Reiner Hänsch

Sauerland Live


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Grashalme es wagen, wieder über die genehmigte Länge von vier Zentimetern hinauszuwachsen, kommt augenblicklich der geschärfte Rasenmäher zum Einsatz, mit dem Alfred dann unter den strengen Augen seiner Helga verbissen seine Runden zieht.

      Manchmal Achten, manchmal Ovale, und manchmal, wenn er ganz gute Laune hat, schafft er es sogar, ein Muster in den Rasen zu mähen wie auf dem Fußballplatz. Man muss dann nur immer die Richtung des Mähers ändern, damit dieses Muster entstehen kann. Mein Lieber!

      „Hey Max, krass, Alter, was? Bock auf ‘ne Challenge im Garten morgen? Ich fordere dich heraus!“

      Ja, das kommt nicht so gut an und unser Sohn vertieft sich mit angewidertem Blick wieder in den nächsten D-MAX-Beitrag, in dem es diesmal um eine Familie geht, die in den Wäldern von Alaska, also mitten in der Wildnis lebt. Und sogar überlebt. Dann schaltet er aus und geht in sein Zimmer.

      Am nächsten Morgen spüren wir beide, Max und ich, eine gewisse Unruhe bei Steffi. Es geht alles etwas hektisch zu beim samstäglichen Frühstück. So, als ob uns die Zeit wegrenne. Steffi schlingt alles hinunter, und das ist doch nicht gesund und sehr ungemütlich.

      „Was ist denn los, Steffi? Haben wir’s eilig?“

      „Ja. Ab Mittag sind wieder Schauer angesagt.“

      „Ja und?“

      „Wie? Ja und? Wir gehen heute in den Garten“, singt sie. „Wisst ihr doch. Haben wir doch so ausgemacht.“

      Ja, wir hätten es zwar lieber vergessen, aber ja … so war der Plan. Steffis Plan. Sie hat es so ausgemacht.

      „Ich hab euch hier schon mal die alten Klamotten rausgelegt und dann geht’s gleich los.“ Steffi scheint richtige Freude an dieser bevorstehenden Aktion zu haben. Naja, es wird ja nicht lange dauern.

      „Boah, echt?“, fragt Max noch mal unnötigerweise, „Lukas wollte mich heute abholen, wir wollten zusammen ins Dorf …“

      Ach, da haben wir es wieder. Meine ganze schwere Kindheit holt mich in diesem Moment ein und ich werde nachdenklich. Zwing den Jungen nicht! Mach es nicht! Gib ihm seine Freiheit! Er braucht das. Er kann doch nichts dafür! Er muss unkrautfrei aufwachsen können!

      „Max, (räusper, räusper) heute gehen wir erst mal in den Garten! Kannst ruhig mal mitarbeiten und was für die Familie tun.“ Diese Worte sind mir wirklich nicht leicht gefallen, und er tut mir jetzt schon leid, der Arme. „Wann kommt Lukas denn?“

      „Um drei.“

      „Oooch, bis dahin sind wir lange fertig“, flöte ich fröhlich und tue so, als ob auch ich mich schon ein wenig auf meinen Einsatz an der grünen Front freue. Und außerdem sind ja ab Mittag Schauer angesagt. Läuft also.

      Traurig schlüpft Max in seine alten Jeans mit den Fahrradschmierflecken und zieht wiederwillig eine Jacke an, die ihm nicht mehr ganz passt. Auch ich zerre mir das Lumpenzeugs über, das Steffi uns rausgelegt hat und da stehen wir nun. Bereit, die Schmach der Sklaverei anzutreten.

      Steffi ist nicht mehr zu sehen. Sie steht schon zwischen den Kirschlorbeerbüschen und schnippelt fleißig. Sie schwitzt sogar schon, weil doch tatsächlich die blöde Sonne rausgekommen ist. Na, na, ob das mal gut geht mit den versprochenen Schauern heute Mittag.

      Steffi schneidet die ersten vorwitzigen Zweige ab und legt sie sorgfältig auf einen Haufen.

      „Max, du kannst das schon mal in die Schubkarre packen!“

      „Wo ist die denn?“, fragt er und auch ich muss nachdenken. Es ist doch schon eine ganze Weile her, dass wir dieses seltene Schiebe-Gefährt mal benutzt haben.

      „Am Kompost“, antwortet Steffi und bevor Max jetzt fragt, wo denn der Kompost ist, nehme ich ihn beiseite und wir gehen gemeinsam die Schubkarre holen. Ich habe den Komposthaufen schon mal gesehen. Er müsste irgendwo da hinten sein. Ah ja, da ist er ja. Leider ist der Reifen der Schubkarre platt und ich muss schon wieder überlegen, wo jetzt diese Luftpumpe ist.

