Menschen und Götter, entsprach.
Vor allem ein Phänomen aber ließ sich mit diesem einfachen Weltbild nicht in Einklang bringen: Gelegentlich scheinen die Planeten – aus Gründen, die zu erklären, hier zu weit führen würde –, auf ihrer Bahn um die Erde herum plötzlich wieder ein Stück zurückzulaufen. Mit dem Versuch, auch dieses merkwürdige Verhalten durch eine Theorie zu belegen, wurden für jeden einzelnen Planeten verschiedene gegeneinander bewegliche „Sphären“ angenommen. Da mit der Zeit aber immer weitere Zusatzkonstrukte notwendig wurden, um die Stellung der Planeten berechnen zu können, wurde dieses Weltbild immer komplizierter. Mit anderen Worten: Es wurde zunächst versucht, die alte Theorie durch Zusatzerklärungen zu „retten“, ehe Kopernikus dann ein neues Modell in die Diskussion brachte.
Schon bald allerdings stellte sich heraus, dass auch das Modell des Kopernikus keine befriedigenden Ergebnisse zu bringen vermochte, weil Kopernikus noch an dem Gedanken einer exakten Kreisbewegung, von den alten Griechen als unumstößliche Bedingung formuliert, festgehalten hatte. Erst Kepler löste sich in einem mühsamen Forschungsprozess über Jahre von diesem Axiom (einer „gesetzten Bedingung“) und erkannte, dass die Planeten sich auf elliptischen und nicht auf kreisförmigen Bahnen um die Sonne bewegen.
Ehe Kepler jedoch sein Werk vollenden konnte, trat zunächst Tycho Brahe mit einem sehr interessanten Weltmodell hervor. Er entwickelte eine vollkommen neue Idee des Sonnensystems, in der sowohl geo- als auch heliozentrische Aspekte enthalten waren.
In diesem Modell des Tycho Brahe kreisen zwar Sonne und Mond um die Erde, die Planeten jedoch kreisen um die Sonne. Durch diesen „Trick“ konnte Tycho Brahe auch ungewöhnliche Planeten-Erde-Konstellationen erklären.
Um dieses Modell zu entwickeln, hatte Tycho Brahe durch sorgfältige Himmelsbeobachtungen eine bis dahin nie dagewesene Menge an Daten zusammengetragen, die er übrigens – wenn auch unfreiwillig – an Johannes Kepler weitergab, der sie dann für die Weiterentwicklung des von Kopernikus vorgedachten Weltbilds nutzte. Damit wurde das im Prinzip auch heute noch geltende „heliozentrische“ Modell zunehmend im Bewusstsein der Welt verankert.
Trotzdem ist das alte geozentrische Weltbild auch heute nicht etwa falsch. Selbst für das Weltbild nach Tycho Brahe sprechen immer noch bestimmte Aspekte. Warum ist das so?
Nun, ob ein Weltbild „stimmt“, hängt immer davon ab, welchen Nutzen es für die Lösung einer bestimmten Aufgabe zu erbringen vermag. Der Mensch, der in der Nacht auf dem Rücken liegt, die Sternbilder identifizieren und wissen möchte, wann und wo welcher Planet zu sehen sein wird, der wird immer „Geozentriker“ sein. Wollte er die Planetenstellungen vom Standpunkt der Sonne aus einschätzen, würde diese einfache Aufgabe unnötig verkompliziert. Und dieser Gedanke lässt sich verallgemeinern: Jedes Weltbild hat seine Richtigkeit, je nachdem welche Frage wir beantwortet haben möchten. Oder anders formuliert:
Das eine, einzig wahre Weltbild gibt es schlicht nicht!
Was will uns all das nun für das Thema dieses Buchs sagen? Die Antwort lautet: Es gibt auf alles in dieser Welt unterschiedliche Sichtweisen – und jede Sichtweise hat ihre Berechtigung. Es ist ja auch nicht so, dass durch das Auftauchen neuer Erkenntnisse alle alten Erkenntnisse umgehend ihren Wert verlören. Und wenn man nur ein einfaches Problem zu lösen hat, dann wird dafür ein einfaches (wenn auch nicht in allen Einzelheiten „wahres“) Erklärungsmodell oft nützlicher sein, als ein zwar aktuelles, aber schlicht zu komplexes Modell – so wie jeder von uns eben zum „Geozentriker“ wird, wenn er ein bestimmtes Sternbild sucht oder am Stand der Sonne die Tageszeit abschätzen möchte.
