Ulrich Land

Messerwetzen im Team Shakespeare


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      »Dafür legst du aber verdammt noch mal die geilste Neugier an den Tag, die die Welt gesehn hat.«

      »Sujets von weltumspannender Tragweite, dreifach versiegelte Geheimnisse – haha – im Namen unsrer Virgin Queen Elisabeth the First!«, trällerte sie, bevor sie endgültig in schallendes Gelächter verfiel.

      Ihr Mitstreiter – in seiner wenig komfortablen Haltung mit Rotz und Wasser heulenden Augen, luftlechzenden Lungen und qualmverätztem Kehlkopf – ging allmählich jeder Fassung verlustig und zischte: »Sapperlot! Ruhe, hab ich gesagt!«

      »Da habt Ihr die Rechnung«, drang es von unten herauf – unverkennbar Marlowes Stimme –, »habt Ihr die Rechnung ohne den Wirt gemacht, Frizer.«

      Der nicht faul, riss, wie Kyd hören konnte, die Zimmertür auf und brüllte in den Flur: »Frau Wirtin, hier will einer seine Zeche nicht …«

      »Frau Wirtin, da will einer seine Zeche nicht begleichen!«, nahm die offenbar etwas abseits im Flur stehende Housemaid den Faden auf und fungierte mit alkoholbeflügelter Stimme als Sprachrohr treppabwärts.

      Und sofort war von ganz unten aus der Gaststube Witwe Bull zu vernehmen, die Besitzerin, mit der, wie jeder wusste, schon unter ganz normalen Bedingungen nicht zu scherzen war. »Sag ihm, er soll ’n Augenblick noch mal ’n Gedanken drauf verwenden, der lumpige Schuft, ob das sein heiliger Ernst ist! Sag ihm, ich komm gleich.«

      Ich kann mir unschwer ausmalen, wie Widow Bull da unten breitbeinig stand, sich die schwitzigen Hände an der Schürze abgewischt hat, um sie dann in die Hüften zu stemmen und vor sich hin zu mosern, das sei ja wohl unfassbar. Unfassbar sei das. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das so ’n Moment war, der ihre linke Augenbraue aus der guten Ordnung brachte. Das Zucken ihres buschigen, feuerroten Haarwulstes überm linken Auge, ja, muss genau in der Zeit damals gewesen sein, dass das unübersehbar wurde. Hat sie offenbar selbst irritiert, jedenfalls hat sie mit ihrem wurstigen Zeigefinger immer wieder da rumgedrückt, um die Braue, die sich verselbstständigt hatte, in die Schranken zu weisen. Gab Tage, da reichte ein kurzes Antippen, und gab Tage, da musste sie den Finger richtig energisch auf die Oberkante ihrer Augenhöhle drücken und hatte trotzdem ihre liebe Müh, die espenlaubfidele Hautpartie zur Ruhe zu bringen.

      Aber Augenbrauenzucken hin, Zeigefingerpressur her, ihren Gefühlsausbrüchen taten so Nebenkriegsscharmützel keinen Abbruch. Überhaupt nicht. Dafür, dass sie sich durch so was nicht vom Eigentlichen abbringen ließ, dafür stand schon ihre Statur. Ich meine, Sie hätten bloß ihr Kreuz sehen sollen: breit wie ein Kerl! Und als Gegengewicht ein kolossaler Vorbau, der mit jedem Tag ihres fortschreitenden Alters anzubauen schien.

      Längst hatte Frizer die Zimmertür wieder zugezogen und fläzte sich auf einen über die Bohlen schrappenden Stuhl. Marlowe war, wie sich’s für Kyd droben in seinem kohlrabenschwarzen Krähennest darstellte, hinterhergestiefelt und hatte Frizer am Revers gepackt; jedenfalls mussten sich ihre Nasenspitzen fast berühren, denn man konnte keins der offensichtlich wenig freundlichen Worte verstehn, die sie sich um die Ohren pfeifen ließen. Plötzlich jedoch schien Marlowe sich eines Besseren besonnen und Frizers Kragen fahren gelassen zu haben. Das durchdringende Knarren verriet, dass er sich aufs Bett geworfen hatte. Die Vorstellung, wie Marlowe seinen schlankranken Körper da unten in den Kissen räkelte mit der ihm eigenen Selbstsicherheit, die durch nichts, aber auch durch gar nichts einzutrüben war, versetzte Kyds Leib eine Art elektrisches Britzeln.

      Jetzt nicht einfach runter zu können und beim Zerwühlen der Laken mitzuhelfen, verdammt, das muss für den armen Kyd an Folter gegrenzt haben!

      »Mit Vergnügen und mit Schmiss, Frizer«, ätzte Marlowe mit breitem Grinsen, das durch jedes der wohlgesetzten Nadelstichworte sickerte, »mit Vergnügen mach ich Euch ’nen Strich durch die Rechnung! Euch und diesem vermaledeiten Kronrat samt Geheimdienst. Und an vorderster Stelle – das könnt Ihr ihm getrost bestellen – an vorderster Stelle diesem Dreikäsehoch namens Walsingham! Rühmt sich, mein persönlicher Freund zu sein! Pah!«

      Und um seinen Abscheu zu unterstreichen, zog er so viel Schleim hoch, wie seine Atemwege hergaben und spuckte das Ding klatschend auf die Wand, wo es, der Schwerkraft folgend, lange Fäden ziehen mochte.

