Reiner Hänsch

Sauerland Live


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möglicherweise schweren, ungewohnten Arbeit sehe ich schnell mal im Handy nach, wie das Wetter in den nächsten Tagen werden könnte, denn ich spüre bei Steffi so einen unbändigen Tatendrang, der sich eventuell von ein paar Regentropfen gar nicht aufhalten lässt. Morgen nass mit trockenen Abschnitten. Oh. Trockene Abschnitte. Mist. Das könnte reichen.

      Das mit dem augenblicklich drohenden Schlechtwetter sieht Steffi aber glücklicherweise ein, nachdem sie die schwarze Wolke jetzt auch entdeckt hat und nickt zögerlich zustimmend aber nachdenklich. Ja, ich sehe es, da ist dieser Wille, die Natur zu besiegen. Der Mensch will sich seinen Lebensraum zurückerobern. Jedenfalls der Mensch Steffi Knippschild.

      „Aber morgen dann!“, sagt sie mit fester Stimme, die sogar den dröhnenden Motor des Chevys übertönt, „morgen gehen wir alle …“, dabei lächelt sie jetzt besonders Max überfreundlich an, „… in den Garten und kämpfen gegen diesen Urwald.“

      Steffi übertreibt natürlich mit dem Urwald. So schlimm ist es meiner Meinung nach noch lange nicht, aber gut, ein bisschen nach Dschungel sieht es tatsächlich aus. Wenn ich unser Gartenhaus suche, das ich dann von Efeu und Schlinggewächsen fast erdrückt in der hinteren Ecke des Gartens finde, dann muss ich zugeben, dass das Ganze ein bisschen was von über­wucherten Inkatempeln hat, die erst nach Jahrhunderten im Dschungel entdeckt worden sind, weil die Natur sie einfach verschluckt hatte.

      Vielleicht wird man eines Tages, in ein paar Jahrhunderten, auch die Familie Knippschild von Ranken erwürgt und mumifiziert in diesem Sauerlanddschungel entdecken und anhand dieser Funde das ganz normale Leben in dieser ländlichen Region zu re­konstruieren versuchen. Wie haben die Menschen damals gelebt in dieser Regenwaldhölle? Offensichtlich haben sie den Kampf gegen die Natur aber verloren. Schrecklich! Familien und geführte Reisegruppen werden durch unseren ehemaligen Garten und durchs ehemalige Haus gehen und nur noch Reste der Knippschildschen Zivilisation vorfinden.

      Also gut, dann gehen wir eben morgen alle mal in unseren Garten und schnippeln ein bisschen an den Zweiglein und Ästchen herum, die zu weit vorstehen, damit es nicht so weit kommen kann.

      Kann ja kein Problem sein und lange kann das auch nicht dau­ern, denke ich, weil ich jetzt am Wochenende und an den nächsten paar freien Tagen ganz gerne an meinem zweiten Buch weiterschreiben würde. Das erste, das den Titel Mörder, Möpse und Millionen trägt und ein spannender, unterhaltsamer Krimi geworden ist, hat sich in einer Ecke der Buchhandlung Kohle immerhin fast zweihundertmal verkauft (und von mir persönlich verschenkt natürlich) und mich darin bestärkt, dass ich wenigstens hier im Ort ein gefragter und vielgelesener Bestseller-Autor bin und auf jeden Fall ein zweites Buch schreiben sollte. „Ich hab ihr Buch gelesen, Herr Knippschild. Habs mir schlimmer vorgestellt.“ Na, bitte. Das sind Kritiken, die man sich wünscht.

      Wieder einen Krimi, dachte ich so. Warum nicht? Ich lese sie selber gerne, und was man selbst gerne liest, sollte man als Autor auch schreiben.

      Das Buch hat auch schon einen Titel. Der ist mir als erster eingefallen, nachdem vor Kurzen der alte Heinz Potthoff gestorben ist. „Totgesoffen!“, sagten die Leute da hinter vorgehaltener Hand und so soll das Buch auch heißen. Das gefällt mir. Aber mit der Handlung bin ich mir noch nicht so ganz im Klaren. Es soll auf dem Dorf spielen, es wird einen Toten geben, einen dorfbekannten Säufer, der eines Tages mit einer Flasche Schnaps in der Hand eben tot aufgefunden wird. Mord muss ja sein, sonst ist es kein richtiger Krimi. Es stellt sich aber dann heraus, dass in der Schnapsflasche ein Pflanzengift war … naja, und so weiter. Ich weiß es noch nicht so genau.

      War der Gärtner der Mörder? Daran muss ich also noch arbeiten. Und wenn wir morgen dann mit der Schnippelei im Garten fertig sind, dann geht es weiter mit meinem Manuskript. Ich freue mich schon drauf.

      „Garten?“, fragt Max mit reichlich angeödeter Miene und hat mein vollstes Verständnis. Ich bin auch nicht so der Gartentyp, was dessen Pflege und Hege angeht. Ich besitze zwar alle Geräte, die nötig sind, um der Sache Garten theoretisch Herr zu werden, aber ich gestehe, dass ich sie bis jetzt nur sehr selten oder gar nicht eingesetzt habe. Ich sitze lieber in einem Liegestuhl mittendrin im Garten und lese oder döse – an den bereits genannten vier Sonnentagen.

