Zoran Drvenkar

Still


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erzähle. Er hat meine Frau nur einmal gesehen, wir aßen nach einem Theaterbesuch im selben Restaurant. Sie war ihm sympathisch. Also erzähle ich ihm von dem Umzug. Wie schwer es ist, sich auf die neue Umgebung einzustellen, wie unterschiedlich sich Häuser anfühlen, und betone dabei, daß ich schlecht schlafe. Er nickt und fragt, wie meine Tochter die Trennung verkraftet. Ich hebe die Schultern. Langsam. Wie jemand, der sich zu entspannen versucht.

      – Wie soll ein Kind es schon verkraften, wenn die Mutter ihre Sachen packt und verschwindet?

      Ich lasse die rhetorische Frage einen Moment in der Luft hängen.

      – Es geht ihr gut, füge ich hinzu.

      Meine Stimme ist kontrolliert, ich habe geübt und weiß, wie was klingen muß. Ich bin jemand, der sich erklärt.

      – Außerdem habe ich eine andere Frau kennengelernt. Sie …

      Ich schaue auf meine Hände.

      – Nun, sie ist jünger und eine Kollegin an meiner Schule. Das war, nachdem mich meine Frau verlassen hat und---

      – Es ist in Ordnung, unterbricht mich mein Urologe verständnisvoll, Du mußt ja auch an dich denken. Was sagt deine Tochter zu der neuen Freundin?

      – Sie hat sie noch nicht getroffen.

      Wir schweigen. Ich muß auf den Punkt kommen.

      – Ich brauche Hilfe, sage ich halblaut, Da unten, da … passiert nichts mehr.

      Mein Urologe stellt mir ein Rezept für Viagra aus. Er sagt, so eine Reaktion wäre völlig normal nach einer Trennung. Besonders wenn man verlassen wurde. Ich solle mir keine Sorgen machen. Er fragt, wieviel Tabletten ich haben will. Ich sage sechs. Er erklärt mir Viagra. Ohne daß ich nachfragen muß, verschreibt er mir auch ein Schlafmittel. An der Tür hält er meine Hand länger als üblich, während er mir einen letzten Ratschlag gibt.

      – Du solltest bald mit deiner Tochter reden.

      Er hat ihren Namen vergessen. Es ist in Ordnung. Er ist nur mein Urologe, und ich habe, was ich wollte.

      6

      Ein Mensch kann sich nur für eine bestimmte Zeit vor dem Leben verstecken. Ein Mensch kann hungern und dürsten, ein Mensch kann verdrängen und neu anfangen, er wird aber nie die Erinnerung daran verlieren, wie es ist, ein Mensch zu sein. Ich erinnere mich sehr gut, auch wenn ich mich jeden Tag mehr und mehr vom Menschsein entferne.

      Das Zimmer meiner Tochter befindet sich im ersten Stockwerk am Ende des Flurs. Das Licht leuchtet am Abend beruhigend unter der Tür hervor. Wir haben ihr die Lampe geschenkt, als sie mit fünf Jahren Angst vor der Dunkelheit hatte. Es ist eine Jugendstillampe mit einem sich drehendem Papierschirm. Auf dem Schirm sind Papageien abgebildet, die zwischen Baumwipfeln fliegen. Das Licht verwandelt ihr Zimmer in einen magischen Ort, der voller Abenteuer ist. Ich betrete es nicht mehr. Das letzte Mal war ich voller Wut und habe ein Loch in die Wand geschlagen. Ich lerne dazu, ich reiße mich zusammen.

      Ihr Name hängt in bunten Buchstaben an der Tür. Das eine S verrutscht immer wieder, ich rücke es gerade und hoffe, daß meine Tochter merkt, daß ich das für sie tue. Wir haben es schwer miteinander. Ich gehe ihr, so gut ich kann, aus dem Weg, wie man jemandem aus dem Weg geht, der einen daran erinnert, wer man einst gewesen ist. Manchmal lege ich die Hand auf ihre Türklinke, weiter komme ich nicht. Oder ich decke den Tisch für uns beide. Dann gibt es Tage, da liegt ihr Name wie ein schweres Gewicht auf meiner Zunge, und kein Ton kommt heraus. An solchen Tagen denke ich nur an meine Tochter, ich denke nie an meine Frau, die ihr neues Zuhause auf der anderen Seite der Stadt gefunden hat. Sie sagt, mein Leben wäre eine Lüge, sie erträgt mich nicht mehr.

      Oft stelle ich mir vor, was meine Frau für ein Gesicht machen würde, wenn sie die zwei Teller auf dem Tisch sehen würde. Gläser. Besteck. Servietten. Manchmal eine Kerze. Ich kann ein guter Vater sein, ich kann einen Tisch decken und es anständig aussehen lassen. Ich tue es nicht für meine Frau, denn ich suche nicht mehr ihre Zustimmung, ich tue es für unsere Tochter und die Normalität im Leben. Unseres Lebens.

