Reiner Hänsch

Sauerland Live


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nölt er dann nach hinten in den Laden und Kimbärli nähert sich etwas unsicher, leicht schlurfig, aber trotzdem so schnell, wie es geht und schief lächelnd, passend zu ihrer asymmetrischen Frisur. Sie weist mir den Weg zur Beschneidungsstelle und ich lasse mich mürrisch nickend nieder.

      Die Reihe der Behandlungsstühle steht ziemlich nahe am gro­ßen Schaufenster zum Bürgersteig hin, was mich schon immer etwas nervös gemacht hat in Herrn Kaisers Laden.

      Ich weiß ja so in etwa, was für eine schmachvolle, erniedrigende Verunstaltung mir bevorsteht, und da will man natürlich nicht von Fremden, oder sogar Nachbarn, Bekannten oder guten Freunden, die zufällig vorbeikommen, entdeckt werden. Vielleicht hat sich der Termin meiner heutigen Beschneidung ja auch herumgesprochen und man hat sich zu größeren Gruppen vor dem Riesenfenster vom „Kaiserschnitt“ verabredet.

       „Morgen um zehn kricht der Knippschild de Fransen ab. Bisse dabei?“

      Mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken. Die anderen Kunden, alles Frauen, scheint diese Öffentlichkeit aber nicht zu stören.

      Links von mir ist eine ältere Dame in Behandlung, die wohl gerade gemeinsam mit ihrer persönlichen Stylingberaterin beschlossen hat, wieder ganz jung zu werden. Sie ist in heftiger, aber begeisterter Diskussion mit einer von Meister Kaisers Schergen über ein gewagtes Feuerrot und abrasierte Seiten statt der ewigen blöden Dauerwelle.

      „Mein‘ Se, dat wär wat für mich? Ich bin zweiensibbzich!“

      „Aaach, da sinse donnich zu alt für, Frau Heisterkamp! Ihr Mann wird begeistert sein.“

      Na, das glaube ich eher weniger, wenn ich mir die Frau so ansehe und mir mit einiger Phantasie ausmale, wie es hinterher aussehen könnte, aber ich denke auch, der alte Feuerdrache wird dann sicher noch mal richtig durchstarten. Zur Not dann eben auch ohne ihren Mann.

      Den Platz rechts von mir bestuhlt eine Matrone, die fett und quaddelig auf das große Wunder wartet, das ihr von einer der anderen Meistergehilfinnen gerade versprochen wird. Sie ist, wenn man den Ausführungen der Frau Frisörin folgt, gewissermaßen kurz davor, ein neues Leben zu beginnen.

      „Hier wat länger, da bisken wat kürzer, und dann dat Ganze mit so ’ne bläuliche Tönung. Wat meinse, wattat aaausmacht!“

      Also, da würde ich jetzt mal gleich abwinken. Meiner Meinung nach würde es nicht viel ausmachen und jeder Handgriff wäre bei der da rausgeschmissenes Geld. Die Frisur ist das Letzte, was ich da ändern würde.

      Naja, mich fragt ja keiner.

      Tach, die Damen! Einmal rechts, einmal links genickt. Ich bin der Neue und ich bin bereit. Aber keiner nimmt Notiz von mir. Auch gut. Es kann also losgehen. Die Spiele sind eröffnet. Vor dem Schaufenster noch keine nennenswerte Menschenansammlung.

      Das gnadenlose Neonlicht lässt mich in dem großen Spiegel schon jetzt wie eine lebende Leiche oder wie ein ganz kranker, armer Mann aussehen und ich will eigentlich gar nicht mehr hin­gucken. Ich muss aber, weil ich natürlich wachsam sein will. Ich darf nicht alles mir mir machen lassen.

      „Wat machen we denn heute?“, fragt Kimbärli, als hätte sie Langeweile, und beugt sich wieder ganz schräg zu mir hin wie eine besorgte Pflegerin, die einem sterbenden Menschen das Ableben so bequem wie möglich machen will. Noch ein‘ letzt‘n Wunsch? Wollnse noch eine rauchen?

      „Tjoo“, sage ich gedehnt, um ein wenig Zeit zu schinden. Jedes Wort ist jetzt wichtig, alles könnte falsch verstanden werden und hin­terher sieht man aus wie Hulle, zahlt ein Vermögen und muss trotzdem raus auf die Straße zu den schadenfrohen Gaffern, die einen dann wie eine rasierte Sau lachend und grölend durchs Dorf treiben.

      „Bisschen kürzer … aber nur ‘n bisschen, ganz wenig, eigentlich gar nichts, ich find die Länge nämlich ganz gut … also …vielleicht nur hier …“

      Dabei packe ich mir selbst reichlich unsicher und wenig hilfreich für Fachkraft Kimbärli in meinen Schopf. Immer etwas länger lassen. Ja, daran ist auch Eugen Rapp schuld.

