Alfred Rohloff

Die Leute in Baubeln


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lasse.

      Wie gesagt, viele Lehren und Irrlehren sind in diesem kleinen Landstrich zu Hause – nur nicht jene von der Reinerhaltung der Völker und Rassen, eine Lehre, die zugegebenermaßen in Baubeln und Umgebung völlig unbekannt geblieben ist. Wenn dann jene Lehre später über das Land und auch über Baubeln hereinbrechen wird, werden die Leute von Baubeln verständnislos dastehen, werden zusehen müssen, wie ihre beiden Grundsätze von einer anscheinend fremden Macht gewaltsam beiseite geschoben werden.

      Ja, den Gang der Geschichte haben die Baubler, weiß Gott, unterschätzt. Auch hierbei huldigten sie einem Spruch, der die erwarteten Veränderungen eher klein redete: »Watt sull ware, nuscht öss nu all« (»Was soll werden, nichts ist jetzt schon«). Ja, die Baubler glaubten eher an ein festes Sein – und sei dies auch nur das Nichts – als an eine grundlegende Veränderung.

      Wenn dann aber die einschlägige Geschichte mit ihren Einschlägen kommen wird, dann wird nichts mehr »jietlich« zu regeln sein, und die Hochachtung vor der Schrulligkeit wird auf dem Scheiterhaufen der Geschichte verbrennen. Ja, Geschichte wird einen großdimensionalen Veranstaltungscharakter erhalten und weiträumig alle feineren Strukturen einebnen. Geschichte wird dann etwas sein, das Geschichten nicht mehr zuläßt. Die Leute aus Baubeln werden nichts dagegen tun; sie werden die Bewertungen irgendwelcher »Herrenmenschen« zulassen, durch die sie in verschiedene Kasten aufgeteilt werden, aufgeteilt und abgezählt. Die Leute aus Baubeln werden sich nicht dagegen wehren, und keiner wird sagen können, ob sie mit ihren zwei Grundsätzen gegenüber dem Verderben hätten etwas ausrichten können. Aber sie werden für diese Geschichte, die sie zugelassen haben und die großflächig alles ergreift und alle Unterschiede entweder einstampft oder in einem Zerrspiegel zeigt und bekämpft, schwer bezahlen müssen.

      Aber jene Zeit ist noch nicht hereingebrochen und wird erst nach unseren Geschichten in die Geschichte eintreten. Kehren wir darum in unsere Gegenwart zurück, in die Gegenwart der Geschichten, und wenden wir uns wieder Baubeln zu.

      Was man in diesem Dörfchen eigentlich noch, außer einer Kirche, vermißt – was sonst aber in vielen Ortschaften dieses Landstrichs anzutreffen ist – das ist ein Gutshof. Allerdings haben einige der Baubler es mit dem Gutshof eines Nachbardorfes zu tun; einige in der Weise, daß sie auf demselben ihre Arbeit verrichten, sich gegen etwas Geld und Naturalien für ihre »Herrschaften« abrackern, andere aber in der Weise, daß sie seit mehr als zwanzig Jahren um dieses oder jenes gegen einen Gutsbesitzer prozessieren und zwar mit wechselndem Ausgang.

      Letzteres tut auch Jan Kaschuweit, wobei der Anlaß ein kleines Wäldchen ist, das – wie Wäldchen dieser Art es häufig an sich haben – gerade auf der Grenze zwischen den Feldern des Jan Kaschuweit und jenen des Gutsbesitzers gelegen ist. Und immer wieder pflegt Jan Kaschuweit in der »Lindenkrone« beschwörend auszurufen, daß das Recht niemals das Recht der Großen sein dürfe, um sich dann wütend in die nächste Verhandlung zu stürzen.

      Aber jetzt habe ich fast schon zu viel verraten, denn von den Baublern soll ja erst in meinen Geschichten die Rede sein.

      Vielleicht möchte mich der geneigte Leser nun noch fragen: Wozu denn jetzt diese Geschichten?

      Nun gut, zugegeben: Diese Geschichten haben sich einmal schon selbst erzählt, – damals, als sie geschahen. Immer hängen doch Geschichten wie Kletten an den Geschehnissen. Was immer auch geschieht: es geschieht ja nicht so einfach »mir nichts dir nichts«, sondern es geschieht ja, geradezu – ganz im Gegenteil – »mir etwas und dir etwas«, eben »für mich und für dich«, anders gesagt: eben als eine Geschichte.

      Aber müssen wir nicht auch das Umgekehrte annehmen, lieber Leser: daß die Geschichten auch ebenso die Geschehnisse mit sich herumtragen, indem sie immer sagen, wie alles so geschah, oder doch so, wie es fast geschah, oder doch zumindest: wie es so und nicht anders hätte geschehen können.

