Renato Baretic

Der achte Beauftragte


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lauten »Danke« und einer Geste, die soviel wie »Nur einen Moment, ich bin sofort bei Ihnen« bedeuten sollte.

      Tonino hielt das Steuerruder zärtlich zwischen Zeigefinger und Daumen. Den Blick über Kajüte und Bug hinweg nach vorne gerichtet, manövrierte er das Boot langsam aus dem sich dahinziehenden Hafen. Auf dem offenen Meer kam das Boot bei der ersten Welle ins Schwanken, und Tonino griff nach einem Tau und wickelte es um zwei hölzerne Pfosten, um das Steuerruder zu fixieren. Er zog seinen Nordwester aus und hängte ihn neben der Kajütentür auf. Dann setzte er sich Siniša gegenüber:

      »Autopilot, haha … Jetzt haben wir endlich Gelegenheit, uns kennenzulernen und uns zu unterhalten, wie es sich gehört. Ihnen gefällt mein Boot?«

      »Ja, es ist wirklich … Es ist eine Pasara, nicht wahr?«

      »Hm, nicht wirklich. Das sind doch eher Leute, aber zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf. Auf Drittchen haben wir sowieso für alles andere Namen. Gajeta, Gejeton, Gajetona, Gajetin … Die ›Adelina‹ ist – sagen wir mal – eine Gajetona.«

      »Wer?«

      »Die ›Adelina‹, dieses Boot hier. Eine Gajetona.«

      »Aha!«

      Sie schwiegen eine Zeitlang, und dann setzte Siniša diplomatisch an:

      »Darf ich Sie etwas fragen, was eigentlich – vielleicht – eher privater Natur ist? Sagen wir mal so – ohne jeden Hintergedanken?«

      »Selbstverständlich, schießen Sie los!«, erwiderte Tonino bereitwillig und vergnügt.

      »Wie soll ich es ausdrücken, ohne Sie zu beleidigen?«

      »Um Gottes Willen, tun Sie sich keinen Zwang an, fragen Sie nur. Sie sind schließlich der Vertreter der Regierung, oder etwa nicht?«

      Sinišas Gesicht verdüsterte sich. Diese dalmatinischen Schlitzohren wollen aber auch immer provozieren.

      »Vergessen Sie es, ich entschuldige mich, ist wahrscheinlich noch ein bisschen zu früh dafür. Sagen Sie, wie weit ist es noch bis nach Drittchen?«

      Tonino sah auf die Uhr, die an der Kajütentür hing. Es war gegen ein Uhr mittags, aber diese Uhr zeigte zehn nach sieben. Sie war nicht stehengeblieben, sondern tickte sich ordentlich durch ihre eigene private Zeitzone.

      »Wenn sich das Meer und die Wettersituation nicht ernsthaft verändern, würde ich sagen: nicht länger als vier Stunden.«

      »Wie bitte? Vier … Vier?!«, verschluckte sich Siniša.

      »Leider ist Drittchen nicht direkt hier um die Ecke, und auch die ›Adelina‹ steht nicht mehr in der Blüte ihrer Jugend, aber dafür ist sie unsinkbar. Machen Sie sich keine Sorgen, es geht schnell vorbei.«

      »Vier Stunden … Und zwar vier Stunden von Zweitchen! Na gut, also: Haben Sie sich je danach erkundigt, warum es denen in Zagreb so wichtig ist, an diesem Arsch der Welt – verzeihen Sie bitte den Ausdruck – irgendeine staatliche Struktur aufzubauen?«

      »Ich befürchte, sehr geehrter Herr Beauftragter, dass das eine Frage ist, die Ihnen in der auf Sie zukommenden Periode sehr häufig gestellt werden wird …«

      »Hören Sie mal, Tonino … Können wir uns nicht duzen? … Ausgezeichnet. Also frage ich dich jetzt, ich frage dich jetzt doch, was ich vorhin schon fragen wollte. Darf ich?«

      »Natürlich.«

      »Okay, also dann … Gerade heraus: Wieso sprichst du eigentlich so? Ich meine, ich habe schon einige Inseln besucht, ich habe dreihundert verschiedene Dialekte gehört und sogar zwei oder drei verstanden, und auch gerade auf der Fähre habe ich den Leuten zugehört, auch wenn sie nur wenig gesprochen haben …«

      »Ach, die kamen von Erstchen oder von Zweitchen …«

      »Egal, woher sie kamen, sie sprachen in einem eigenen Dialekt, in einer eigenen Sprache, was weiß ich. Aber du – wie soll ich sagen – du sprichst, als wärst du mindestens Minister. Sprecht ihr alle so auf Drittchen?«

      »Ich bemühe mich. Es gilt, sich ein Leben lang Mühe zu geben«, antwortete Tonino, schrecklich stolz darauf, dass er die kroatische Hochsprache so sauber und korrekt beherrschte.

