Alfred Rohloff

Die Leute in Baubeln


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von sich sagen –, hatte sie doch die Gabe, oder vielleicht sollte man besser sagen: meinte sie die Gabe zu besitzen, Beziehungen der Menschen untereinander schon nach flüchtigem Beobachten richtig einschätzen und beurteilen zu können.

      Diese ihre Gabe hatte sie nun in letzter Zeit besonders auf das Verhältnis von Erwin und Hildegard geworfen, und so lag sie nun schon seit einigen Wochen mit ihrem Ergebnis dem Jan Kaschuweit in den Ohren.

      »Du, die beiden, das sag ich Dir, die haben was zusammen«, meinte sie immer wieder, auch wenn Jan, das Resultat solcher Recherchen mißachtend, meist daraufhin nur brummte oder gar den Kopf schüttelte und bemerkte: »Wieso? Das glaub ich nicht.«

      »Siehst Du denn nicht, daß sie dauernd zusammensitzen?«, fragte dann Renate besserwisserisch zurück.

      »Na, mit wem sollen sie denn auch sitzen? – Es ist ja sonst niemand da«, wies Jan sie daraufhin meist zurecht – aber abbringen konnte er sie weiß Gott nicht von diesem Gedanken.

      So beobachtete sie denn auch heute ziemlich unverhohlen die beiden, um möglicherweise eine sichere Gewißheit über dieses Verhältnis zu erlangen – eine Gewißheit, der gegenüber sich dann auch Jan zu beugen hätte.

      Allerdings machte dies die Sitzordnung auf der Hinfahrt einigermaßen schwierig.

      Ohne daß Jan auch nur die geringsten Anstrengungen unternommen hätte, die stillen Wünsche seiner Frau zu erraten, hatte er sich auf das vordere Brett gesetzt, das über die beiden Seitenwände des Wagens gelegt war, und hatte – dieser Ahnungslose! – seine Frau auch noch aufgefordert, neben ihm Platz zu nehmen. Erwin und Hildegard hatten auf eben einem solchen Brett im hinteren Bereich des Wagens Platz gefunden.

      Wie nun diese beiden beobachten, wenn man hierzu doch den Kopf hätte wenden müssen? Nein, das ging nun nicht: Die würden das doch bemerken.

      Fünf Wagen hatten sich an diesem Tage auf den Weg in den Wald gemacht, die anfangs noch in einer Kolonne fuhren, wobei manches Hallo, mancher Scherz und einmal gar eine Branntweinflasche von Wagen zu Wagen ging. Letzteres geschah, weil der lange Feuersenger gemeint hatte, daß man eine Erwärmung jetzt in der Morgendämmerung, da der Himmel noch sonnenlos sei, sehr nötig habe.

      Nachdem man aber den Wald erreicht hatte, machten sich Individualismus und Wetteifer bei den Baublern in der Weise bemerkbar, daß jedes Gespann in ein anderes Gebiet des Waldes strebte, um schneller die Gefäße oder gar mehr Gefäße als die anderen zu füllen, denn jeder meinte besser als der Nachbar zu wissen, wo denn die überbordenden Beerenstellen des Waldes in diesem Jahr zu finden seien.

      So waren denn auch Jan und Renate auf einer Lichtung des Waldes angelangt, deren übermannshoher Bewuchs zur Hauptsache aus Himbeersträuchern gebildet wurde, wobei sich allerdings – sehr zum Nachteil der Baubler Beerenleser – große und kleine Dornbüsche eingeschlichen hatten, was denn auch den Jan Kaschuweit veranlaßte, zu einer stets paraten Lebensweisheit zu greifen und sie brummend, mit ernstem Gesicht, nach außen zu tragen:

      »Ich sag ja immer, es ist doch alles in dieser Welt gegen den Menschen gemacht.«

      Aber trotz der augenscheinlich vorhandenen Dornen machten sich dann auch die Leute von Kaschuweit an die schwierige Aufgabe des Beerenlesens. Jan Kaschuweit selber hatte sich allerdings, wie er das nannte, »dazu eingeteilt«, bei den Pferden zu wachen, was man sommers im Walde manchmal tat, weil man fürchtete, die Pferde könnten, von Hornissen und Bremsen gepeinigt, »durchgehen«.

      Natürlich wußte man im vorliegenden Falle nicht so genau, was alles denn den Jan Kaschuweit zu dieser Maßnahme veranlaßt haben könnte, ob es mehr die Sorge um die Pferde, der Widerwille gegen die bereits zur Genüge wahrgenommenen Dornen oder sein Hang zum Philosophieren war. Jedenfalls fühlte er sich viel wohler, nachdem er die Pferde ausgeschirrt und »seine Leute«, einschließlich Renate, in verschiedene Himmelsrichtungen in das Dickicht der Dornen und Beeren geschickt hatte. Und, den Blick auf seine beiden Braunen gerichtet, war er dann auch gleich zu Gedanken gekommen.

