Reiner Hänsch

Sauerland Live


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von dieser geheimnisvollen Erscheinung, zu der ich nun geworden bin, erhebe mich in stiller Bewunderung und Ehrfurcht und lege in Slow Motion und voller Würde mein Dracula-Cape ab. Noch ein letztes Mal fletsche ich die Zähne, um meine Macht zu de­monstrieren und versetze mein Publikum in einen kurzen aber überaus heftigen Moment des blanken Horrors.

      Dann schlendere ich gelassen und gänzlich entrückt zur Kasse, wo Meister Kaiser schon deutlich verunsichert auf mich wartet.

      „Ich hoffe, du bist zufrieden, Herr Knippschild und hasses dir so vorgestellt!“, sagt der Meister, „Dreiunfuffzichachtzich.“

      Ja, genau so habe ich es mir vorgestellt. Danke. Danke.

      Ich schiebe ihm sechzig Euro über die Theke, sage „Stimmt so“ und lasse mir von ihm mit demselben Zaubertrick wie am Anfang meine Jacke überstreifen. Dann werfe ich einen Blick aus dem Fenster, freue mich schon auf die Panik, die ich da draußen gleich auslösen werde … und sehe Steffi direkt an der Scheibe stehen, die einen entsetzten Blick auf mich wirft.

      Verstehe ich nicht. Sie hat mich ja schließlich hier hergeschickt. Jetzt muss sie auch mit den Folgen leben. Also mit mir. Aber: Sie scheint mich trotz allem erkannt zu haben.

      „Schönen Tach noch!“, rufe ich hämisch grinsend in den Laden und bin raus.

      Steffi steht da wie angewurzelt und starrt mich fassungslos an. Ich fletsche für sie noch mal kurz die Zähne und sie zuckt ein wenig zurück. Aber dann sagt sie: „Toll. Man kann schon was machen!“

      Die ersten Leute um uns herum bleiben stehen.

      „Na, wie sehe ich aus?“, frage ich und erwarte ihr gerechtes Urteil.

      „Wie ‘ne Omma“, sagt sie, „nur jünger. Und so böse irgendwie.“

      Und dann brechen wir beide in erlösendes Gelächter aus, gehen in den nächsten Laden, kaufen eine Wollmütze, eine Sonnenbrille und eine Dose Nivea.

      Tja, ich glaube, jetzt ist erst mal ‘ne Weile gut mit Frisör.

       Zweite Sauerländer Weisheit:

       Willze ein‘ auf Styling machen,

       kannet sein, dat alle lachen

      Das dritte Abenteuer

       Die Gartensklaven

      „Es explodiert alles“, jammert Steffi als sie aus der Terrassentür in unseren Garten schaut. Max und ich blicken erstaunt auf, weil sie uns mitten in einer wichtigen D-MAX-Sendung erwischt und mit dieser verstörenden Meldung einigermaßen neugierig gemacht hat. Denn bei D-MAX explodiert auch immer so einiges.

      Max hat Ferien, er langweilt sich etwas und hatte bis eben noch schwer schlechte Laune, weil das Wetter nicht so besonders ist und es außerdem auch noch nicht sicher ist, ob ich auch genügend Urlaub in der Redaktion nehmen kann, damit wir gemeinsam etwas Schönes unternehmen können. Eine kleine Urlaubsreise vielleicht. Holland? Alpen? Nordsee? Ich hab erst mal nur die nächsten Tage frei. Und bei schlechter Laune hilft auf jeden Fall D-MAX.

      Es geht momentan in dieser Folge von FAST N‘ LOUD darum, wie Richard und Aaron, die beiden Helden dieser Schrauber-Serie, es schaffen, in einen schicken alten Chevrolet einen Tausend-PS-Motor einzubauen. Tolle Sache. Der Motor hat gar keinen Platz unter der riesigen Haube, so dass ein großer Teil des zwölf­zylindrigen Ungetüms oben aus ihr herausragt. Verchromt, versteht sich.

      Max findet’s super und ich natürlich auch und so verfolgen wir gespannt das dramatische Geschehen auf der Mattscheibe. „Hey, ich bin heiß auf ’n Rennen!“, sagt Richard und Aaron antwortet: „Du forderst mich raus? Machen wir’s, Alter. Los geht’s!“ Ja, das sind Dialoge nach dem Herzen zweier Männer wie uns. Max und mich. „Hey Max, abgefahren was?“ „Jo, Bro!“

      Das alte Auto wird richtig abgehen. Wir freuen uns schon mächtig auf einen rasanten Start vielleicht mit Funken, Feuer oder eben Explosionen. Dieser Sender ist genau das Richtige für uns. Er wirbt schließlich auch mit dem Motto: Für die tollsten Menschen der Welt: Männer. Na, bitte. Das gefällt uns.

