Erich Knauf

Der unbekannte Zille


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      Erich Knauf

       Der unbekannte Zille

      herausgegeben von Pay Matthis Karstens

      mit erläuternden Texten von Wolfgang Eckert und Pay Matthis Karstens

      Impressum

      Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek.

       Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      ISBN: 978-3-86408-224-5

      © Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2017

       www.vergangenheitsverlag.de

      Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

      Coverabbildung

       Heinrich Zille: Selbstbildnis (Ausschnitt), 1892, Fotografie, Abzug auf Silbergelatinepapier (Neuprint), 26,4 x 19,8 cm (Werkverzeichnis Kaufhold 20), Inv.-Nr. BG-FS WV 20 Serie b), Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Foto: Kai-Annett Becker.

      Danksagung

       Der Dank des Herausgebers für die freundliche Unterstützung dieser Publikation gilt zu allererst Wolfgang Eckert, darüber hinaus der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, insbesondere Christian Tagger, dem Fachbereich Kultur der Stadtverwaltung Meerane, insbesondere Angelika Albrecht, dem Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr, insbesondere Anja Bauer, sowie der Stiftung Stadtmuseum Berlin, insbesondere Andreas Teltow und Robert Wein.

      Inhaltsverzeichnis

       Wolfgang Eckert: Vorwort

       Erich Knauf: Der unbekannte Zille

       Abbildungen

       Pay Matthis Karstens: Nachwort

       Anmerkungen

       Kurzbiografien

      Wolfgang Eckert

      Vorwort: „Und wenn die Kunde zu euch kommt, dass ich tot sei, glaubt es nicht.“

      In den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts fiel mir ein regionales Heimatblatt in die Hände, worin sich ein Kreuzworträtsel befand. Unter Fünf senkrecht las ich: Schriftsteller, in Meerane geboren. Mit geschwellter Brust trug ich meinen Namen ein. Aber er passte nicht. Es fehlte ein Kästchen zu Eckert. Ich kaufte mir das nächste Blatt und hoffte, dort eine Berichtigung zu finden. Etwa in der Art: „In unserem letzten Kreuzworträtsel ist uns leider ein Fehler unterlaufen. Bei der Lösung Fünf senkrecht fehlt zu Eckert ein Kästchen.“ Aber stattdessen las ich unter Fünf senkrecht: Knauf. Noch nie gehört! Mein aufgekommener Ruhm versank vorzeitig.

      Dann wollte es der Zufall, dass ich in Erich Kästners Buch „Da samma wieda!“ (1969) den Artikel „Eine unbezahlte Rechnung“ las, in dem Knauf erneut genannt wurde und ich bestürzt von der Art seines Todes erfuhr.1 Ich schrieb Erich Kästner (1899–1974), da ich mehr über Knauf wissen wollte, und er antwortete mir, er habe Knauf immer mit Plauen in Verbindung gebracht und nichts von seiner Geburtsstadt Meerane gewusst. Es wäre schön, schrieb er, wenn in Meerane eine Straße oder ein Platz nach ihm benannt würde.2 Das geschah nicht. Aber seit Jahren gibt es im Kunsthaus zu Meerane eine kleine Dauerausstellung über sein Leben und Sterben. Am Ende seines Briefes teilte mir Kästner die Anschrift von Knaufs Witwe, Erna Knauf, mit. Sie wohnte in Berlin-Tempelhof in der Badener Straße.

      So begann meine Bekanntschaft mit ihr, die zunächst aus Briefen bestand. Aber es zeigte sich bald, Briefe allein reichten nicht aus, um mehr über das Leben Erich Knaufs und sein tragisches Ende zu erfahren.

      Mein Antrag beim Sekretariat des Schriftstellerverbandes der DDR, nach West-Berlin einreisen zu dürfen, wurde ohne unnötige Fragerei gestattet, wohl auch, weil ich in dem Antrag als Begründung genannt hatte, über Erich Knauf schreiben zu wollen, der von den Nazis hingerichtet wurde. Ein Problem entstand jedoch: Erna Knauf war nach einem Schlaganfall rechtsseitig gelähmt und auf einen Rollstuhl sowie fremde Hilfe angewiesen. Wenige Tage vor meiner Einreise rief sie mich an und bat mich, eine Woche später zu kommen, da ihr im Moment nicht wohl sei. Was sie nicht wissen konnte: Ich musste nun erneut einen Antrag stellen und es dauerte wieder Wochen bis zur Genehmigung. Sie verstand das nicht. Schließlich erkannte man auch im Schriftstellerverband die Situation und ich erhielt eine Einreisemöglichkeit für ein halbes Jahr. Ich hätte nun jeden Tag zu Erna Knauf reisen können. Als Nichtrentner ein Privileg.

