berichten sie, wie sie auf die wissenschaftliche, kulturelle oder gesellschaftliche Frage aufmerksam geworden sind und was sie dazu veranlasst hat, sich der Suche nach fundierten Antworten und nachhaltigen Lösungen zu verpflichten. Es sind engagierte Texte, die darlegen, was es heißt, eine persönliche Verpflichtung zu entwickeln und zu leben. Ob es sich um politische, gesellschaftliche, wissenschaftliche oder spirituelle Visionen handelt – allen Autoren gemeinsam ist die Sehnsucht nach einer besseren Welt und die Bereitschaft, sich mit aller Kraft dafür zu engagieren.
So vielfältig ihre Themen und Aktivitäten auch sein mögen – ihr Handeln geschieht aus der tiefen Überzeugung, dass eine bessere Zukunft auf einem gesunden Planeten für alle möglich ist. Und: Wir sind davon überzeugt, dass jeder von uns durch eigenes Handeln ein Teil der Lösung werden kann.
Anne Rüffer, Verlegerin
Mit Mut, Ausdauer und Flexibilität
Mit diesem einleitenden Rück- und gleichzeitigen Ausblick möchten wir allen Mut machen, ihre Visionen und Erfahrungen in zukunftsorientierte Projekte einzubringen, selber solche zu gestalten und aufzubauen. Wir vier Gründerfrauen wollen Menschen motivieren, ihre Ideen angehen und uns von echten oder scheinbaren Hindernissen nicht aufhalten lassen. Denn: Widerstände beinhalten letztlich immer einen Kern, den es zu bedenken gilt, um frei entscheiden zu können.
Wir vier Gründerinnen haben alle – jede auf ihre besondere Weise – das Leben als eine Abfolge von Versuch, Irrtum und Erfolg in verschiedensten Bereichen erlebt. Die Themen reichen von Geschlechter-, Abfall-, Energie-, Erziehungs-, Sozial- und Finanzfragen, Firmenaufbau und -betrieb, Kommunikationsaufgaben, Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand auf allen drei Ebenen (Gemeinde, Kanton und Bund), Wirtschaft und Zivilgesellschaft bis zur Gestaltung von Leitbildern und Marken. Dieses gebündelte Know-how und vor allem das reiche Erfahrungswissen haben wir für KISS vernetzt und ganzheitlich eingebracht.
In unserer Zeit findet ein großer gesellschaftlicher Wandel1 statt, für den es keine Ausbildungen und Gebrauchsanweisungen gibt. So war KISS für uns vier ein »Learning by doing«: Verschiedenste Aus- und Weiterbildungen, familiäre und berufliche Erfahrungen und immer wieder intensive Freiwilligenarbeiten bildeten die Basis. Mit Mut, Ausdauer und hoher Flexibilität haben wir dieses zivilgesellschaftliche Projekt gestartet und in unterschiedlicher Weise weitergetragen.
Das politische und wirtschaftliche Umfeld begegnet »Betreuung mit Nachbarschaftshilfe« grundsätzlich positiv. Es ist jedoch nicht einfach, die rechtlichen Grundlagen2 dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen; sie erweisen sich für kreative und innovative Lösungen häufig als wenig elastisch und blockierend. Wie die im Augenblick finanziell und sozial größte Herausforderung »Altersvorsorge« zeigt, fließen neue, vor allem zivilgesellschaftliche Ansätze kaum in die Strukturen der Vorsorge ein und entlasten die öffentliche Hand und Bürger nicht, obwohl gerade die Entlastung eine ihrer Stärken darstellt. KISS kann in Zusammenarbeit mit Politik und Wirtschaft diese Erleichterungen in vielfältigster Art einbringen.
Dieses Buch soll den Pioniergeist und Mut von vielen Menschen stärken, damit wir zusammen die großen gesellschaftlichen Herausforderungen meistern – zum Besten von allen!
»Das, was geklärt werden muss, klären wir; das, was gemacht werden muss, machen wir.« – Nach vielen Diskussionen und einem ersten Konzept haben wir entschieden, einfach anzufangen und das Modell ständig weiterzuentwickeln. Die eigenen Bedürfnisse und die der anderen ernst zu nehmen, sich den Herausforderungen immer wieder zu stellen und das Projekt gemeinsam weiter zu entwickeln gehört ebenso zu KISS wie die Kernidee: die Zeitgutschriften für Jung und Alt.