      Wie gesagt: Einmal haben sich diese Geschichten schon selbst erzählt. Aber wer hat ihnen denn damals schon zugehört? Viel zu wenige, meine ich, – denn Baubeln, dort wo diese Geschichten damals geschahen, hatte ja kein großes Auditorium aufzubieten, selbst wenn man die Hühner, Enten und Hunde mitzuzählen beliebte. Ja, und auch die Baubler selbst hatten ja nicht die Zeit, dauernd das Auditorium zu spielen, wenngleich sie es auch mitunter zu gerne getan hätten.

      Sicher mag dieses oder jenes von den Geschichten über Baubeln hinaus gedrungen sein, aber doch nur spärlich auf den wenigen Lehmwegen, die aus Baubeln hinausführten, denn die Baubler selbst hatten ja anderes zu tun, als ihre Geschichten über die Dörfer zu tragen.

      Nun frage ich Sie, lieber Leser, zuletzt: Sind das nicht Gründe genug, sie noch einmal zu erzählen? Man mag mir verzeihen, wenn ich, selbst ein Baubler, sie hier noch einmal so berichte, wie sie sich fast zugetragen haben.

      So wie ich nun von den Geschichten sagen kann, daß sie sich fast so zugetragen haben, wie sie hier erzählt werden, so kann ich auch von den vorkommenden Personennamen sagen, daß es sie so oder so ähnlich gegeben hat, wenn sie denn auch heute nicht mehr eindeutig bestimmten Personen zuzuordnen sind.

      Für die Ortsnamen hingegen kann ich mich verbürgen. Sie hat es einmal so gegeben, wenn denn auch die »Herren der Geschichte« sie mitunter nach ihrem Gusto verändert haben.

       Das Geheimnis der Heide

      Baubeln lag, wie gesagt, auf einem großen Bergrücken, der sich nach Süden wie eine Zunge in die Ebene erstreckte. »Groß« war dieser Bergrücken eben nur in dem Sinne, wie die Bewohner des küstennahen Flachlandes dieses Wort in den Mund nehmen. Von diesem Hügel dehnten sich nach allen Seiten die Wiesen und Felder, die sich im Frühjahr, wenn die Saat noch grün war, sich den Anschein einer weiten, vom Menschen noch unberührten Graslandschaft gaben, während sie in den Sommermonaten, da jedes Feld sich in seiner Eigenfarbe vom anderen abhob, den Eindruck erweckten, als habe hier der Mensch das Land zu einem von geometrischen Figuren durchwirkten Flickerteppich geknüpft.

      Südlich von Baubeln aber zog sich der Wald hin, den man die Rominter Heide nannte. Er lag doch so weit von Baubeln entfernt, daß er den vom Dorfhügel schweifenden Blick nicht behinderte, aber wiederum doch so nah, daß er sich wie eine schöne, ruhige Kulisse vor dem Horizont lagerte und sich besonders des Abends schwarz und verschlossen wie ein großes Geheimnis in Erinnerung brachte.

      Im Winter, wenn die Feldarbeit ruhte, schlugen dort die Leute aus Baubeln bei klirrender Kälte ihr Holz, was eine harte Arbeit war und darum auch nur unter nicht geringem Aufwand von Korn und Speck zu bewältigen war.

      Aber auch im Sommer pflegten die Baubler einmal die Rominter Heide zu besuchen, – dann nämlich, wenn die Beeren herangereift waren. Dann war eines Tages im Morgengrauen ein großes Treiben auf der Dorfstraße zu bemerken, weil man mit mehreren Gespannen den Weg in die Rominter Heide antrat, beladen mit Eimern, Milchkannen und Kindern jeder Größe, die alle gefüllt sein wollten oder sollten mit dem köstlichen aromatischen Überfluß der Natur.

      Noch heute, da die Baubler irgendwo verstreut in der Welt leben, denken sie jedesmal, wenn sie eine Flasche Saft in einem Supermarkt erstehen, an ihren Wald und ihren selbstgekochten Himbeersaft zurück; und wenn sie auch nicht genau wissen, was sie damals falsch gemacht haben, als die Zeit des Schreckens hereinbrach, – nicht genau in dem Sinne, daß sie mit Bestimmtheit hätten sagen können, was sie damals an diesem oder jenem Tage hätten anders machen müssen – so wissen oder ahnen sie heute doch, daß sie es in irgendeiner Weise mitzutragen haben, daß ihnen der Wald genommen ist.

      Aber zurück nach Baubeln: Denn hier war im Laufe der vielen Sonnentage der Beerentag geradezu herangereift, so daß sich des Morgens, als der Tau noch silbern auf den Wiesen lag, auch Jan Kaschuweit mit seinen Leuten am hohen Kastenwagen zu schaffen machte, um alles Nötige, zumal Eimer und Kannen, aber auch Getränke und Eßbares, für die Tagesreise zu verstauen.

      Zu »seinen Leuten« gehörten, da die Kinder der Kaschuweits in die Stadt gezogen waren, neben seiner Frau Renate, nur noch die auf ihrem Hofe angestellten Gehilfen Erwin und Hildegard, beide schon einige Jahre über Vierzig und in allen möglichen auf dem Hofe anfallenden Arbeiten sehr erfahren.

      Mit Renate Kaschuweit, der Bäuerin,