müssen, warum sollte es uns nicht wieder gelingen? Dieses Buch soll dabei helfen, die Verwirrung aufzulösen, die sowohl bei Schwarzen als auch bei weißen Menschen bei diesem Thema herrscht. Es wird gezeigt, welche verschiedenen Auseinandersetzungen es gibt, inwieweit sie ineinanderlaufen, wo die Missverständnisse liegen und wie wir strukturell dagegen angehen können. Denn Rassismus ist ein strukturelles Problem, und strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!
Ohne die Schmerzerfahrungen anderer Gruppen negieren oder eine künstliche Trennung zwischen Rassismus und Sexismus machen zu wollen, geht es in diesem Buch primär um den sogenannten Anti-Schwarzen Rassismus. Anhand von unterschiedlichen Praxisbeispielen wird dargestellt, wo die Strukturen des Rassismus verlaufen und wie er sich in die deutsche Gesellschaft eingeschrieben hat. Als Kommunikationssoziologin schaue ich primär aus sozialwissenschaftlicher Perspektive auf das Thema und nehme dabei die Strukturen und Wirkweisen des Rassismus in den Blick, um seine sozialen, historischen, politischen und kulturellen Zusammenhänge und Wechselwirkungen aufzuzeigen.[9]
Zuerst wird die Geschichte des Rassismus in Deutschland skizziert sowie die Frage beantwortet, wo der Rassismus historisch verwurzelt ist und wie gegenwärtig daran erinnert wird bzw. werden muss. Es wird deutlich, dass sich Rassismus in deutscher Erinnerungskultur eingeschrieben hat und auf diese Weise in öffentlichen und kulturellen Räumen strukturell wirkt. Die Geschichte des Rassismus macht sich unter anderem auch an Begriffen fest, weshalb im Folgekapitel aufgezeigt wird, warum es zu diesem Zeitpunkt wichtig ist, entgegen der aktuellen politischen Forderung der Grünen, »Rasse« im Grundgesetz stehen zu lassen. Ein historischer Blick auf den Rassebegriff und auf das dahinterstehende Rassedenken ist unabdingbar, um erfassen zu können und verstehen zu lernen, wie sich Rassismus in die Gesellschaftsstrukturen einschreiben konnte.
In den beiden ersten Kapiteln wird bereits deutlich, dass Wissen, Wissenschaft und Wissensvermittlung bei der Dekonstruktion von Rassismus eine große Rolle spielen. Das dritte Kapitel widmet sich daher dem institutionellen Rassismus an deutschen Hochschulen und Schulen. Rassismus schreibt sich aber nicht nur in Institutionen der Wissensvermittlung ein, sondern auch in Erkenntnissysteme und damit in Sprache selbst: Warum das N-Wort (immer noch) rassistisch ist und seine Verwendung im Gegensatz zum Rassebegriff keinen Nutzen bringt, wird in Kapitel vier deutlich. Im letzten Kapitel wird schlussendlich der institutionelle Rassismus bei der Polizei aufgerollt. Zum einen werden am Fallbeispiel von Oury Jalloh die Verstrickungen von Rassismus, Gesetz und Recht aufgezeigt. Zudem wird deutlich, inwieweit unsere Sehgewohnheiten von Rassismus geprägt sind.
Auf diese Weise will das Buch eine Grundlage für einen informierten Dialog schaffen, mit dem Ziel, die Antirassismusdebatte in Deutschland zu professionalisieren und weiter voranzubringen. Als strukturbildende Ideologie steht Rassismus absolut konträr zu der Selbstverpflichtung von Deutschland, die Menschenrechte einzuhalten, vor Diskriminierung zu schützen und die im Grundgesetz festgeschriebenen Werte zu garantieren. Stattdessen werden in der gegenwärtigen Lage die bestehenden Machtverhältnisse aufrechterhalten und Ungleichheit normalisiert und legalisiert. Bevor wir also in einer politischen Sackgasse enden, ist es wichtig, sich über eine allgemeingültige Definition von Rassismus zu verständigen, die davon ausgeht, dass Rassismus strukturell ist und sich in alle Ebenen der Gesellschaft eingeschrieben hat. Erst dann können wir lösungsorientierte Maßnahmen dagegen entwickeln, die Erfolg versprechen und nicht nur symbolisch sind.
Kapitel 1: Rassismus und Geschichte
Im Zuge des BLM-Sommers 2020 wurden weltweit Denkmäler von umstrittenen historischen Personen gestürzt. In den USA wurden zahlreiche Kolumbus-Denkmäler vom Sockel gerissen. In Großbritannien wurde das Denkmal des »Versklavers« Edward Colston ins Hafenbecken geworfen. In Belgien wurde das Bildnis von König Leopold II verbrannt. In Frankreich wurde Voltaire entstellt. Ebenso in Australien: Dort wurden gleich mehrere Denkmäler des britischen »Entdeckers« James Cook bemalt. Die Liste der Interventionen in koloniale Erinnerungskultur während des Sommers 2020 ist lang und zeigt, wie zentral das Thema Kolonialismus in der Auseinandersetzung mit Rassismus ist. Heute ist Kolonialismus als Macht- und Herrschaftssystem zwar vorbei, ideologisch wirkt er aber als sogenannte Kolonialität fort.[10] Die rassistischen Ideen des Kolonialismus beeinflussen bis in die Gegenwart hinein Körperbilder, Wissen und Wissensproduktion sowie die Machtstrukturen unserer Gesellschaft. So bestimmt die andauernde Kolonialität etwa noch immer das Verständnis dessen, wer oder was »deutsch« ist.[11] Die Proteste des Sommers 2020 machen auch deutlich, dass die deutsche koloniale Erinnerungskultur große Defizite aufweist. So wird mit der andauernden Kolonialität deutsche Geschichte stets aus weißer Perspektive geschrieben. Doch wir müssen in einer postkolonialen Perspektivumkehr deutsche Geschichte auch von einem Schwarzen Standpunkt aus betrachten.
