des Öfteren präzise benutzen, sodass unsere Karte immer besser und verständlicher wurde. Die Randnotizen gaben Auskunft über geschätzte Geschwindigkeit, Tiefen und Strömungen.
Ralf de Saddeleye und Ascanio leisteten vorzügliche Arbeit und auch Richard vollbrachte ein Meisterwerk, als er mir das Logbuch jeden Abend überbrachte und ich es im lauen Kerzenlicht mit den Augen überflog.
Was hätte ich mir mehr wünschen können. Alles lief perfekt.
Am 1. April jedoch sah ich diese dunkle Wolkenwand vor uns, die mich in der Vergangenheit schon mehrmals das Fürchten gelehrt und uns fast Boot und Mann gekostet hatte. Ein Sturm braute sich am Horizont zusammen und Blitze und Donner bestätigten, dass wir uns auf etwas Großes gefasst machen mussten.
„Alles festzurren. Segel reffen. Kurs näher an die Küste einschlagen!“, befahl ich.
Die Wellen wurden höher und der Wind nahm zu. Auch wechselte er ständig die Richtung und brachte uns um den Verstand, da wir in Bedrängnis gerieten, egal wie wir steuerten.
„Ascanio, wie weit sind wir von der Küste entfernt?“
„Das kann ich so mit Sicherheit nicht sagen, Admiral. Ich schätze, 15 Meilen.“
„Küste ansteuern und Bucht aufsuchen. Dieser Sturm wird kein kleiner sein!“ Bei Gott, wie sehr ich es hasste, wenn ich bei diesen Prophezeiungen recht behielt. Die Magdalena wurde zum Spielball der See, die ihre Launen nun an uns ausließ, als hätte Poseidon zu viel des Weines in der Tiefe seines Reiches genossen.
Ich nahm nun die Pinne zur Hand und befahl den Männern vorne am Bug, Ausschau nach einer sicheren Bucht zu halten. Doch alles, was sie sahen, waren schäumende Wellen, die immer höher stiegen. Fünf Glasen später kam der rettende Ruf vom Ausguck: „Bucht voraus. Bucht voraus!“
Die Magdalena wurde nach vorne gespült dann wieder nach hinten. Es war ein Verzweiflungskampf, den wir am Ende gewannen. Die Bucht war sicher und nur von wenigen Riffen umgeben. Es regnete Katzen und Hunde, wir konnten nichts mehr erkennen, als ich den Kahn geistesgegenwärtig regelrecht hineinspülen und noch einmal volle Segel setzen ließ, damit dieses Elend ein Ende fand.
In der Bucht endlich legte sich die See und die Segel wurden eingeholt. Die Ankertrosse surrte den Rumpf entlang in die Tiefe und jeder suchte sich zunächst ein sicheres Plätzchen auf Deck. Unter Zeltplanen versteckten sich die meisten der Männer, um sich vor dem Regen zu schützen. Ich hingegen eilte zu meiner Kabine und überzeugte mich davon, dass Karten und Logbuch sicher und trocken waren. Das Ächzen des Gebälks ließ mich wissen, dass es in der Bucht inzwischen sicher war, sich jedoch draußen auf dem Meer die Hölle aufbaute. Ich fror in den nassen Sachen und suchte eiligst trockene. Als ich diese fand, zog ich sie an und legte mich auf die Pritsche, wo ich sofort zitternd einschlief.
Es war die Nacht des 2. April 1138 als ich, durch Ascanios Hand aufwachte und schlaftrunken die von Seesalz verkrusteten Augenlider öffnete.
„Admiral … Admiral … steht auf …!“, hörte ich leise.
„Ascanio … bei Gott, wie lange habe ich geschlafen?“
„30 Glasen, Bruder. Der Sturm hat sich gelegt und der Himmel ist sternenklar. Wir sollten diese Bedingungen nutzen, da auch der Wind günstig zu sein scheint.“
Ich stand von der Pritsche auf und stellte dabei fest, wie nass die Decke und ebenso mein Hemd waren. Ich war nassgeschwitzt, und ein qualvoller Schmerz in meinem Schädel erschwerte meine Gedanken zusätzlich. Ich fühlte mich, als ob ich zehn Krüge Wein allein getrunken hätte. Da begriff ich, dass eine Krankheit sich bei mir eingenistet hatte.
„Ich komme an Deck, Ascanio. Ich danke dir, Bruder, dass du mich geweckt hast …!“
Ascanio ergriff meinen linken Arm sofort, als ich meinen Halt verlor und fast zu Boden gefallen wäre.
„Gehts Euch nicht gut Admiral?“, fragte er besorgt.
„Doch, doch. Es ist nur die Müdigkeit, mein Freund!“
Ich zog mir die Weste an und begab mich an Deck, wo die See meine Lungen mit frischer Luft füllte und ich langsam zu Sinnen kam. Doch mit jedem Schritt, den ich tat, drohten meine Beine ihren Dienst zu verweigern und ich suchte Halt an den herumhängenden Schoten und Seilen. Der Medicus schaute mich an und wusste sofort, dass es mir nicht gut ging. Er befahl einem der Männer, mir einen Kräutertrunk zuzubereiten und zu bringen. Der Vollmond schien hell in dieser Nacht und die Sterne glühten leuchtend weiß. Ein wunderschöner Anblick tat sich vor mir auf, es war dunkel und die knisternde Flamme der Kerze in der Laterne lockte Motten und kleine Libellen an.
„Lasst Anker lichten und setzt voll die Segel, Ascanio. Ihr habt recht, der Wind ist günstig. De Saddeleye, bring mir das Astrolabium und die Karte. Wir segeln weiter nach Süden!“
Kaum hatte ich dies ausgesprochen, brachte mir ein Sergeant einen Becher Shahi und ich sog vorsichtig an der brühend heißen Flüssigkeit, die meine Poren noch mehr öffnete und den Schweiß aus meinem geschundenen Körper trieb. Die Männer eilten an Deck wie Ratten, die auf der Flucht waren, doch sie waren keine Ratten. Sie waren das Einzige, das ich hatte, um diese meine elendige Einsamkeit, die meine Seele so verbrannte, zu erdulden. Die Krankheit schien mir Streiche zu spielen, denn trotz dieser wundervollen und reinen Nacht überkam mich dieses Heimweh. Ich wollte so sehr wieder nach Hause segeln. Was geschah nur mit mir?
Ralf de Saddeleye befreite mich aus meinen Gedanken, als er kurze Zeit später mit dem Astrolabium und der Karte neben mir stand.
„Wie befohlen, mein Admiral!“
„Ich danke dir, Bruder. Hilf mir, die Karte auszurollen!“
Ohne ein weiteres Wort tat Ralf, worum ich ihn bat und auch Eduardo, Richard und Ascanio gesellten sich zu mir. Ich setzte das Astrolabium an und suchte den Stern, der wichtig war für meine Bemessungen. Endlich fand ich den Nordstern und kurze Zeit später kritzelte ich ein Kreuz auf die Karte. Wir waren nicht besonders weit gekommen in all den Tagen, und das mussten wir nun ändern, stellte ich beunruhigt fest. Was ich