      Und Steffi interessiert sich sowieso nicht für das reichhaltige und sehr abwechslungsreiche Angebot dieses Senders. Sie guckt lieber Kochsendungen, was mit Mode oder Talkshows. Aber Max und ich sehen ganz gerne mal, wie Reifen und Motoren qualmen oder explodieren, wie harte Männer Alaska umsegeln oder amerikanische Gesetzeshüter streng und gnadenlos gegen brutale Wilderer oder geldgierige Tierhändler vor­gehen oder mit der Machete gegen den Dschungel vorgehen.

      „Die Bäume kommen näher!“, sagt Steffi jetzt mit einer gewissen dunklen Angst in der Stimme und sie weicht auch unmerklich ein paar Zentimeter von der Terrassentür zurück, als ob sich da wirklich eine hölzerne, grüne Gefahr nähert.

      Ich muss an Macbeth denken, dem die drei Hexen seinerzeit ja prophezeit hatten, dass er erst etwas zu befürchten hätte, wenn der Wald von Birnam auf seine Burg zukommt. Da war er erst mal recht beruhigt. Aber was Macbeth ja nicht wissen konnte, war, dass schon bald die Truppen des Macduff mit abgehackten Büschen und Bäumen als Tarnung zur Burg vorrücken würde, um ihn zu erledigen. Und unsere Bäume rücken also angeblich auch näher.

      Max und ich sehen uns fragend an und verstehen nicht so ganz.

      „Wie meinst du das, Steffi, die Bäume kommen näher?

      „Na, es wächst alles zu. Seht euch das doch mal an. Es wuchert und wächst und rankt und sprießt, es explodiert alles … das Grün kommt näher.“

      Sie sagt das mit so einem Horror-Timbre in der Stimme, fast wie eine Darstellerin aus einem sehr schlechten Science-Fiction-Film, die von blutgierigen Pflanzen be­droht wird. Und weil billige Science-Fiction-Filme mich schon immer interessiert haben und meine Frau nicht bedroht werden soll - von wem auch immer - stehe ich also auf, verpasse leider den Raketenstart unseres Chevys und sehe dann auch mal aus dem Fenster auf das, was uns da bedrohen soll.

      Tatsächlich. Es ist wirklich alles ganz schön grün geworden da draußen in unserem Garten. Wie lange hab ich schon nicht mehr rausgeguckt? Kann mich nicht erinnern. Na, bei dem Wetter lohnt es sich ja auch kaum. Aber war das nicht schon immer so grün von allen Seiten? Die dicke Eiche hat ast- und blättermäßig auch ganz schön zugelegt, stelle ich fest. Fast kein Licht mehr auf der Terrasse. Ja, ja.

      „Da! Es kommt näher“, sagt Steffi mit dieser Angststimme und zeigt auf die zwischen den Terrassenplatten aufgeschossenen Gras­büschel, die tatsächlich schon ziemlich nahe an die Tür vorgerückt sind. Ist die Tür abgeschlossen?

      Naja, vielleicht merkt man ja auch gar nicht, wie alles wächst und wuchert, wenn man einfach nur mal an den vier Sonnentagen, die das Jahr uns in diesen Breiten genehmigt, im Garten sitzt und dann eben den Grill anwirft, die Würste im Auge hat und keinen Blick für heranrückende Büsche und Sträucher.

      „Siehst du nicht, wie das alles gewachsen ist, Alex. Die Natur schlägt zurück!“ Stimme, jetzt fast apokalyptisch.

      „Ja, Steffi, jetzt mal nicht so dramatisch. Es ist halt einigermaßen warm und es regnet andauernd. Da wächst natürlich alles, ist ja klar. Wie im Regenwald“, sage ich ganz munter, als würde ich es sogar schön finden, wie die wilde, freie Natur da so um uns herumwuchert.

      Aber Steffi hat recht, es sieht schon etwas beängstigend aus. Die Fichten werden immer höher, die Büsche immer dichter und breiter, das Efeu rankt schon an einigen Stellen durch die Fenster, das Gras wächst … man müsste mal was machen.

      Tja, dann müssen wir da eben bald mal was abschnippeln“, sage ich so leichthin und ganz guter Dinge, weil dieses „bald“ noch etwas weiter in der Zukunft liegen könnte. Ich sehe nämlich, dass sich gerade schon wieder eine dicke schwarze Wolke nähert, die der soeben geplanten gärtnerischen Aktivität einen platschnassen Strich durch die Rechnung machen wird.

      „Heute aber nicht mehr. Du siehst ja, es regnet gleich“, sage ich also abschließend zur