      „Wo bleibt denn die Schubkarre?!“, ruft Steffi und ich rufe zurück „Wo ist denn die Luftpumpe?“ und höre nur, wie Steffi stöhnt und so was sagt wie „Immer dasselbe, wenn man‘s braucht, ist alles kaputt.“

      Ich erinnere mich aber dann, dass die Pumpe in der Garage lie­gen müsste und kann sie dann auch unter einer dicken Schicht Spinnweben herausarbeiten. Was Spinnen doch für tolle, total symmetrische und außerordentlich widerstandsfähige Gebilde bauen können!

      Dann steht die Schubkarre endlich an ihrem Platz.

      „Na los, einladen!“, ordnet Steffi etwas ungeduldig an und Max verrichtet murrend seine Fronarbeit. Dass sie bereits einen ganzen kleinen Berg von Ästchen abgeschnitten hat, kann man dem Busch über­haupt nicht ansehen. Er sieht eigentlich aus wie immer. So wird das nichts, denke ich. Da müssen ganz andere Geräte her. Da muss man in ganz anderen Dimensionen denken. Größer.

      „Warum schneidest du denn die kleinen Äste mit der Nagelschere ab?“, frage ich also, denn ich kann mich auch erinnern, dass ich da mal weitaus effektiveres Werkzeug gekauft habe.

      „Das hab ich gerne! Noch keinen Handschlag getan, aber schon klugscheißern. Das ist eine Rosenschere“, sagt sie und schneidet verbissen weiter.

      Ich schüttele nur den Kopf und verlasse sie erst einmal Richtung Schuppen. Rosenschere. Phh.

      „Wo gehst du denn hin? Wir müssen hier …“

      Ja, ja, denke ich nur. Mach du mal mit deiner Rosenschere, ich bin gleich zurück und dann wirst du dich aber wundern.

      Ich finde die Heckenschere nicht gleich, aber hinter den Fahrrädern und neben der alten Autobatterie liegt sie dann. Leicht angerostet, aber das tut ja nichts zur Sache. So ein Spezialwerkzeug wird eben nicht oft gebraucht. Auch eine Astschere entdecke ich nicht weit davon im Dreck liegen. Ja genau, die haben wir ja auch! Ich probiere sie kurz aus und bewundere ihren mächtigen Eisenschnabel, der die Äste kaltblütig abhacken wird, und nehme auch sie vorsorglich mit, denn mit einer Rosenschere kommen wir nicht weit.

      Und da fällt mir die elektrische Heckenschere ein, die ich ja auch mal gekauft habe. Ja. Die war ein absolutes Sonderangebot im Baumarkt und hat mir sehr gut gefallen. Leider ist sie noch nie zum Einsatz gekommen und fristet ihr nutzloses Dasein bis jetzt … ja, wo denn eigentlich?

      Es vergeht noch ungefähr eine Viertelstunde, bis ich sie gefunden habe, aber dann komme ich bestens ausgerüstet und bis an die Zähne bewaffnet wieder zurück an den Ort des Geschehens.

      Steffi empfängt mich mit einem niedergeschlagenen Kopfschütteln und stöhnt, als sie mein Waffenarsenal sieht. Ich übersehe das einfach mal und rolle meinerseits jetzt das Kabel von der Kabeltrommel ab, damit wir mit Watt und Volt und der Technik von heute gegen die grüne Pest vorgehen können.

      Steffi hat sich bei meiner Rückkehr dann auch schon die Finger geklemmt, weil auch die Arbeit mit einer Rosenschere geübt sein will. Na, sie macht das ja schließlich auch nicht jeden Tag. Es bildet sich eine Blutblase und ich bedauere sie. „Pflaster?“ „Ach was.“ Steffi ist ein harter Knochen. Max nutzt die kurze Unaufmerksamkeit seiner Wärterin und fingert kurz in seinem Handy herum. Die Sonne scheint noch immer.

      „So“, sage ich zufrieden, als die elektrische Zerstörungsmaschinerie ihre ersten bedrohlichen Rasselgeräusche von sich gibt, und Steffi weicht erschrocken zurück.

      „Willst du etwa mit dem Ding da …“

      „Natürlich“, sage ich, „das Zeugs muss doch ab, oder? Und ein bisschen Technik hat noch nie geschadet im nackten Kampf ums Überleben.“

      „Ja aber …“, höre ich noch, aber da rasselt die elektrische Vernichtungsschere schon mitten durch den Busch, dass es nur so spritzt und fetzt vor lauter grünen, abgehackten Zweigen und Blättern. Ich wüte mich wie mit einer automatischen Machete durch unseren Dschungel und höre nicht, wie Steffi versucht, mich einzubremsen. Indiana Jones.

      „Hör auf damit. Das sieht ja furchtbar aus! Du