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Der Koran


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kein Weg daran vorbei: Die Schrift zum Guten auszulegen wird damit zu einer Entscheidung des Subjekts; für diese und nicht für die Schrift selbst sieht es sich von Gott in die Verantwortung genommen (vertiefend Behr 2007 a und b). Ferner gilt: Die Auslegung der Schrift mit Blick ist eine Sache der Ausbildung. Beide also, Halbbildung und der Unwille zum Guten, bedingen die satanische Signatur misslungener Koranexegese. Was man dagegen tun kann? Wachsamkeit, Bildungsarbeit und Gebet.

      Welche Rolle spielt die Koranexegese für das Leben der Moslems in Deutschland? Und: Giebt es eine besondere Tradition der Koranexegese in Deutschland? (Also: Sind deutsche Moslems besonders liberal etc.?)

      Musliminnen und Muslime in Deutschland können gegenüber ihrer Religion vieles sein: konservativ und liberal, orthodox und reformiert, extrovertiert oder introvertiert, retrograd oder progressiv, interessiert und indifferent… Die Schablonen religionswissenschaftlicher Expertise früherer Epochen helfen hier aber nicht weiter, sondern eher die Instrumente sozial-empirischer Religionsforschung. Allerdings: Für die Musliminnen und Muslime in Deutschland spielt der verstehende Zugriff auf den Koran eine zunehmend wichtige Rolle, zumal wenn verstehendes mit erklärendem Wissen in Konkurrenz zueinander geraten. Den Koran weit gehend erklärend zu interpretieren gehört zum Mainstream islamischer Religionslehre, wie er durch die Prozesse der Migration nach Westeuropa gekommen ist. Aus diesem Blickwinkel heraus wird der Koran in jeder Hinsicht zur norma normans deduktiver Denkstrategien; Andersdenkende mit Lust am Explorativen, am Induktiven, an neuen Wegen sehen sich da schon aus prinzipiellen Vorbehalten schnell der Kritik ausgesetzt. Das Ringen um verstehendes Wissen zeichnet sich demgegenüber durch die größere Mobilität aus, muss aber, wie eingangs erwähnt, vorsichtig zwischen Beharren und Aufbruch lavieren. Der Lohn der Mühe ist die höhere Relevanz der Denkergebnisse und ihr besserer Austausch über die Grenzen hermetischer Denksysteme und kultureller Räume hinweg. Zum einen sehen sich Muslime wie Nicht-Muslime den selben drängenden Zukunftsfragen gegenüber, die nicht nach religiöser Konfession segregieren: Umweltgerechtigkeit, Wirtschaftsfragen, Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens. Mit diesen Fragen wenden sich Muslime natürlich auch an den Koran – vielleicht sogar mehr Muslime an den Koran als vergleichsweise Christen an die Bibel. Zum anderen sind heranwachsende Muslime darauf angewiesen, sich von rigiden und religiös begründeten Einschränkungen zu befreien, wie sie in den sozialen Gruppen entstehen können, denen sie angehören. Mit dem islamischen Religionsunterricht als ordentliches Fach an der öffentlichen Schule beispielsweise werden auch hermeneutische Kompetenzen eingeübt, die dabei helfen sollen, sich selbstverantwortet zur Religion des Islams positionieren zu können. Hierüber kommt es immer wieder zum Disput zwischen grundsätzlichen Strömungen islamischer Theologie und Philosophie (vertiefend Behr 2009 a und b), bei dem es aber eigentlich nur darauf ankommt, miteinander im Gespräch zu bleiben und den Streit fruchtbar zu machen. Ja, Koranexegese als gehobene Streitkultur – das wäre ein interessanter „deutscher“ Weg.

      Was können Christen und Muslime aus dem heiligen Buch der jeweils anderen Religion lernen?

      Alles und nichts, je nachdem ob sie darauf einlassen, mit dem Herzen zu lesen (vgl. dazu im Koran 7:179, 22:46 und 33:4). Dann – Und nur dann! – können sie nämlich nicht nur lernen, den Anderen in seiner Eigenart anzunehmen und das Andere zu verstehen, sondern damit auch, sich selbst anzunehmen und zu verstehen – und zwar indem sie am Anderen auch das Eigene erschließen. Fremd- und Selbstverstehen gehen Hand in Hand. Wer den Koran dahingehend erliest, stellt fest, wie sehr dieser Aspekt bereits im Koran angelegt ist (vgl. 5:82ff.). Kein Wunder, denn der Islam tritt Christentum und Judentum als das jüngere Geschwisterkind gegenüber – auch wenn ihm bisweilen nicht wie einem Geschwisterkind, sondern wie einem ungeliebten Stiefkind geantwortet wird. Aber auch Muslime können hier viele Fehler machen – und sie machen sie ständig, beispielsweise indem sie meinen, als die besseren Christen auftreten zu müssen; ihnen scheint der Inklusivismus nicht auszutreiben zu sein. Auch hier muss weiter geübt werden – nicht an den Schriften vorbei, sondern mitten durch sie hindurch. Erst wer erfahren und verstanden hat, dass das Heilige Buch des Anderen auch ihm heilig ist, der überwindet das Gegeneinander und das Nebeneinander und erreicht das Miteinander und das Füreinander (vertiefend Behr 2009 c und d).

