durchaus verschwistert sein mögen – nicht weil zuweilen mit Abnahme des Pegelstandes etwa im Bierglas das Bedürfnis nach einem weiteren und womöglich noch großzügiger bemessenen Bierpokal seltsamerweise wächst, sondern weil in Winkel, jenem an einem der malerischsten Berghänge Zentraleuropas gelegenen Ort, eine altmodische Ausflugsrestauration schlicht und herzergreifend Zum Wiesengrund heißt. Und in der hocken am Freitagabend drei bis acht vorsichtig plaudernde Gestalten unbestimmter Herkunft herum, und während sie weder grölen noch Parolen schmettern, tröpfeln aus unsichtbaren Lautsprecherboxen ganz behutsam doofe Treuherzschlager, die Begleitgesänge deutschen Tums und deutscher Barbarei.
Im Vergleich zu der alltäglichen Erfahrung, die man macht, wenn man seinem Durstgefühl folgt, ist das nahezu plausibel, nein: gefällt das regelrecht. Man bleibt sitzen und bestellt ein viertes Glas, eines schon beinahe über den Durst. Das ist gewiß ein gewissermaßen dialektischer, ein verzwickter Vorgang, eine annäherungsweise adornitisch komplexe, gleichwohl prima praktische Erkenntnis, hab’ ich den Eindruck. So weit hat uns die Welt mittlerweile gebracht. Oder eben mich. O Wirrnis!
Beckettistisches Bier
Woran liegt es, daß mir bis in alle Ewigkeit das Klischee anhängt, ich sei Neuköllner, säße am Hermannplatz und tränke dort endlos Bier im Blauen Affen? »Weil Journalismus ist, wenn ein abgebrochener Germanist vom anderen aus dem Internet abschreibt.« Aha! Oder drängt das Bedürfnis, feste Bilder gleich Namen zu prägen? Andererseits ist es ein behagliches Tableau, und ich figuriere den Schwachsinn eben weiterhin botmäßig für alle Bildbedürftigen.
Thomas Kapielski: Weltgunst
Es soll ja, vermelden schon seit den achtziger Jahren die zirka zeitgleich mit dem Bistrowesen und der Erlebniskulinarik entstandenen sogenannten Stadtmagazine aus den sogenannten Metropolen, auch eine »Kneipenkultur« existieren – da Kultur nunmehr alles ist, was man nicht am Fließband verfertigt (selbst von Baumarktkultur geht oder müßte bald die Rede gehen, die immerhin einleuchtende Wurstkultur dann wieder zu verdrängen).
»Es war erregend, es hatte etwas Divinisches, etwas fast noch über Kaisers Joachim hinaus Cölestisches«, beschließt Eckhard Henscheid seine Marginalie Humorkneipe I (Titanic 11/1979) und beantwortet die Frage: »Eine komische, eine Humor-Kneipe?« affirmativ: »ausgerechnet im banalen München, ausgerechnet im verrottetsten aller Touristen-Lokale, dem Donisl am Marienplatz«, sah er »150 Personen, von denen, inklusive dreier Kellner, 145 evident und freudvoll außerhalb der Norm agierten«.
Sich dem »Lebensscheißgefühl« (Henscheid: Humorkneipe II, in: Titanic 5/1980) der Kunstwerkler, Alternativarbeiter, Kiezler, Broker und Computerspezis zu verweigern und jenseits der kapitalen Blindbetriebsamkeit ein gelb und schlicht blitzendes und sauber beschäumtes Bier zu trinken, dafür kommen nach wie vor auch manche Schwemmen, die Eckkneipen, die mittelgroßen Lokalitäten zupaß, die alt möblierten, die meist an den unattraktivsten Plätzen liegen – zum Beispiel der Blaue Affe am Berlin-Neuköllner Hermannplatz.
Thomas Kapielski pries bereits 1995 das gegenüber vom gleichermaßen verlockenden Konkurrenzladen Zum Hammer und hinter einer feingrauen Rauhputzfassade situierte Etablissement: »Hier kommt wöchentlich ein Lasttankwagen vorgefahren und schüttet luftdicht seine tausend Liter in eine Kellerlagerblase, von wo dann adrett und emsig ein frisches, gut gehopftes, hinreichend schaumstabiles Pilsener durch die Kräfte Peter, Walter, Ute u. a. vor einem aufgestellt und gern hereingesogen wird.«
Gern hereingezogen wird man in einen Plausch mit dem jeans- und schlüsselkettenbewehrten Wirt, der vom ebenfalls vorrätigen Alt kundenorientiert eher abrät und ausgiebigere Quanten empfiehlt. »Großes Pils läuft immer besser«, lacht er, kommt zum Stehtisch oder reicht den zügig bezapften Kelch über die Resopaltheke. Die Servicekraft wirft derweil Knakker, Wiener, Koteletts plus/minus Kartoffelsalat heillos fröhlich durcheinander, und die Jukebox initiiert Walzer- oder Schnulzenminuten.