      Den ersten Tag meines Besuches werde ich nicht vergessen. Erna Knauf erhob sich mühsam, von einer Freundin gestützt, aus ihrem Sessel und überreichte mir ebenso mühsam ein neben ihr auf dem Tisch stehendes Sektglas. Ich habe es später nicht gewagt, sie zu fragen, ob ihr weißes Haar damals, als sie von der Ermordung ihres Mannes erfuhr, plötzlich gekommen war. In ihren Augen las ich, sie war auf dem Wege, mir Vertrauen zu schenken. Bis dahin wusste ich etwas vom Leben Erich Knaufs und ahnte – wir, die es nicht erlebt haben, können nur ahnen – was Erna Knauf 1944 durchgemacht haben musste. Was ich damals nicht wusste: Der West-Berliner Kultursenat hatte kein Interesse am Nachlass Erich Knaufs gezeigt. Und so gab Erna Knauf diesen mir. In einem West-Berliner Rundfunksender hörte ich später, sie habe den Nachlass aus Enttäuschung über das mangelnde Interesse in die „Ostzone“ gegeben. Ein Zufall also erneut für mich.

      Der Nachlass Erich Knaufs machte mich von einem Betrachter zu einem Betroffenen. Seine Bücher erstaunten mich durch die untrügliche Beurteilung der Zeit, in der sie spielten. Als ich seinen Abschiedsbrief las, mit empfindsamen Worten kurz vor dem Ende auf ebenso durch die Zeit empfindsam gewordenes Papier geschrieben, an den Seiten eingerissen und mit durchsichtigem Klebeband zusammengehalten, entschloss ich mich, Knauf und sein Werk aus der Vergessenheit zu holen, in die er durch den Lauf der Zeit gesunken war. Im Aufbau Verlag fand ich in Dr. Gotthard Erler einen verständnisvollen Unterstützer meiner Pläne. Fördernd dabei war: Er stammte aus dem kleinen Dorf Waldsachsen am Rande Meeranes und hatte deshalb ähnliches regionales Interesse an dem Meeraner Erich Knauf. Wir erarbeiteten die Herausgabe von Knaufs Werken mit einem Nachwort von mir. Aber wieder wollte es der Zufall, diesmal ein ungünstiger, dass unser Plan scheiterte. Die DDR ging unter. Ein neuer westdeutscher Verlagschef fegte, wahrscheinlich unter dem trügerischen Wahn, neue Besen kehren gut, das fertige Vorhaben von seinem Tisch. Mir blieb nur, das noch Erhaltene aus den Trümmern zu retten und dank des Chemnitzer Verlages und seines Leiters Dr. Klaus Walther dort eine Biografie über Erich Knauf unter dem Titel „‘Heimat, deine Sterne …‘ – Leben und Sterben des Erich Knauf“ herauszubringen.3 Wenigstens etwas war gerettet. Westdeutsche Verlage hatten das Projekt mit der Begründung abgelehnt, Knauf sei nicht bekannt, so verkaufe sich das Buch nicht.

      Der Titel „Heimat, deine Sterne“ ging auf eine Melodie Werner Bochmanns zurück, zu welcher Erich Knauf den Text geschrieben hatte. Die Nazis machten daraus einen Front-Hit. Er hat Erich Knauf nicht das Leben gerettet.

      Erich Knauf wurde am 21. Februar 1895 in der Meeraner Philippstraße 3 geboren. Sein Vater Heinrich war Schneidermeister und Mitglied der SPD, die Mutter Thekla Tochter eines Hauswebers. In Meerane überwogen die Textilarbeiter und die Mechanisierung der Webereien nahm ihren Aufschwung. In eng stehenden Häuserzeilen, alle im Karree gebaut, lebten Arbeiter und kleine Angestellte dicht beisammen. Am Rand der Stadt wohnten die Fabrikanten in ihren Villen. Im Realgymnasium war