Edith Stocker | Susanna Fassbind und ich haben Mitte der 1990er-Jahre in einer Zeitschrift einen Beitrag über ein Zeitgutschriften-System in Japan gelesen, das dort »Fureai Kippu« heißt. Während des Lesens hat es mich durchzuckt, und ich habe gewusst, dass diese Idee auch für uns in der Schweiz relevant ist. Für einen kurzen Moment, einem Urknall gleich, habe ich das Potenzial wahrgenommen, das darin schlummert. Erst später habe ich den Zusammenhang zwischen demografischer Entwicklung, Nachbarschaftshilfe und Atomisierung der Gesellschaft gesehen. Gesellschaftspolitische Themen wie Familie, Gleichstellung, Diversity, Gesundheitsförderung haben mich beruflich immer begleitet.
Für mich enthält KISS einen entscheidenden Unterschied zu »klassischer« Nachbarschaftshilfe: Geben und Nehmen geschieht auf Augenhöhe. Beide sind Nehmende und Gebende im Sinne von: »Ich bekomme, indem ich gebe.«
Freiwilligenarbeit ist häufig mit dem Wunsch verbunden, Arme zu unterstützen, Behinderten und Bedürftigen zu helfen. Doch selbst Menschen mit Einschränkungen sind in ihrem innersten Wesen ganz, haben etwas zu geben und wollen dies in der Regel auch tun. Deshalb engagiere ich mich generell und bei KISS dafür, dass der Mensch nicht vorwiegend über seine Defizite definiert wird.
Mit Susanna Fassbind arbeite ich schon seit Jahrzehnten in verschiedenen Projekten zusammen und tausche mich mit ihr laufend zu wirtschaftlichen und politischen Themen aus. Die Idee einer Säule 4 kam immer wieder zur Sprache, und als Susanna Fassbind und Ingrid Spiess das Thema beim Berufsverband Fachperson Betreuung aufgriffen, war es keine Frage, dass wir gemeinsam weitermachen. Beim ersten Workshop im September 2011, den die beiden im Namen des Verbandes organisierten, bat mich Susanna, den Workshop zu den Zeitgutschriften zu leiten. Dort lernten wir Heidi Lehner kennen.
Bezeichnend war unsere Vereinsgründung im Zug. Wenn etwas Sinnbild ist für das Ganze, dann diese Gründung. Wir vier Frauen (Heidi Lehner, Ingrid Spiess, Susanna Fassbind und ich) hätten keinen Verein gebraucht, die realen Gegebenheiten verlangten aber einen. In ein, zwei Tagen bereitete ich die Statuten vor; unterwegs im Zug verteilten wir die Ressorts und unterschrieben die Statuten. Das ist für mich Symbol und Programm zugleich: Im Zug fahrend und unterwegs, wir vier Frauen, ohne Hierarchie- oder Besitzansprüche. Das, was geklärt werden muss, klären wir; das, was es braucht, machen wir.
Die Genossenschaften aufzubauen und über die Aufbauphase hinauszubringen ist sicher eine der großen Herausforderungen. Die interne Kommunikation ist in einem sich selbst organisierenden Gebilde etwas sehr Anspruchsvolles. Das verlangt andere Arten von Informationskanälen, als wir uns gewohnt sind. Eine weitere Herausforderung sehe ich in der Aufgabenverteilung auf viele Schultern, an die richtigen Menschen, mit den richtigen Kompetenzen, mit dem richtigen Handwerk, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und das noch möglichst selbst organisiert ... Bis das so weit ist und eine Normalität erreicht, dauert es und braucht es Durchhaltevermögen. Davon haben wir Gründerinnen allerdings eine Menge, und das stimmt mich sehr zuversichtlich.
Ingrid Spiess | 2009 lernte ich im Rahmen einer Weiterbildung durch den Berufsverband Fachperson Betreuung Susanna Fassbind kennen; es ging damals um die zukünftige Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes. Im Gespräch mit ihr erfuhr ich von den Zeitgutschriften und war sogleich fasziniert davon, weil das Konzept der Zeitvorsorge eine Win-win-Situation für alle Beteiligten darstellt.
Aus meiner Erfahrung als Heimleiterin weiß ich, dass Menschen, die frisch ins Heim kommen, in der Regel nur in wenigen Bereichen eingeschränkt sind und Hilfe benötigen, vieles könnten sie gut selber machen. Im Heimalltag konnte ich jedoch beobachten, wie sie ihre Selbständigkeit in kurzer Zeit verloren, weil sie keine Aufgaben mehr hatten. Gerade als Heimleiterin sehe ich, dass viele Menschen mit einer adäquaten Unterstützung besser zu Hause leben könnten. Ein Beispiel: Die Menschen, die damals auf die von mir geleiteten Abteilungen kamen, waren alle an einer Demenz erkrankt. Die meisten von ihnen waren in kurzer Zeit inkontinent, weil sie die Toilette nicht mehr rechtzeitig finden konnten. Wären sie zu Hause in ihrem gewohnten Umfeld geblieben, wäre die Inkontinenz nicht so schnell ein Thema geworden, weil sie sich dort besser zurechtfanden.