deutscher Autoren bei der Herausgabe der Bücher sowohl wie in den Artikeln für die Zeitschrift ‚Die Büchergilde‘ verlangt, trotzdem sei aber von Knauf ausländische – besonders französische Literatur – berücksichtigt worden. […] ‚Der Vorstand überzeugte sich durch das vorgelegte Material von der Aussichtslosigkeit einer gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen dem Kollegen Knauf und der Büchergilden-Leitung. Er hält es deshalb für zweckmäßig, den Kollegen Knauf am 15. Mai 1933 zum 30. Juni 1933 zu kündigen.‘“7
Es ist Knaufs bitterste Stunde, das ihm lieb gewordene Betätigungsfeld verlassen zu müssen. Im selben Jahr stirbt sein Vater in Gera, als habe er die neue unselige Zeit nicht mehr erleben wollen. Die Verbindung Erich Knaufs zu seiner Frau in Plauen ist längst zu Ende gegangen. Er hat sich in seine Sekretärin bei der Büchergilde, Erna Donath, verliebt und sie begleitet ihn auf seinem beschwerlichen Weg der Arbeitsuche.
Ein Freund aus alten Zeiten, Walther Victor (1895–1971), der im bürgerlich-liberalen 8-Uhr-Abendblatt als verantwortlicher Redakteur beschäftigt ist, verschafft ihm die Möglichkeit, sich dort ein paar Mark zu verdienen. Als Victor emigrieren muss, übernimmt Knauf dessen Stelle und kann sein Dasein etwas bekömmlicher gestalten. Aber dann schreibt er eine deftige Kritik zur „Carmen“-Aufführung in der Deutschen Staatsoper: „Alte Schablone provinzieller Art, kein großer Zug, kein Blut in den Adern! […] Staatsoper? Volksoper! Leben, Leben, Leben, Smoking runter, Manschetten umgekrempelt, hau-ruck!“8
Der Schirmherr der Deutschen Staatsoper heißt Hermann Göring. „Heermann heester!“ sang einst Claire Waldoff. Er ist dabei, sich keinen Smoking anzuziehen, sondern sich Orden auf seinen dicker werdenden, uniformierten Bauch zu hängen und schäumt vor Wut über diese Kritik als sei er selbst damit gemeint.
Knauf hat in der Kritik nur seinen gewohnten Ton angeschlagen. Er ist sich treu geblieben. Deshalb wird er „zu seiner eigenen Sicherheit“ einige Wochen in „Schutzhaft“ genommen. Es gehörte zum Zynismus der Nazis, auf solche Weise die Beschützenden zu spielen. Im Grunde war es ein Warnschuss. Als Knauf aus dem Oranienburger KZ wieder herauskam, kahlgeschoren, hatte er dort indirekt von der Ermordung Erich Mühsams (1878–1934) erfahren. Er wird aus dem Reichsverband der deutschen Presse ausgeschlossen. Und dies alles zu seinem Schutz? Natürlich war auch die Arbeit für das 8-Uhr-Abendblatt zu Ende. Er fristet sich als freier Mitarbeiter in der Industrie- und der Filmwerbung durch. Gelegentlich nimmt die Presse ein Gedicht von ihm. Er wählt sich als Unterschrift oft „e. k.“ oder das Pseudonym „Thyl“. Er blickt schnell wieder auf einen literarischen Torso zurück: das Vorwort zu einer graphischen Mappe für den Verlag Gurlitt, einige Kapitel zu dem Roman „Das Nest“, eine Novelle „Wiedersehen in Marquardt“, zwei Filmnovellen und ein Manuskript für ein Buch „Der unbekannte Zille“. Das alles bleibt in einer Welt, die ihm keine Chancen mehr gibt, bei ihm liegen.
1938 wird er von seiner Frau Gertrud geschieden und heiratet Erna Donath. Sie war und wird in den künftigen Jahren sein fester Halt. Durch seine gelegentliche Mitarbeit in der Filmwerbung gelingt ihm der Zugang zum Film. In der Filmgesellschaft Terra musste der Pressechef zum Militärdienst. Knauf wird sein Nachfolger und verantwortlich für die propagandistische Betreuung der Filme. Ob er sich mit seinen detaillierten Kunstkenntnissen und dem Bemühen um literarische Qualität in seinem neuem Umfeld wohl gefühlt hat, ist nirgends verbürgt. Finanziell ging es ihm jetzt ausgezeichnet.
Während Hitler und sein Stab sich anschickten, die ganze Welt zu besiegen und ein Großteil des Volkes ihm das glaubte und billigte, während rührselige und krachheitere Heimatfilme und solche rassistischen Streifen wie „Jud Süß“ (1940) die Masse beduselten, Stars wie Marika Rökk, Ilse Werner, Johannes Heesters, Heinz Rühmann, Theo Lingen, Hans Moser, Oskar Sima, Zarah Leander u. a. für Stimmung und meistens für eine Traumwelt sorgten, starben die ersten Soldaten elend im Dreck, Schlamm und Blut auf dem „Feld der Ehre“ und gingen schnell als Helden in den Vorfilmen der Wochenschau unter.
