Reiner Hänsch

Sauerland Live


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scheint, ob ich auch noch immer der bin, der ich mal war, oder der ich gerne sein möchte. Omma aber auf keinen Fall.

      Ja, ich hab die Haare gern etwas länger, auch wenn oben schon eher so das Dünne, sogar das beängstigend Dünne, vorherrscht. Aber „wie ‘ne Omma“, nä, das ist schon hart. Dann werde auch ich nachdenklich.

      Wo ich doch bis gerade eben noch dachte, es sei trotz Haarwäsche eigentlich alles noch in bester Ordnung mit mir. Hab schließlich ordentlich nach­gefettet. Der Blick in den Spiegel gab mir auch recht. Dachte ich. Siehst doch noch ganz gut aus, alter Knacker. Für dein Alter gar nicht mal so übel obenrum.

      Aber nein, … scheinbar eben nicht. Wie ‘ne Omma!

      Man muss aber auch wissen, dass mir das Gezuppel und die skeptisch besorgten Blicke meiner Frau nun wirklich überhaupt nichts ausmachen. Also, nicht viel. Nein, nein, das darf sie schon. Ich bin ihr eigentlich sogar dankbar, dass sie quasi als letzte Qualitäts-Prüfung vor der offenen Haustür noch mal draufguckt, bevor sie mich dann seufzend auf die Straße entlässt.

      Ja, alles kriegt man natürlich nicht hin bei mir, irgendwas ist ja immer. Aber wer weiß denn, was meine un-kontrol­lierte Erscheinung da draußen auslösen könnte.

      „Du musst zum Frisör!“, sagt sie. Aha. Da haben wir’s also. „Hab dir schon ‘n Termin gemacht.“

      So. Von wegen „ich weiß nicht, ich weiß nicht“. Sie wusste es schon die ganze Zeit - und ich ja eigentlich auch. Es ist also mal wieder soweit.

      Obwohl das eigentlich gar nicht nötig ist. Ich kann mir meine Haare auch selber schneiden. Ich hab mir da inzwischen eine sehr ausgefeilte Technik antrainiert, so Rupfen und Schneiden gleich­zeitig und die Schere im Schnitt immer Richtung Haarwurzel bewegen … nein, das führt zu weit, das hier zu erläutern. Und bitte nicht selber ausprobieren. Do not try this at home! Aber es klappt … wenn man es kann. Ich finde, dass es hinterher immer sehr natürlich aussieht. Steffi findet das nicht. Sie meint, es sieht wie abgefressen aus, oder, als seien mir wieder eine Menge Haare ausgefallen. Naja.

      Der Frisör also. Eigentlich würde ich lieber zur ‘ner Darmspiegelung gehen.

      Aber gut, dann muss ich mich eben dem gelockten Meister und seinen brutalen Gespielinnen mal wieder stellen.

      „Und ich hab auch gesagt, sie sollen dir ‘n paar Strähnchen machen.“

      Na, das ist ja wohl … jetzt bestellt Steffi schon für mich die Behandlung.

      „Du hast das direkt in Auftrag gegeben? Das gibt’s ja wohl nicht! Und ehrlich, Steffi … Strähnchen!“

      „Ja, wird alles so grau bei dir.“

      Ja, und? Ich bin sechsundvierzig.

      „Und die Augenbrauen, lass dir auch die Augenbrauen machen, ja? Dunkler. Aber nicht zu viel, dass man‘s sieht, nur so ein bisschen, dass man nicht sieht, ….“

      Jaja.

      Vielleicht will sie auch gleich mitkommen, um die totale Runderneuerung persönlich zu überwachen.

      „Ach, weißt du was, Alex, ich komm einfach mit und …“

      „Nä!“, falle ich ihr direkt ins vorlaute Wort, bevor dieser schlimme Satz noch weitergehen kann, und so bestimmt, wie es überhaupt nur geht, sage ich: „Das fehlt ja noch. Auf KEINEN Fall!“

      „Na gut, morgen um zehn“, sagt sie dann noch etwas sparsam. „Ich bin dann auch im Örtchen einkaufen und könnte dich hinterher abholen.“

      Na gut, abholen geht. Aber sie scheint etwas enttäuscht, dass sie meine morgige Menschwerdung nicht live miterleben darf.

      *

      Pünktlich um zehn bin ich also in der Kampstraße in Leckede und betrete den Frisörladen von Herrn Kaiser, den er natürlich logischerweise Kaiserschnitt genannt hat. Ist ja klar. Hätt‘ ich auch gemacht.

      „Ah, der Herr Knippschild, wie gehdet dir denn?“, fragt Meister Kaiser persönlich mit etwas öliger Stimme und in seiner ganz eige­nen Frisörsprache. „Sie“ und „Du“ gleichzeitig. Das können nur Frisöre oder Supermarktkassiererinnen.