Bestellt man etwa beim taz-Italiener Sale e Tabacci in der Kochstraße Pils, bringen sie durchaus gern mal irgendein übriggebliebenes Saisonbier herbei, weil die Ration nicht aufgebraucht ist. Protestiert man sachte, liefern sie statt zwei großen Gezapften ein Beck’s in der Kinderflasche (0,33 l). Deshalb ziehen wir den rotbraunen Holzvertäfelungen und weißen Kittelschürzen den Noppenboden zur Toilette vor, die Billardhinterzimmer, Bayernrautendecken und Spachtelmörtelwände, in summa: den keineswegs stets krawallerfüllten Kneipenraum, der um 8.00 Uhr öffnet und nebenan gewissermaßen konsequenzlogisch den Urologen Dr. Kalz duldet.
Kapielskis »Gottesbeweise IX–XIII«, Davor kommt noch (Berlin 1998), leitet nach einem Zweizeiler aus Wilhelm Buschs letzter Bildgeschichte Maler Klecksel das Motto »Dialog im Affe« ein: »Stimmt das?« – »Nichts stimmt mehr!« – »Stimmt!« Wenn das stimmt, und ich glaube sofort, der Schlagabtausch fand genau so statt, wäre der Blaue Affe füglich eine Denkerkneipe zu nennen, in der man weniger als düster-darwinistischer Fipps der Affe philosophiert, sondern unter einer Dunstglocke aus Schopenhauer, Beckett und Bier das wohlige Nichts entdeckt – und die heutzutage einzig erträgliche (semi-)öffentliche Kommunikationsstrategie kultiviert, die Entzauberung der Sinnpflegerei.
So versöhnlich stimmen Nischen – zuweilen.
Dänemark verstehen
Es läuft was schief und krumm im sauberen Staate Dänemark. In derselben Woche, in der die Regierung kürzlich eine landesweite Kampagne gegen den Alkohol oder zumindest gegen den Mißbrauch geistiger Getränke losgetreten hatte, wurde, für skandinavische Verhältnisse nahezu revolutionär, von ebendieser weisen Administration die Alkoholsteuer in einer astronomischen Höhe gesenkt. In einer Höhe gesenkt? Ja, stimmt so.
Denn der Däne denkt dann doch durchaus deutlich dialektisch – oder immerhin offenbar prinzipiell kraus und lobenswert selbstwidersprüchlich. Ihm ist weniger an logischer Stringenz und Kohärenz als vielmehr an komischer Chaotik und Verwirrung gelegen, an einem Geisteszustand mithin, der bevorzugt durch einen hochklassigen Granatenrausch herbeigeführt zu werden vermag.
»Morgens in Denmark wir, ääähmmmähm, man, äh, steht vom Bett, äh, man, äh, fängt an mit eine, mit ein Bier oder, oder Aquavit, ein Aquavit«, wußte uns schon der ingeniös verdrehte und vor allem strahlend besoffene Herr Sörensen in Heino Jaegers Jahrhundertkabarettnummer »Alkoholprobleme in Dänemark« auseinanderzusetzen; und weiter: »In Helsingør, wenn man, äh, aufsteht morgens, ja, ja, man trinkt zwei, drei Bier oder vier Aquavit.«
Das wies und weist in Richtung auf das approximativ pilsfarbene, der dänischen Lagerbiertradition zugerechnete Giraf Strong der Giraf Brewery in Odense. Das rezente, seinen Hammerfaktor durch Maiszugaben unterstützende, hierzulande als Bock zu handelnde Bier sei trotz oder, so argumentiert der dänische Brauer selbst, wegen seiner 7,3% »easy drinkable« – und darf deshalb problemlos als Aperitif zum Aquavit oder, der fruchtig-weinigen Aromata halber, als ideales Alkoholrundumversorgungsmeisterwerk verstanden werden.
Wer Dänemark verstehen will, lese das drittletzte Wort des letzten Satzes mal nach drei Flaschen Giraf.
Trier – Eifel, mehrfach
Trier mag ja, obschon Marx oder doch eher Goethe das Städtlein ein »altes Pfaffennest« schalt, durchaus zum Gediegensten und Schönsten dessen zählen, was zentraleuropaweit an kleineren bis mittelgroßen und vom Imperium Romanum mit dem Gedanken der Civitas in Kontakt gebrachten Ansiedlungen so aufgeboten wird. Und wenn auch die späteren Schutzstaffeln der älteren Stadtlenker den jungen Marx wegen »nächtlichen ruhestörenden Lärmens und Trunkenheit« in den Karzer beförderten und dort seelsorgerisch zur Ausnüchterung ermahnten, so hat in der Folgezeit Trier der allgemeinen Aufschwungsrichtung der Weltgeschichte gegenüber allemal als aufgeschlossen sich erwiesen und sich zunehmend zielstrebig zum innerregionalen Brennpunkt der Viezfeten, traditionellen Randale und fundamentalen Kopflosigkeit gemausert.
So nimmt nicht wunder, daß Trier auch angesichts seiner gewissermaßen