      „Kennen Sie Buffalo Bill?“, frage ich Kimbärli dann, weil uns das helfen könnte, aber sie scheint nicht zu verstehen.

      „Wild Bill Hickock?“

      Nein, auch nicht.

      „Wäre auch etwas zu lang“, ergänze ich noch, um meine Vorstellungen zu präzisieren, aber die Herren scheinen ihr gar nicht bekannt zu sein.

      „General Custer?“

      Nein, kennt sie auch nicht, wie ich an ihrem leeren Gesicht ablesen kann.

      „Naja, schade, wissen Sie, Kimberley, die hatten die Haare immer hinten etwas länger, wie ich das auch ganz gut finde. Nicht ganz so lang vielleicht, aber so in der Richtung, verstehen Sie?“

      Nein, das versteht sie nicht. Sie greift stattdessen zu einer Zeitschrift, blättert nervös und hektisch darin herum und zeigt mir dann ganz stolz ein Bild von Johnny Depp als Jack Sparrow und jetzt sehe ich sie leicht verstört an.

      „Dat könnte doch vielleicht bei Ihn‘n …“, meint sie, aber sie merkt schon, dass das nicht der Art von Veränderung entspricht, die ich und auch Steffi sich von diesem Tag versprochen haben.

      „Nä?“

      Dann zeigt mir noch ein Bild von Bruce Willis, auch schön, aber ohne verwertbare Reaktion meinerseits, und dann legt sie seufzend aber immer noch tapfer lächelnd die Illustrierte wieder weg.

      „Winnetou“, sage ich noch schnell, aber diesen Witz will sie nicht verstehen.

      Meine asymmetrische Kimbärli merkt schon, dass mit mir in Sachen Beratung nicht viel anzufangen ist und sagt dann ermutigend und mit einer Hand abwinkend: „Ach, dat krieng we schon, Herr Knippschild. Lassen se mich ma machen.“

      Genau das will ich eigentlich vermeiden, dass sie da möglicherweise ihre eigenen Geschmacksvorstellungen und ihre Sicht der Dinge oder sogar ihre Weltanschauung in meiner Frisur umsetzt. Buffalo Bill und General Custer kennt sie gar nicht und der glatzköpfige Bruce Willis hat mich schon etwas nervös gemacht.

      Wo soll das hinführen? Wo ist da die Schnittmenge?

      Ich sehe mir auch noch mal etwas besorgt ihr eigenes schiefes Gebil­de von Frisur an, von der ein spitzer Zipfel immer wieder in ihrem Mundwinkel hängt. Ihr Nacken ist ganz kahlrasiert, die linke Seite auch und ich versuche mir gerade vorzustellen, dass auch ich derart verunstaltet diesen Ort verlassen könnte, wenn ich ihr freie Hand lasse. Auf keinen Fall.

      Sie betätigt dann erst mal tief Luft holend, voller Energie und neugeschöpftem Lebensmut ein Fußpedal, um den Stuhl etwas tiefer zu legen und auch etwas nach hinten, damit ich ihr ganz nah und völlig ausgeliefert bin. Und dann schwenkt sie mit einer oft eingeübten, schwungvollen großen Bewegung dieses schwarze Graf Dracula-Cape über mich, dass es einen kurzen Moment dunkel wird und ich mich frage, ob ich nicht vielleicht im Schutze dieser Dunkelheit einfach abwarten kann, bis alles vorüber ist.

      Doch schon hat die Welt mich wieder und ihr freundliches, einfaches, aber hoffnungsfrohes Gesicht erscheint direkt vor mir und sie zurrt das schwarze Gewand an meinem Hals fest zu, nach­dem sie noch etwas Krepppapier in den Kragen gestopft hat. Das weiße Krepp lappt vorne heraus und ich bin plötzlich auf meiner eigenen Beerdigung. Halleluja, ich bin der Pfarrer.

      „Isset gut so?“, fragt sie dann und erwartet gar nicht, dass ich das Gegenteil behaupte.

      Naja, gut ist was anderes. Aber ich widerspreche nicht, sondern murmele nur unverständlich herum und erwarte gespannt ihren nächsten Angriff.

      Sie stellt sich dann hinter mich und es sieht so aus, als habe sie einen groben Plan. Ihr Kopf ist jetzt auf fast gleicher Höhe mit meinem hinter mir und es entsteht so ein paralleler Blick in den Neonlichtspiegel. Bereit für ein Pärchenfoto. Zwei verschworene Seelen, die etwas besonders Finsteres aushecken.

      Dann zuppelt auch sie an meinen Haaren herum, zieht die Stirn kraus und hält den Kopf schief, um einen anderen Blickwinkel oder ein paar Ideen