      An besonders guten Tagen hinterlasse ich meiner Tochter einen Zettel mit einer Nachricht, aber kaum kehre ich von der Arbeit zurück, zerknülle ich das Papier hastig, ohne einen weiteren Blick darauf zu werfen. Sie soll es nicht lesen, sie soll es lesen. Ich weiß nicht, was ich will. So werden aus besonders guten Tagen besonders schlechte Tage.

      7

      Edmont sitzt mir gegenüber und sein Hemd ist zwei Knöpfe weit geöffnet. Um den Hals trägt er ein Lederband mit einem indianische Symbol als Anhänger. Er sagt, den Talisman hätte er von einem Schamanen geschenkt bekommen. Niemand dürfte ihn anfassen, sonst ginge die Kraft verloren.

      – Da steckt eine Power dahinter, das kannst du dir nicht vorstellen.

      Es ist Samstag und die Straßen sind vereist. Wir sind die ersten am Tisch. Sonntags lasse ich mich nicht blicken. Zwischendurch setze ich immer wieder einen Tag aus, damit kein Rhythmus erkennbar ist. Ich will nicht berechenbar sein. Ich bin ein Mann mit Hintergrund und Geschichte. Ein Mann, den seine Frau verlassen hat, und das Leben geht weiter.

      Edmont trinkt Kaffee. Ein Abend im Pub muß für ihn genau so beginnen – Kaffee mit Milch, zwei Kekse und Bruce Springsteen. Die Uhrzeit ist ihm dabei egal. Edmont rührt Zucker in seinen Kaffee und klopft den Löffel sorgfältig am Rand der Tasse ab, ehe er sagt, er würde jetzt mal ehrlich sein.

      Ich nicke, es freut mich, daß Edmont jetzt mal ehrlich sein will.

      Er nippt von seinem Kaffee und verzieht das Gesicht, als wäre es selbstgebrannter Schnaps. Danach legt er die Hände um die Tasse und schaut mich mit einem Lächeln an. Er sagt, daß er mich mag, er sagt, daß mich die Jungs mögen, aber er sieht da ein Problem.

      – Irgendwas stimmt nicht mit dir, Mika, und ich wüßte gerne, was da nicht stimmt.

      Er hat es auf den Punkt gebracht. Beinahe schon poetisch. Ich bin ihm dankbar. Abend für Abend sende ich Furcht aus. Ich bin eine Leuchtboje auf dem Meer.

      Seht mich, hier bin ich.

      – Ich weiß nicht, was ich sagen soll, sage ich.

      – Denk gut nach.

      Er streicht mit dem Zeigefinger über den Rand der Kaffeetasse.

      – Denk sehr gut nach. Und wenn wir dann alle hier sind, dann …

      Ich kann deutlich die drei Punkte am Ende seines Satzes hören. Edmont ist hier, um für die Balance zu sorgen. Springsteen singt: Everybody’s got a hunger, a hunger they can’t resist. Ich nicke. Ich verspreche ihm, sehr gut nachzudenken. Er klopft mir auf die Schulter und sagt, die nächste Runde gehe auf mich.

      Drei Stunden später, und der Abend nimmt seinen üblichen Lauf. Samstag bedeutet volle Tische und viel Lärm. Eine neue Kellnerin sorgt für gute Laune, und die Männer machen ihr Augen, als wäre sie die Verführung in Person. Die Frauen spüren die Spannung und trinken mehr. Edmont und Achim spielen Dart. Franco konnte mit ihnen nicht mithalten und hat geschworen, daß Gottes Rache grausam sein würde. Jetzt sitzt er wieder an unserem Tisch und läßt sich darüber aus, wie albern Dartspielen ist. Hagen bestellt eine Runde Bier und einen Rotwein. Während wir warten, erzählt Franco von seiner Idee, einen neuen Radiosender ins Leben zu rufen.

      – Ausschließlich Musik aus den 70ern. Soul, Pop und nochmal Soul. Kein Gelaber, keine Nachrichten, nur ein einziger Werbeblock jede Stunde, denn davon kommt die Kohle. Macht doch Sinn, oder?

      Ich gebe ihm Recht, das macht Sinn. Hagen erklärt, daß er sich nur für klassische Musik interessieren würde. Ich weiß, daß er drei Jahre auf dem Hamburger Konservatorium war, ehe er das Antiquariat übernahm. Er spielt noch immer Geige. Franco schnaubt, er findet, Klassik wäre was für frigide Frauen, die auf frigide Männer stehen. Hagen fühlt sich nicht beleidigt, es gibt kaum etwas, was ihm nahegeht. Rod Stewart gibt einen Schrei von sich. Hot Legs setzt ein, und Franco stellt