      »Und wie halten es die anderen dort?«

      »Wie soll man das erklären … Also ich bin der Meinung, das für dich ein Dolmetscher unentbehrlich sein wird. Vielmehr noch, er wird dir vonnöten sein.«

      Das unerwartete Angebot hing in der Luft, als wäre es an der Kajütendecke befestigt, an der es im unregelmäßigen Rhythmus der hohen Wellen herumbaumelte. Siniša stellte sich das säuerliche Gesicht des Premierministers vor, wie er das Telegramm las: »Benötige dringend einen Dolmetscher für Drittchensisch – Stop – nicht ohne Honorar – Stop – Beauftragter Siniša«. Das wäre was! Denen werde ich es noch zeigen, die werden alle tipptopp sprechen, niemand hier wird mich verarschen, beschloss Siniša für sich. Die werden mir noch alle hübsch die Wahlgesetze herunterbeten!

      »Um das Honorar brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, warf Tonino ein Steinchen in Sinišas Gedankenfluss. »Das wurde schon während der Amtszeit des dritten Beauftragten geregelt. Jeden Monat wird eine bestimmte Summe auf mein Girokonto überwiesen, nicht besonders viel, aber immerhin. Und obwohl es schon lange keinen Beauftragten mehr gab, schickt mir die Regierung regelmäßig mein Geld nach Zweitchen. Auch wenn du mich ablehnen solltest, wird das Honorar vermutlich noch für eine bestimmte Zeit fließen.«

      »Und diesen Dialekt auf Drittchen, den verstehst du problemlos?«

      »Wat denkste, anch’ io bin en Drittchenser! Moun Papa is oun Drittchenser, anche la mia Mama, de Selige, war oune. Do bin io nato, do houb io oun Leif lang lebt!«, antwortete Tonino in einem Atemzug und setzte sein breites Lächeln anstelle eines Ausrufezeichens an den Schluss.

      Dann stand er plötzlich auf, warf sich seinen Nordwester über die Schulter und ging zum Heck des Bootes. Er starrte nach vorne, lockerte einen Knoten, richtete das Steuerruder ein wenig nach rechts und zog den Knoten wieder fest. Siniša begann nachzudenken. Plötzlich erschien ihm seine Aufgabe, diese schreckliche Strafe für seine mangelnde Vorsicht und sündhafte Nachlässigkeit, in einem recht erträglichen Licht. Dieser fürchterliche Südwind, diese merkwürdige Insel und Tonino, für den es galt, »sich ein Leben lang Mühe zu geben« – die ganze Geschichte nahm die Gestalt eines Abenteuers an, das sich nicht jedem bot. Das konnte wunderbar werden! Ihm fiel das Bier in seiner Tasche wieder ein und er stellte es auf das Tischchen. Gerade kam Tonino in die Kajüte zurück.

      »Das haben sie dir auf der Fähre gegeben, nicht wahr?«

      »Ja«, antwortete Siniša und sah Tonino mit einem fragenden Lächeln an. »Wollen wir halbe-halbe machen?«

      »Vielen Dank, aber lieber nicht. Und auch dir würde ich es nicht empfehlen.«

      »Was du nicht sagst. Bist du etwa Antialkoholiker? Ein Bierhasser?«

      »Nein, ganz im Gegenteil. Aber das, was sie dir da gegeben haben, ist kein Bier, sondern ein böser Zauber.«

      »Wie bitte?!?«

      »Und die arme Tonkica hat dir garantiert wortlos einen Rosenkranz geschenkt, nicht wahr?«

      Siniša schwieg verblüfft.

      »So machen sie es mit jedem Beauftragten, und dann scheitern die alle auf Drittchen, wenn schon nicht als Menschen, so doch zumindest als Politiker. Kennst du auch nur einen deiner Vorgänger, der weiterhin im öffentlichen Bereich gewirkt hat? In der Politik, der Kunst oder im Sport? Natürlich kennst du keinen, da sie alle verhext wurden! Sogar der …«

      Tonino hielt inne, als hätte er zu viel gesagt. Siniša starrte ihn weiter mit leicht herunterhängendem Unterkiefer an.

      »Wenn du erlaubst, würde ich um deinet- und meinetwillen das Bier und den Rosenkranz sofort ins Meer werfen. Darf ich?«

      Siniša versuchte, schnell und nüchtern zu denken. Er konzentrierte sich voll und ganz auf