Knauf versuchte trotz allem zu überleben, schrieb heitere Vierzeiler für Filmgrößen, Texte zu Melodien des ebenfalls in Meerane geborenen Komponisten Werner Bochmann (1900–1993) wie „Heimat, deine Sterne“, „Glocken der Heimat“, „Heute Abend in der blauen Stunde“ und „Mit Musik geht alles besser“. Dass es damit besser ging, glaubte er wohl im Inneren nicht. Hermann Göring, verantwortlich für die deutsche Luftwaffe, hatte prophezeit: „Wenn wir unseren Taubenschlag öffnen, wird der Himmel schwarz sein.“ Jetzt war er es. Aber von anglo-amerikanischen Bomberverbänden. Ohne eigene große Verluste flogen sie Berlin an und begannen, es systematisch zu zerstören. Jahre später sollten dann die Russen am Boden mit großen eigenen Verlusten dieses Zerstörungswerk fortsetzen. Der Sturmwind Hitlers hatte sich gedreht und kam nun verheerend zurück.
Im zerbombten Berlin traf Knauf seinen alten Freund Erich Ohser wieder. Ein freudiges Ereignis in Schutt und Asche. Beide hatten ihre Wohnungen verloren. Der größte Teil von Knaufs Bibliothek war in den Flammen untergegangen. Beide hatten ihre Frauen außerhalb Berlins in Sicherheit gebracht. Ohser seinen Sohn dazu. Ein ihnen gut bekannter und sie achtender Arzt, Dr. Daubenspeck, welcher sich im Kriegsdienst befand und der seine Frau im sicheren Ahrenshoop untergebracht hatte, bot ihnen sein Haus in Berlin-Kaulsdorf, Am Feldberg 3, an. Dort wohnte bereits ein Mann namens Bruno Schultz mit seiner Frau, der Hauptmann im Oberkommando der Deutschen Wehrmacht war und das Neue Deutsche Lichtbild herausgab. Sie saßen oft zusammen, auch im Keller während der Luftangriffe. Sie tranken gemeinsam Wein, den der Hauptmann kistenweise bezog. Sie sprachen freimütig über den ihrer Meinung nach verloren gehenden Krieg. Und sie hielten Schultz ihnen zugehörig, weil er ebenfalls im Bereich der Kunst wirksam war. Es ging aufgelockert und satirisch zu. Bereits im Plauener Kino waren Knauf und Ohser aufgefallen, wenn sie im lauten Ton – Ohser hörte etwas schwer – ihre sarkastischen, ironischen Bemerkungen zu dem kitschigen Ablauf vorn auf der Leinwand machten. Die Zuschauer begannen, über sie zu lachen, und es war nicht mehr festzustellen, wer nun hier wen unterhielt. Der Film wurde zur Nebensache oder zum Anlass. Im ähnlichen Ton erzählten sie auch mit Schultz. Der lächelte immer etwas später, wie ein bisschen begriffsstutzig. Aber er prägte sich die Äußerungen über Hitler, Goebbels oder die SS nur genauestens im Kopf ein, damit er sie dann exakt notieren konnte. Als er seinem Vorgesetzten Meldung erstattete mit dem Hinweis, seine Treue zum Führer sei durch die Äußerungen der Beiden zutiefst verletzt worden, soll dieser mit der Weiterleitung der Meldung gezögert haben. Vielleicht ein Zug noch vorhandener Menschlichkeit. Aber in diesem System konnte schon eine Unterlassung tödlich sein.
Am 28. März 1944 wurden Knauf und Ohser in den Morgenstunden von der Gestapo abgeholt. Der Grund der Verhaftung hieß: Wehrkraftzersetzung. Unter dem Deckmantel, sich wehren zu müssen, griffen die Nazis ganze Länder an. Knauf und Ohser wurden nach Moabit verbracht, Knauf dann später, nach seiner Verurteilung, ins Zuchthaus Brandenburg-Görden. Das Verfahren gegen sie geriet in die Hände von Roland Freisler (1893–1945), dem Präsidenten des Volksgerichtshofes. Geriet ist die richtige Bezeichnung. Man kommt nicht ins Unglück, man gerät. In den Akten ist vermerkt, für Knauf und Ohser seien mindestens zwei Todesstrafen fällig. Mindestens. Aber was ist denn dann noch mehr als eine Todesstrafe?
Freisler prüfte nicht nach Recht und Gewissen. Er verurteilte. Und fast ausschließlich zum Tode. Knauf und Ohser bezahlten ihre geistvollen Witze mit dem Leben. Ohser entging seiner Hinrichtung, indem er sich am Abend vor der Hauptverhandlung in seiner Zelle erhängte. Während Knauf noch immer hoffte, hatte Ohser jegliche Hoffnung aufgegeben, er, dessen Bildserie „Vater und Sohn“ so innig und humorvoll von der Liebe zu seinem Sohn sprach. Was andere nur vorsichtig dachten, hatten Knauf und Ohser, wohl auch aus Freude am Fabulieren, laut gesagt. Freislers schneidende Kastratenstimme war in der Scheinverhandlung oft zu hören gewesen: „Haben Sie das gesagt? Nein? Nein, das haben Sie natürlich nicht! Aber Sie haben das gesagt! Schweigen Sie!“
Der Rest ist Schweigen. Nur noch Briefe, darunter ein Gnadengesuch, das Knauf an Hitler schrieb. Der lehnte es zu seinem Geburtstag am 20. April 1944 ab. Freisler: „Der Ring seiner politischen Entwicklung hat sich geschlossen: die marxistische Grundlage ist wieder wirksam geworden! […] Weil Knauf verurteilt ist, muss er auch die Kosten tragen.“9 Knauf musste also seinen Tod bezahlen. Und da er hinterher nicht mehr dazu in der Lage war, also seine Frau Erna. Die Todesstrafe allein kostete 300