Im Berliner Tiergarten wurde das Bismarck-Nationaldenkmal, eines von über sechshundert existierenden Bismarck-Denkmälern in Deutschland und seinen ehemaligen Kolonien, großflächig mit pinker und goldener Farbe besprüht und beschriftet: Auf dem Sockel der Statue stand in schwarzen Buchstaben »Decolonize Berlin« – wie es schon seit Jahren von Aktivist:innen gefordert wird. Allerdings distanzierte sich das Bündnis Decolonize Berlin e.V. in einer öffentlichen Stellungnahme von dieser Aktion. Das Bündnis besteht aus zehn zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich bereits seit Längerem für Straßenumbenennungen, die Rückführung menschlicher Gebeine, für politische und kulturelle Bildung und andere postkoloniale Projekte einsetzen. Es wird vom Land Berlin finanziert und fungiert als Koordinierungsstelle »für ein gesamtstädtisches Aufarbeitungskonzept Berlins kolonialer Vergangenheit«, wie es auf der Homepage heißt. Seine Aufgabe ist es, »Vorschläge zu formulieren, um die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialvergangenheit zu intensivieren, das Thema in Wissenschaft und Bildung zu verankern und würdige Formen des Erinnerns zu entwickeln«, heißt es weiter.[12]
Aber welche »würdigen Formen des Erinnerns« an europäische Kolonialgeschichte gibt es? Einige Kunsthistoriker:innen halten es für den falschen Weg, Denkmäler zu zerstören. Sie sagen, es sei besser, sich durch Gegendenkmäler kritisch mit Geschichte auseinanderzusetzen. Allerdings kommen solche Vorschläge erst, wenn radikale Interventionen erfolgt sind. Weniger radikale Einsprüche und Forderungen werden meist nicht gehört. So demonstriert etwa das Komitee für ein afrikanisches Denkmal in Berlin (KADIB) bereits seit 2007 für eine Gedenkstätte, die an die Schwarzen Opfer des Kolonialismus, des Nationalsozialismus und der rassistischen Gewalt der Nachkriegszeit erinnern soll. Jedes Jahr findet im Februar ein vom Komitee organisierter Gedenkmarsch statt, der sich zeitlich auf das Ende der Berliner Kongokonferenz von 1884/85 bezieht. Ins Leben gerufen wurde die Initiative laut Pressemitteilung, »um der Forderung nach Anerkennung der Verbrechen gegen afrikanische/Schwarze Menschen Nachdruck zu verleihen und um ihren Widerstand zu würdigen«. Aus demselben Grund hatten die Vereinten Nationen die internationale Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft[13] unter dem Motto »Anerkennung, Gerechtigkeit, Entwicklung« ausgerufen (2015–2024), heißt es weiter. Aber statt diese Forderung anzuerkennen, schließe die Bundesregierung neo-koloniale Freihandelsabkommen, schaffe Abhängigkeiten von europäischer Entwicklungshilfe, exportiere Waffen und externalisiere seine Grenzlinien, während Afrikaner:innen im Mittelmeer durch unterlassene Hilfeleistungen der EU ertrinken.[14]
Das KADIB kritisiert in seinem Schreiben auch das 2019 von der Bundesregierung eröffnete Humboldt Forum im Berliner Schloss. Zwar bezieht sich die Einrichtung des Forums auf Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes, in dem die Freiheit von Kunst und Wissenschaft garantiert wird. Auch wird der Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus und jede Form von gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus ins Zentrum ihrer Initiative gerückt.[15] Allerdings wird bei der Umsetzung des Projekts die Tragweite des deutschen Kolonialismus unterschätzt. So versäumen die Verantwortlichen, die Herkunft vieler historischer Objekte zu klären, die mit großer Wahrscheinlichkeit während der zahlreichen Kolonialkriege geraubt wurden. Im Zuge dessen fehle auch die Auseinandersetzung mit den Herkunftsgesellschaften der Objekte, konstatiert der Historiker Christian Kopp vom Aktionsbündnis No Humboldt 21 gegenüber der Deutschen Welle (DW).[16]
Es ist unangenehm, sich mit der eigenen Rolle im Kolonialismus auseinanderzusetzen. Einfacher ist es natürlich, Kolonialismus als Problem der anderen zu werten. Frankreich oder England seien schlimmer gewesen, heißt es, und außerdem sei der deutsche Kolonialismus