      »Mir wird speiübel«, rülpste Marlowe, »kotzschlecht beim bloßen Gedanken an Euern Walsingham, den ausgekochten Ränkeschmied, den.«

      Frizer schnauzte, das lasse er nicht auf seinem Master sitzen. Schon gar nicht, wenn es so einer in die Welt trompete, ein windiger Vogel mit wurmstichigem Namen, ein gewisser – Frizer verzog die Lippen zu einem hässlich asymmetrischen Gebilde – ein gewisser Christopher Marlowe.

      Ich weiß nicht, sind Sie im Bilde, mit welchen Figuren wir es hier zu tun haben? Besagter »Dreikäsehoch« und Ränkeschmied, bei dem Frizer um Dienst stand, war kein anderer als Sir Thomas Walsingham, seines Zeichens führendes Mitglied im Kronrat unserer Virgin Queen Elisabeth I., zuständig für den Secret-Service. Stasi-Mafiosi der übelsten Sorte, wenn Sie mich fragen. Ingram Frizer jedenfalls, sein katzbuckelndes Faktotum, sein so emsiger Koffer- wie Wasserträger, flankierte ihn auf Schritt und Tritt. An jenem Abend aber, beim Treffen mit unserm allseits geschätzten Marlowe, war Frizer, wie mir Kyd ein paar Tage später rapportierte, ausnahmsweise mal ohne seinen Patron und Gebieter in Erscheinung getreten. Dafür allerdings seinerseits begleitet von zwei Handlangern.

      »Heh«, zischelte Helen neben Kyds Schulter, »was war das für ein Geräusch, Thomas?«

      »Was weiß ich, hat sich angehört, als wenn dieses Frizer-Sackgesicht unserm guten Marlowe einen Humpen Bier ins Gesicht gekippt hätte.«

      Doch schon hörten sie Marlowe in tosendes Gelächter ausbrechen. Er war sich seiner Sache offensichtlich sehr sicher. Gefährlich sicher! »Morgen, vorm Court of Star Chamber, bei meiner Verhandlung lass ich euch alle auffliegen«, plapperte er völlig ungerührt, auch wenn man jetzt deutlich durchhörte, dass seine Zunge ihre Arbeit denn doch reichlich alkoholbeschwert verrichtete. »Über jeden Einzelnen von euch, bis rauf zu den höchsten Chargen, hab ich durchaus unangenehme Details auszupacken.«

      Kyd stockte der Atem. Er hörte, wie einer der beiden Gesellen, die er am frühen Nachmittag mit Frizer und Marlowe hatte ins erste Stockwerk stiefeln sehn, seine Zeitung zur Seite warf.

      Kann nur die Financial Times gewesen sein. Ich meine, ich weiß ja nicht, wie’s Ihrem Langzeitgedächtnis ergeht; meins, gut, lässt mich womöglich hin und wieder auch mal im Stich; aber kann man dem guten Stück nicht unbedingt einen Vorwurf draus machen. Nach all den Jahren und Jahrhunderten, da hat’s natürlich nicht mehr jedes Detail auf dem Schirm. Geb ich zu. Außerdem geht’s hier oben eben doch anders zu als drunten im Jammertal; hier kommen die Kleinigkeiten quer durch die Epochen schon mal ein bisschen durcheinander. Das Gedächtnis des Himmels ist zwar unermesslich, aber nicht in jedem Augenblick gut aufgeräumt, nicht wahr? Ist es nicht so? Ist doch so. Auf jeden Fall, da bin ich mir absolut sicher, ziemlich sicher: »Financial Times«. Ich weiß nicht, wissen Sie, wie sich deren Papier anfühlt? Und anhört, wenn’s auseinander- oder zusammengefaltet wird? Einfach anders als andere Zeitungen. Als würden Geldscheine mitknistern. Und dann Frizers zweiter Hanswurst, der mit dem Gameboy! Das Biest muss die ganze Zeit am Piepsen gewesen sein, muss gekatzenjammert haben bis rauf zu Kyds und Helens Beobachtungsposten.

      Plötzlich sprang Frizer auf, ohne drauf zu achten, dass er beim Durchdrücken der Kniekehlen den Stuhl umstieß, und Kyd hörte ihn irgendwas stählern Klingendes aus dem Gürtel ziehen. Ein dumpfer Stoß, Marlowe, ja, unverkennbar: Marlowe stöhnte kurz auf. Kyd hielt es nicht mehr auf seinem Hochsitz, er riss den Kopf aus dem qualmstinkenden Loch und rannte – egal, was Helen da hinter ihm herstammelte – die Stiege zum ersten Stock runter.

      »Shit«, hörte Kyd die Housemaid kreischen, bevor ein ohrenbetäubendes Geschepper ankündigte, wovon er sich, soeben um die Ecke biegend, denn auch selbst überzeugen konnte: Die arme Frau – Kyd konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es nicht nur der Schock war, der ihr in die entgleisten Gesichtszüge geschrieben stand, sondern auch der Fusel, dem sie vor kurzem zugesprochen haben mochte –, die arme Frau hatte ihr ganzes, mit Geschirr und Bierhumpen beladenes Tablett zu Boden gehn lassen, stand bis zu den Knöcheln im Scherbenmorast