      Diesmal war es ein Wunsch, der sich in seinem Kopf festgesetzt hatte. Er wünschte sich, den Schädel eines toten Pferdes über der Toreinfahrt zu befestigen. Am liebsten würde er einen solchen irgendwo im Innern des Hauses aufhängen, aber das würde Renate, darin war er ganz sicher, nicht zulassen.

      Wie er auf so etwas kommen konnte?

      Nun, er hatte an das Bild über seinem Bett denken müssen. Dort hing ein Druck des Dürerbildes »Hieronymus im Gehäuse«. Und wenn dieser weise Mann sich mit einem Schädel, dem Symbol des Vergänglichen, umgeben konnte, warum nicht auch er, Jan Kaschuweit?

      Dabei schien ihm, nicht nur weil er ein Bauer war, sondern auch wegen der »ewigen Gevatterschaft des Pferdes und des Menschen«, wie er es nannte, ein Pferdeschädel das richtige zu sein.

      Während der Mittagsmahlzeit, als sie alle im Grase saßen, die beiden Paare gleichsam sich gegenüber, versuchte Renate, ihn von der Seite her fortwährend anzublinzeln und mit ihrem linken Daumen in Richtung des anderen Pärchens zu zielen, so als wollte sie, sagen:

      »Na, siehste, ich hab es doch gesagt«.

      Aber Jan Kaschuweit, noch immer den Pferdeschädel vom Vormittag im Kopf, bemerkte »rein nuscht gar nuscht«. Das einzige, das er von der Welt wahrnahm und entgegennahm, waren die köstlichen Himbeeren und Blaubeeren, die Renate allen als Nachtisch kredenzt hatte.

      Als sie sich dann wieder des Abends mit dem Fuhrwerk auf den Heimweg machten, schlug Renate vor, nun solle doch Erwin das Kutschieren übernehmen. Jan Kaschuweit fand das in Ordnung und dachte sich nichts dabei, als sie nun die Sitzordnung vertauschten, so daß Erwin und Hildegard vorne auf dem ersten Sitzbrett Platz nahmen, während er sich zu Renate auf das zweite Brett setzte.

      Aber kaum hatte sich der Wagen in Bewegung gesetzt, da ging das auch schon los.

      »Du siehst wohl gar nuscht«, eröffnete Renate flüsternd, aber auch ein wenig zornig, das Gespräch.

      »Was soll ich denn sehen«, fragte Jan, immer noch den blanken Pferdeschädel im Kopf, mit ahnungsloser Stimme zurück.

      »Na, hast Du Dir das Gesicht von Hildegard angesehn?«

      »Wieso?«

      »Dann hast Du auch nicht gesehn, daß sie mitten auf der Wange zwei blaue Flecken hat.«

      »Ach« – mehr brachte Jan Kaschuweit nicht hervor.

      Und dann ging das Flüstern weiter, wobei der fahrende Wagen und die Sielen der Pferde so viel Geräusch erzeugten, daß die vor ihnen Sitzenden nichts davon hören konnten.

      »Und ich weiß auch, was diese beiden Flecken sind«, zischelte Renate wieder, »das sind Blaubeeren, da kannst Du mir sagen, was Du willst!«

      Aber Jan Kaschuweit wollte eigentlich gar nichts sagen.

      »Ja, weißt du, die waren in die Blaubeeren gegangen, obwohl sie doch zuerst Himbeeren pflücken sollten«, flüsterte Renate weiter, »ja, und dann hat er sie geküßt mit seinem Blaubeermund.«

      Wieder strömte nur das »Ach?« aus Jan Kaschuweits Mund.

      »Aber ich bitt Dich, nu wird sich die Hildegard, eine ausgewachsene Person, beim Blaubeerenessen bekleckern? Das glaubst Du doch selbst nich.«

      Eigentlich wollte Jan Kaschuweit durch sein Schweigen andeuten, daß er da an gar nichts glaubte.

      Aber dies alles war noch längst nicht das Ende der Untersuchungen von Renate Kaschuweit.

      »Und hast Du nicht gesehen, wie sie beide miteinander wisperten, ehe sie in verschiedene Richtungen zum Beerensuchen in den Wald gingen? Und hast du gesehen, wie sie gegen Abend genau zur selben Zeit, wenn auch aus verschiedenen Richtungen, aus dem Wald kamen? Glaubst du an solche Zufälle?«

      Jan Kaschuweit wollte eigentlich an gar nichts glauben.

      Renate aber flüsterte immer leiser und hatte dabei ihr Gesicht ganz nah an den Kopf des Jan Kaschuweit gebracht.

      Dieser hatte allerdings so langsam seine Standhaftigkeit verloren, als er