Valentin Krasnogorov

Heute oder nie!


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Sie vergessen sich!

      JOHANNA: (Hart.) Keinesfalls. Ich leide noch nicht unter Gedächtnisverlust. Und ich will Sie daran erinnern, dass die Krankengeschichte nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein juristisches Dokument ist. Im Fall einer gerichtlichen Klage gegen Sie, seitens des Kranken, kann sie die Richtigkeit oder Nichtrichtigkeit Ihrer verordneten Behandlung beweisen. Ich denke, dass Sie sie entweder nicht anlegten oder vorsätzlich löschten, um vor den Finanzbehörden die Zahlungen zu verbergen, die Sie von uns erhielten.

      DOKTOR: Ich habe keinerlei Zahlungen erhalten!

      JOHANNA: Regen Sie sich nicht auf, wir werden sie nicht zurückfordern. Das Einzige, das ich will, ist die Bescheinigung über den schweren Zustand meines Mannes und seine Krankengeschichte.

      DOKTOR: (Er ist völlig verwirrt.) Die Bescheinigung kann ich Ihnen wohl geben, aber…

      JOHANNA: (Unbeirrt.) Und die Krankengeschichte auch.

      DOKTOR: Woher nehme ich die?

      JOHANNA: Aus dem PC. Aus dem Schreibtisch. Woher Sie wollen. Finden Sie sie, stellen Sie sie wieder her – mich interessiert das nicht.

      Der Doktor ist völlig verstört und weiß nicht, was er tun soll. Er nimmt das Fläschchen, sieht, dass die Tropfen aus sind, und geht hinter einen Wandschirm, wo er Medikamente aufbewahrt. Johanna ruft ihm zu.

      JOHANNA: Und dass die Krankengeschichte in einer Stunde fertig ist! In genau sechzig Minuten komme ich sie holen!

      Geht in Richtung Ausgang, und trifft in der Türe mit einem neuen Besucher zusammen. Das ist ein äußerst solider Mann, in einem klassischen, gut geschnittenen Anzug. Beide werfen sich einen aufmerksamen Blick zu. Johanna geht. Der Mann tritt ein. Er besieht sich vorsichtig den Raum und bemerkt nicht gleich den Doktor, der hinter dem Wandschirm hervorkommt. Als er ihn sieht, zuckt der Mann zusammen.

      DOKTOR: (Hat sich wieder gefasst.) Mit was kann ich dienen?

      MANN: Ich… Ich… Ich…

      DOKTOR: Wer sind Sie?

      MANN: Ich… Ich… Ich…

      DOKTOR: Ja, Sie, Sie, Sie! Nicht ich, Teufel auch!

      MANN: Ich… Ich denke nicht, dass mein Name für Sie irgendeine Bedeutung hat.

      DOKTOR: Warum nennen Sie ihn dann nicht?

      MANN: Wirklich, warum?

      DOKTOR: Genau das sage ich auch: Warum?

      MANN: Also, schauen Sie, wir sagen beide „warum“?

      DOKTOR: Und warum nennen Sie ihn denn dann nicht?

      MANN: Weil darin kein Bedarf besteht.

      DOKTOR: Hören Sie auf, auszuweichen und sagen Sie es direkt: An was leiden Sie?

      MANN: Kann ich mit Ihnen von Mann zu Mann reden?

      DOKTOR: Selbst wenn wir es noch so wollten, wir können nicht von Frau zu Frau reden.

      MANN: Sie haben Recht.

      DOKTOR: Nun, packen Sie schon aus, zieren Sie sich nicht, was haben Sie?

      MANN: Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll…

      DOKTOR: Nur Mut, da gibt´s doch nichts zu schämen. Mit solchen Problemen, wie Sie, hat fast jeder Mann zu tun.

      MANN: Woher kennen Sie meine Probleme?

      DOKTOR: Ich kann sie mir denken.

      MANN: Sie können sie nicht kennen. Sache ist die, dass… Wie soll ich sagen…

      DOKTOR: Nun aber, werden Sie nicht rot. Sie sind beim Arzt. Und hier werden Geheimnisse gehütet.