      Der Geruch in seinem Sa­lon könnte ein gutes Gemisch für Anästhesisten sein. Alle Wohlgerüche dieser Welt vereint in einer einzigen chemischen Keule.

      Dann entreißt er mir meine Jacke, so, wie ein Zauberer das Tuch über dem Zylinder mit dem Kaninchen wegziehen würde, dass man gar nichts merkt und gießt sie in einer geschmeidigen Bewegung über einen verchromten Kleiderbügel. Toller Trick. Er wendet sich mir dann zunächst lächelnd zu, doch seine Miene verfinstert sich beim Anblick meines natürlichen Kopfschmucks schwer und sehr plötzlich. Natürlich hat er sofort gemerkt, dass ich mir die Matte gelegentlich selbst stutze, und das geht ja wohl gar nicht. Wie kann denn jemand seine berufliche Qualifizierung und seine fachliche Kompetenz einfach umgehen?

      „Hou, da muss aber wieder mal wat gemacht werden, oh, oh, oh“, jammert er wie ein Klempner beim Anblick einer verrotteten Wasserleitungsmuffe, als er mir mit seinen meisterlichen Fingern ins künstlich nach­gefettete und etwas stockige Haar greift und prompt in einer kleinen Verknotung hängenbleibt.

      „Oh, oh, oh!“

      Ich erinnere mich an die Frage vom Anfang nach meinem Befinden und sage jetzt: „Mir geht’s gut, Herr Kaiser, und dir?“ Etwas trotzig und verschnupft vielleicht, denn ich bin das einfach nicht gewohnt, diese wahnsinnig tolle Atmosphäre beim Coiffeur meines Vertrauens.

      Naja, und eigentlich vertraue ich ihm ja nicht. Keiner dieser Stimmungskanonen vertraue ich. Nein, nein, es herrscht eher tiefes Miss­trauen gegenüber Menschen, die mir in den Haaren herumgrabbeln und hinterhältig lächelnd mit einer Schere in der Hand herumklappern, auf eine günstige Gelegenheit warten und es dir dann sowieso so machen, wie sie es sich selber vorstellen. Sie wollen sich auf deinem Kopf selbst verwirklichen. Man muss da höllisch aufpassen.

      Ja, dieses Misstrauen rührt noch aus meiner Kindheit her, als mein Papa mich mit zu Frisör Rapp genommen, gezwungen, geschleppt, gezerrt hat. Papa saß dann immer in dem linken Frisuren-Gebär­stuhl und ich rechts daneben.

      „Wat kricht der Junge?“, fragte Eugen Rapp dann meinen Papa, nicht etwa mich – ich war einfach noch nicht alt genug, zu entscheiden, was frisurentechnisch gut für mich war – und mein Papa antwortete dann mit einem kurzen Seitenblick auf mich mit „Kurzer Fassong, wie immer, Eugen!“

      Ach, du Lieber. Kurzer Fassong hieß alles, was hinterher wie Recht und Ordnung aussah, und es gab wohl keine genaueren Anga­ben für die Ausführung eines solchen Schnittbefehls. Die Interpretationsbreite war groß und Eugen Rapp hatte praktisch freie Hand. Die er auch nutzte.

      Er scherte also erst mal von unten nach oben mit ständig wachsender Begeisterung mit seinem Elektromäher den Nacken kahl und dann die Seiten.

       Nein, nicht noch höher! Bitte nicht!

      Aus, vorbei, zu spät, das Ohr war schon frei. Völlig frei, da waren keine schützenden Haare mehr in der unmittelbaren Nähe. Es lag da ungeschützt und viel größer als vorher an den kalkweißen, jetzt oberhalb ganz stoppeligen Breitseiten meines Kopfes.

      Dem spärlichen Rest obendrauf besorgte es Eugen Rapp dann mit der flinken Schere, die er wie ein wahrlicher Meister klappern lassen konnte, dass einem angst und bange wurde. Zack, zack, zappzerapp. Rapp. Daher wahrscheinlich auch der kurz und bündige Name. Oder umgekehrt. Mit diesem Namen wird man Frisör.

      Er ließ also oben freundlicherweise immer etwas Haar übrig, das er dann mit einem scharfen Seitenscheitel veredelte. Furchtbar. Ich könnte damit in jedem Nazifilm mitspielen.

      Heute ist diese unsägliche Frisur doch tatsächlich wieder in. Kurzer Fasson. Heißt auch noch immer so. Sehen Sie sich die jungen Männer von heute an! Das ist Eugen Rapps Vermächtnis. Es ist mir unbegreiflich, wie man freiwillig mit solchen Frisuren rumlaufen kann.

      „Wen hattt‘n we denn heute für dich,