Füße still. Beweg dich nicht vom Fleck und warte, bis ich mich melde. Und jetzt gib Zvonko diesen Zettel brav zurück«, so lautete die Nachricht, die zweifellos vom Premierminister persönlich geschrieben worden war. Wie hypnotisiert gab Siniša dem Dünnen, der schon mit aufgeklapptem Zippo darauf gewartet hatte, den Zettel zurück. Der Typ stand unbeweglich da, bis das Feuer seine Finger erreichte, legte dann das verkohlte Papier in die Spüle und drehte den Wasserhahn energisch auf.
»Herr Mesnjak, lassen Sie es mich bitte wissen, wenn Sie etwas brauchen«, stieß Zvonko durch die Zähne und tat freundlich.
»Sagen Sie mal, was bin ich hier denn eigentlich? Eine verdammte Geisel oder was?«, versuchte Siniša es auf die harte Tour.
»Nein, Herr Mesnjak, aber wenn das ihr Wunsch ist, so sagen Sie es nur, ich bin hier, um alle ihre Wünsche zu erfüllen.«
Die harte Tour schien hier nicht zu fruchten.
»Ich brauche einen Collegeblock und drei feine Filzstifte, rot, blau und schwarz.«
»Ist bereits in ihrem Nachtschränkchen. Es ist auch ein grüner dabei.«
»Danke.« Sinišas Stimme nahm einen dienstlichen Ton an. Auf dem Weg zum Zimmer blieb er plötzlich stehen, lächelte hämisch und drehte sich um. »Und ich möchte Ćevapčići von Rahman aus Podsused.«
»Große oder kleine Portion?«, erwiderte Zvonko, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als Ćevapčići zu grillen.
»Äh … Zweimal die große.«
»Zwiebeln? Ajvar?«
Hätte an diesem Morgen jemand den am eindeutigsten geschlagenen Menschen auf der Welt gesucht, er hätte ihn in Dubrava gefunden, vor einem ausgeklappten Sessel, von dem sich gerade eine verschlafene junge Frau in zerknitterter Kleidung erhob, die Spitze einer Haarsträhne aus dem Mundwinkel zog und fragte:
»Geht es dir gut?«
Ein Flur, eine weiße Tür und ein Sessel davor. Eine weiße Tür. In seinen jüngeren Jahren, als Siniša sich noch für das Theater und schöne Worte begeistern konnte und sogar Gedichte schrieb, war eine weiße Tür am Ende eines Flurs eines seiner häufigsten Motive gewesen. Die weiße Tür, die die Welt verschließt, die weiße Tür, hinter der sich richtige und falsche Diagnosen verstecken, Urteile, Intrigen, Ermittlungen …
Die nächste Botschaft des Premierministers war erst am Freitagmorgen gekommen:
»Morgen, 12 Uhr, Zentrale. Gib Zvonko den Zettel zurück.«
Vor dieser weißen Tür in diesem Flur hatte er unzählige Male gesessen und gewartet, aber noch nie so mutlos und mit derart angeschlagenem Selbstbewusstsein. Er war – ohne wirklich schuldig zu sein – für die Wahlniederlage der Partei in der Hauptstadt verantwortlich; das war klar. Eine ganze Woche lang waren ihm die entscheidenden Informationen vorenthalten worden, ihn erreichten nur die Meldungen aus Zeitungen und Fernsehen, und die mussten keineswegs stimmen. Sie waren zumindest teilweise völlig falsch. Was der Premierminister nun wusste, dachte und beabsichtigte, ahnte Siniša nicht im geringsten. Immer wieder wischte er seine verschwitzten Handflächen an den Sessellehnen ab.
Der Premierminister empfing ihn über alle Erwartungen herzlich, und das war das schlechteste aller möglichen Zeichen. Er stand neben dem Tisch in seinem Büro, reichte Siniša die Hand und umarmte ihn.
»Na, altes Haus, ein Scheiß-Pech aber auch! Wie haben es diese Arschlöcher geschafft, dich über den Tisch zu ziehen? Zu ziehen?«
»Chef … Ich …«, begann Siniša, noch während er vom Premierminister umarmt wurde, die Rede, die er sich zurecht gelegt hatte.
»Lass nur. Lass nur … Setz dich! Willst du was trinken? Was trinken?«
Der Premierminister hatte einen merkwürdigen Sprachtick. Er wiederholte nach beinahe jedem Satz die letzten paar Worte. Als er an die Spitze der Regierung gekommen war und einen Sprecher einstellte, hatte Siniša diesem jungen Mann nahe gelegt, den Chef diskret, also mit äußerster Vorsicht, auf dieses Detail hinzuweisen, das zu dem Zeitpunkt schon zur Zielscheibe für alle Satiriker des Landes geworden war. Dem armen Jüngling, ansonsten Träger eines frisch erworbenen PR-Diploms von der Universität Lund, war nach einem Monat gekündigt worden und er war zu seinem Papa nach Schweden zurückgekehrt. Schweden zurückgekehrt.