      Natürlich freue auch ich mich, wenn es um mich herum blüht und sprießt, sieht ja auch sehr schön aus, aber das muss auch nicht unbedingt sein. Es geht auch ohne Blühen und Sprießen. Einfach nur rumsitzen und lesen. Oder essen und trinken. Grillen zum Beispiel.

      Also, ich würde jetzt nie auf die Idee kommen, ein Blumenbeet anzulegen, weil ich Blüten und Bienen und so was brauche. Steffi sagt so oft Sachen wie „Schau mal, die Hortensie ist wieder gekommen!“ und freut sich. Ich freue mich dann natürlich auch, weil es wirklich toll ist, dass die Hortensie wieder da ist und auch sehr schön aussieht, sage aber nur „Ja, schön“ und lese weiter.

      Und diese Blumen dann auch noch zu pflegen oder womöglich sogar das Unkraut aus den Beeten zu zuppeln. Nein, nein. Das geht zu weit. Das muss wirklich nicht sein. Bisschen Wiese, bisschen Busch und Baum. Das reicht mir vollkommen. Und dann einfach wachsen lassen! Fertig.

      Ich kann mich noch sehr gut an meine Kindheit erinnern, in der ich oft genug mit entsprechender Strenge im Garten zum Unkrautjäten verurteilt wurde, obwohl ich gar nichts angestellt hatte, während die anderen Jungs draußen in Freiheit waren und allerlei Unsinn anstellen konnten. Aber ich saß knurrig zwischen unreifen Erdbeeren und sprießenden Porreestängeln und hab das verdammte Unkraut dazwischen rausgepopelt.

      Ich habe es gehasst und mir geschworen, so etwas meinen Kindern niemals anzutun. Das verfolgt einen bis ins hohe Alter, das beeinflusst die persönliche Entwicklung, das Sozialverhalten, die Einstellung zu Obst und Gemüse und vielleicht auch das spätere Sexualgebaren.

      Weiß man’s? Könnte doch sein. Ich weiß zwar nicht wie, aber ich bin mir sicher, dass man da eine Menge verkehrt machen kann, wenn man Kinder zu solchen Arbeiten abrichtet - und das will ich nicht. Max soll frei von Unkraut aufwachsen.

      Aber morgen soll er mal mit ran. Na gut. Einmal. Es geht ja sicher ganz schnell.

      Hätte ich früher mehr Fußball mit den Jungs gespielt und auf der Straße rumgelungert, hätte sich vielleicht später plötzlich ein starker Gartentrieb bei mir entwickelt. Wer weiß. Könnte auch sein. Ich würde ich jetzt vielleicht Rosen und Tulpen züchten, ich wäre im Kleingärtnerclub, würde meine Rosen auf Ausstellungen präsentieren und mit den dicksten Kürbissen und Kartoffeln angeben. Ich würde mit dem Nachbarn über den Zaun die Erdbeer- und die Kartoffelernte diskutieren und Mehltau und Rote Spinne als bösartige Feinde des Gärtnertums verfluchen.

      Wir würden uns austauschen über Giftmischungen und den richtigen Einsatz der wirksamsten Pestizide. Ich hätte Mein schöner Garten abonniert, bekäme monatlich die Siedler-Zeitung und rückte so bestens informiert dem Maul­wurf mit dem Solar-Maulwurf­schreck zuleibe, ich würde Ultraschallabwehr gegen den Wildhasen auffahren, der meine zarten, hilflosen Setzlinge abknabbert. Ich würde Schussfallen gegen die Wühlmäuse vergraben – ja, die werden unterirdisch erschossen. Peng. Ich würde Zäune setzen. Vielleicht elektrisch. Natodraht. Mein Garten wäre ein einziges militärisches Sperrgebiet – aber vorbildlich. Keine Gartenfeinde, kein Unkraut, alles blüht, alles wächst – aber so, wie ich es will.

      Doch zum Glück ist es eben alles ganz anders gekommen. Und dafür bin ich meinen Eltern dann doch im Rückblick sehr dankbar.

      Ich kümmere mich einfach nicht um den Garten. Er ist einfach da und ich liege und sitze eben manchmal drin. Mehr nicht. Gut, der Rasen, also eher die wilde Wiese, wird ab und zu gemäht, okay. Aber dann muss es auch gut sein.

      Ich will doch nicht der Sklave meines Gartens werden, so, wie meine Schwiegereltern zum Beispiel. Bei Alfred und Helga sieht der Garten aus wie ein botanischer Setzkasten, wie ein florales Panoptikum. Da sind die Blumen ausgerichtet und die Büsche gestutzt wie von einem fundamentalistischem Frisörmeister.

      Der Rasen hat sogar Kanten. Rasenkanten! Kennen Sie so was? Hatten meine Eltern auch. Da werden die Kanten des Rasens in mühevoller Zentimeterarbeit mit dem Spaten brutal abgestochen, bis er dann aussieht wie ein grüner Teppich. Erst