      MANN: (Schwankt.) Nun, gut. Ehrlich gesagt, ich hatte zuerst geplant, mich krank zu stellen. Aber jetzt denke ich, warum nicht alles so sagen, wie es ist?

      DOKTOR: Sie sind also nicht krank?

      MANN: Nein.

      DOKTOR: Was machen Sie denn dann hier?

      MANN: Ich suche eine Frau.

      DOKTOR: Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten? Ich bin keine Frau.

      MANN: Mir ist nicht nach Späßen zumute. Die Sache ist sehr ernst.

      DOKTOR: Wer ist sie für Sie? Ehefrau, nicht wahr?

      MANN: (Nach einigem Schwanken.) Ja.

      DOKTOR: Und was habe ich damit zu tun?

      MANN: Ich weiß, dass sie gerade erst hier war.

      DOKTOR: Ich veröffentliche keine Informationen über meine Patienten.

      MANN: Diesmal müssen Sie eine Ausnahme machen.

      DOKTOR: Interessant. Und warum?

      MANN: Weil ich sie bis zum Gedächtnisverlust liebe.

      DOKTOR: Ihre Frau?!

      MANN: Ja. Na und?

      DOKTOR: Nichts. Sehr rührend.

      MANN: Also, wo ist sie?

      DOKTOR: Ihre Frau war nicht hier.

      MANN: Sie war, und ich weiß das genau.

      DOKTOR: Wie ist ihr Familienname?

      MANN: Glöckner.

      DOKTOR: (Betroffen.) Glöckner? Sind Sie sicher?

      MANN: Sicher.

      DOKTOR: Nicht Klingler?

      MANN: Nein.

      DOKTOR: Nicht Scheller? Und nicht Läuter?

      MANN: Aber nicht doch!

      DOKTOR: So-so… (Geht aufgeregt im Zimmer hin und her.) Das heißt, Ihre Frau heißt… Wie nochmal?

      MANN: Glöckner.

      DOKTOR: Großartig. Als Sie hereinkamen, scheint mir, haben Sie jemanden getroffen. Erinnern Sie sich?

      MANN: Meinen Sie jene Frau, in dem taillierten englischen Kostüm, mit dunklen Augen, einem Muttermal auf der linken Wange, mit einem lilafarbenen Chiffonschal um den Hals und einem schwarzen Koffer in der Hand?

      DOKTOR: Genau die. Was sagen Sie zu ihr?

      MANN: Nichts. Ich hab ihr keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt.

      DOKTOR: So-so… Keine Aufmerksamkeit geschenkt. Keinerlei. (Platzt aus sich heraus.) Hauen Sie von hier ab, und zwar sofort! Und lassen Sie sich hier nie mehr blicken!

      MANN: Doktor, ich verstehe Sie nicht. Warum…

      DOKTOR: (Unterbricht ihn.) Weil Sie gerade eben mit der Nase auf Madame Glöckner gestoßen sind. Angenommen, Sie haben ihr keine Aufmerksamkeit geschenkt. Aber sie ging ja auch völlig ruhig vorbei!

      MANN: Aber ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Ich habe sie nie vorher gesehen!

      DOKTOR: Das heißt, sie – ist nicht Ihre Frau?

      MANN: Natürlich nicht! Außerdem bin ich seit langem geschieden. Schon zwei Jahre.

      DOKTOR: Wie „geschieden“? Sie lieben doch Ihre Frau bis zum Gedächtnisverlust!

      MANN: Ja-ja, natürlich… Danach habe ich wieder geheiratet.

      DOKTOR: Sie haben wieder geheiratet? Sehr gut. Und Ihre Frau heißt, wie sagen Sie…

      MANN: Glöckner, Marina Glöckner.

      DOKTOR: Wie sagten Sie? Marina?

      MANN: Ja, Marina.

      DOKTOR: Aber sie ist doch verheiratet! Mit Anton!

      MANN: (Betroffen.) Mit welchem Anton?

      DOKTOR: Mit ihrem Mann.

      MANN: Das kann nicht sein! Sie ist nicht verheiratet! Ich will sagen, sie ist mit mir verheiratet.

      DOKTOR: (Nachdenklich.) Nun denn, vielleicht erklärt das einiges… Also, was wollen Sie nun von