»Nein danke, ich wollte nur sagen, dass ich …« Siniša versuchte, wieder zum Thema zu kommen.
»Lass gut sein, nicht nötig«, schnitt ihm der Premierminister tröstend das Wort ab und steckte dabei sein Poloshirt in die Hose. Er hatte es offensichtlich gerade erworben, für den Fall, dass man am Wochenende ein Interview mit ihm machen wollte.
»Ich weiß alles, mir ist alles klar. Wir arbeiten bereits die ganze Woche daran und haben schon zwei, drei Typen ausgemacht, die die Falle gestellt haben. Gestellt haben. Diese Bande versucht schon die ganze Zeit, uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Hör mal, ich bin schon seit der Kinderkrippe in diesem Geschäft, und ich könnte mir in den Arsch beißen, weil ich dich nicht gewarnt habe. Man isst nur zu Hause, man trinkt nur zu Hause, und draußen höchstens ein Schlückchen aus Höflichkeit, auch wenn es Wasser aus der Wasserleitung ist, die du gerade feierlich in Betrieb genommen hast! Genommen hast!«
»Chef, es war nur ein Mineralwasser in einem großen Glas …«
»Ich weiß, mit viel Eis und drei Scheiben Zitrone. Damit dir der Geschmack nicht verdächtig vorkommt, bis du zumindest die Hälfte getrunken hast. Wir haben ermittelt und alles herausbekommen, du brauchst mir gar nichts zu erzählen. Zu erzählen. Und diese Kleine, die sie dir dann später auf den Rücksitz geschoben haben, nackt und vollgedröhnt bis zum Anschlag, hat die Kellnerin gespielt. Alles war bis ins kleinste Detail durchgeplant. Wir konnten im letzten Moment verhindern, dass diese Bande sie am nächsten Tag nach Weißrussland deportierte. Weißrussland deportierte.«
Siniša sah ein, dass es für ihn am besten war, zu schweigen. Seine Mutmaßungen und späteren Notizen deckten sich bisher perfekt mit den Worten des Premierministers. Dass der Nachrichtendienst anständig gearbeitet hatte, war offensichtlich. Der Premierminister starrte schweigend aus dem Fenster und versuchte weiterhin, sein Poloshirt unter den Hosenbund zu schieben, obwohl das gar nicht nötig war.
»Hör mir genau zu, ich spreche ganz offen mit dir, offen mit dir«, meldete er sich nach einer halben Minute wieder. »Wenn ich in irgendjemandem meinen Nachfolger gesehen habe – oder, wie soll ich sagen, einen Politiker für das neue Kroatien, das uns eine Verpflichtung ist, vor allem, wenn es uns wirklich ernst ist damit … Hör mal, warum verziehst du denn sofort das Gesicht, ich sehe all das doch immer noch in dir … Aber jetzt haben sie dich ernsthaft am Arsch. Du hast nicht aufgepasst, nicht aufgepasst. Und ich bin genauso daran schuld wie du. Wenn du wüsstest, was ich in diesen sieben Tagen alles getan habe, um das Ganze halbwegs ins Reine zu bringen, ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, wenn du das alles wüsstest, würden dir die Tränen kommen, Tränen kommen.«
»Herr Vorsitzender …«
»Langsam, langsam. Langsam … Bei den Kommunalwahlen haben wir die Arschkarte gezogen, das ist dir vermutlich bekannt, und jetzt muss ich mich mit diesem halbtauben Säufer um die Koalition streiten, Koalition str…«
»Herr Vorsitzender, wenn ich auf irgendeine Weise, irgendeine Weise …«
»Mein Gott, kannst du nicht mal den Mund halten? Jetzt machst du dich auch noch über mich lustig! Ich weiß, dass du seit sieben Tagen schweigst und mir jetzt am liebsten alles in fünf Minuten erklären würdest, aber zeig mal ein wenig Respekt, wenig Respekt. Seit drei Tagen überlege ich mir schon, was ich dir sagen soll, lass mich also bitteschön endlich aussprechen, endlich aussprechen.«
Siniša nickte schweigend und starrte ein Tischbein an.
»Du bist gut, du hast Talent und eine Zukunft in der Politik, und ich will dich nicht verlieren«, fuhr der Premierminister bedächtig fort. »Ich will dich nicht in ein