      Literaturempfehlungen zur vertiefenden Lektüre

      Bechmann, Ulrike: Bibel und Gewalt - Auf der Suche nach neuen Wegen im Umgang mit der Heiligen Schrift. In: Kügler, Joachim und Werner H. Ritter (Hg.): Auf Leben und Tod oder völlig egal. Kritisches und Nachdenkliches zur Bedeutung der Bibel. bayreuTer forum Transit 3. Lit: Münster 2005. Seiten 105-122.

      Behr, Harry Harun: Was einen Moslem an der Bibel reizt. In: Kügler, Joachim und Werner H. Ritter (Hg.): Auf Leben und Tod oder völlig egal. Kritisches und Nachdenkliches zur Bedeutung der Bibel. bayreuTer forum Transit 3. Lit: Münster 2005. Seiten 149-164.

      [Behr 2007 a] = Behr, Harry Harun: Grundriss islamisch Teologischen Denkens im Kontext der Bundesrepublik Deutschland. In: Zeitschrift für die Religionslehre des Islam (ZRLI), Heft 1 2007, Jg.1, Seiten 2 ff. Nürnberg 2007

      [Behr 2007 b] = Behr, Harry Harun: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs. In: Zeitschrift für die Religionslehre des Islam (ZRLI), Heft 2 2007, Jg.1. Nürnberg 2007. Seiten 2 ff.

      Behr, Harry Harun: Die anderen fünf Säulen des Islams. Zu normativen Dimensionen des Islamischen Religionsunterrichts. Zeitschrift für die Religionslehre des Islam (ZRLI), Heft 4 2008, Jg. 2. Nürnberg 2008. Seiten 7 ff.

      [Behr 2009 a] = Behr, Harry Harun: Ein Saphir mit Schliff. Zur Stellungnahme der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş e.V. (IGMG) gegen das Schulbuch Saphir. In: Zeitschrift für die Religionslehre des Islam (ZRLI), Heft 5 2009, Jg. 3. Nürnberg 2009. Seiten 2-25.

      [Behr 2009 b] = Behr, Harry Harun: Ursprung und Wandel des Lehrerbildes im Islam mit besonderem Blick auf die deutsche Situation. In: Harry Harun Behr, Daniel Krochmalnik und Bernd Schröder (Hg.):Was ist ein guter Religionslehrer? Antworten von Juden, Christen und Moslemsn. Reihe Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Moslemsn. Verlag Frank & Timme. Berlin 2009. Seiten 149-188.

      [Behr 2009 c] = Behr, Harry Harun: „Nehmt mich ruhig ran!“. Bericht zu einem interreligiösen und fachdidaktischen Seminar an der Deutschen Evangelischen Oberschule in Giza/Kairo. In: Zeitschrift für die Religionslehre des Islam (ZRLI), Heft 6 2009, Jg. 3. Nürnberg 2009. Seiten 41-50.

      [Behr 2009 d] = Behr, Harry Harun: Was Moslems und Nicht-Moslems über den Islam wissen sollten. Zur Reformulierung des Essenziellen am Beispiel des Temas ‚Gebet' im Islamischen Religionsunterricht. In: Zeitschrift Glaube und Lernen. Teologie interdisziplinär und praktisch. 24. Jahrgang, Heft 2/2009. Seiten 152-162.

      Behr, Harry Harun; Moslem sein – eine Frage der Person. Gedanken zum Aspekt der Individualität im Islam In: Schneiders, Torsten Gerald (Hg.): Islamverherrlichung. Wenn die Kritik zum Tabu wird. VS Verlag: Wiesbaden 2010. Seiten 107-115.

      Berner, Ulrich: Die Bibel in der mittelalterlichen Diskussion um Ketzer und Moslems. In: Kügler, Joachim und Werner H. Ritter (Hg.): Auf Leben und Tod oder völlig egal. Kritisches und Nachdenkliches zur Bedeutung der Bibel. bayreuTer forum Transit 3. Lit: Münster 2005. Seiten 11-24.

      Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz. Suhrkamp: Frankfurt a.M. 22003.

      Kippenberg, Hans G.: Gewalt als Gottesdienst. Religionskriege im Zeitalter der Globalisierung. München 2008.

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