Auch wenn ich in diesem Buch also neue – bislang in der gängigen Medizin noch nicht allgemein wahrgenommene – Forschungsergebnisse vorstelle und mit Erkenntnissen aus zahlreichen anderen Wissenschaftsbereichen verbinde, dann meine ich nicht etwa, damit nun die „eine einzige Wahrheit“ über das Herz zu präsentieren. Obwohl ich natürlich fest davon überzeugt bin, dass es für die Herzmedizin mehr als nützlich wäre, sich (fachübergreifend) neuen Erkenntnissen zu öffnen! Denn wenn ich als Arzt nicht nur weiß, sondern wirklich verstanden und erfahren habe, dass das Herz über eine eigene Intelligenz verfügt und in höchst realer Weise das Zentrum unseres Gefühlslebens ist, dann wird mir das eine völlig neue Sicht auf viele Zusammenhänge in unserer Welt ermöglichen. Wenn es aber darum geht, durch eine Ultraschalluntersuchung des Herzens (Echokardiografie) herauszufinden, wie ein Herz konkret arbeitet und wie seine Herzklappen funktionieren, dann wird der engere, aber eben auch einfachere Blick auf das „Herz als Pumpe“ vielleicht der angemessenere sein. Ebenso wird es sein, wenn es zum Beispiel gilt, ein Kunstherz zu konstruieren oder eine Herztransplantation durchzuführen.
Generell lässt sich also sagen: Für bestimmte Untersuchungen oder um die exakte Wirksamkeit bestimmter Medikamente einschätzen zu können, mag das „alte“ Bild vom Herzen genügen. Sobald ich aber nach Therapieansätzen suche, die über das rein Körperliche hinausgehen, muss sich der Blick weiten und auch Zusammenhänge einbeziehen wie die zwischen Stress und Gefühlen, ja, sogar von Meditation, Gebet und Verzeihenkönnen. Schaue ich als Arzt hingegen allein auf das Herz mit seiner ohne Zweifel beeindruckenden „Mechanik“, dann werde ich vielleicht auch dann zum Beispiel eine Bypass-Operation als einzige Therapiemöglichkeit erkennen können, selbst wenn mir klar sein sollte, dass ich damit die eigentlichen Ursachen der Herzerkrankung nicht beseitigen kann.
Noch spannender ist es aus ärztlicher Sicht aber, dass ich durch eine erweiterte Kenntnis des Herzens und seiner vielfältigen Aufgaben und Fähigkeiten, neue Therapiemöglichkeiten sogar bei Krankheiten, die scheinbar mit dem Herzen gar nichts zu tun haben, zu sehen vermag (wie Krebserkrankungen). Ein gutes Beispiel dafür ist der Gastbeitrag von Prof. Dr. Maximilian Moser vom Human Research Institute, führend in der noch recht neuen Wissenschaft der Chronobiologie, der als einer renommiertesten Forscher zum Bereich Herzfrequenz-Variabilität in Kapitel 4 spannende Parallelen zwischen den Funktionen des menschlichen Herzens und musikalischen Phänomenen zieht.
Um es kurz zu sagen: Ziel dieses Buches ist es nicht etwa, bewährte Methoden der Kardiologie zu widerlegen oder beiseitezuschieben, sondern darüber hinausgehend den Blick zu öffnen für die vielfältigen und faszinierenden Möglichkeiten, die die neuesten Forschungsergebnisse gerade auch aus anderen Fachgebieten offerieren.
Und damit eröffnet sich gleichsam nebenbei auch eine völlig neue Sicht auf die Welt, zum Beispiel die, dass das Herz in eine Welt hineinwirkt, in der Raum und Zeit keine Bedeutung mehr haben, bei der sich die Trennung zwischen Ich und Welt auflöst: Wir sind durch das Herz mit dieser Welt verbunden und zwar auf eine sehr unmittelbare Weise.
Der fachkundige Leser wird immer wieder an verschiedenen Stellen im Buch kritische Anmerkungen machen können und vielleicht Studien vorzuweisen wissen, die zu anderen Ergebnissen und Schlussfolgerungen kommen, als den hier vorgestellten. Hierzu möchte ich Folgendes anmerken: Wie wir aus der Quantenphysik wissen (und wie ich es in diesem Buch auch ansatzweise ausführen werde), hat der Beobachter auf das zu beobachtende Objekt einen unmittelbaren Einfluss. Es gibt – das ist eine wichtige Erkenntnis der Quantenphysik – keine wirklich letztgültige, „objektive“ Wissenschaft. Jede Sicht auf die Welt ist durch den Betrachter und sein Erkenntnisinteresse geprägt, wie wir oben andeutungsweise schon gesehen haben.
Auch sind die Grundlagen dessen, was hier dargestellt wird, bei Weitem noch nicht abschließend erforscht, sodass es zuweilen auch einander widersprechende Interpretationen einzelner Sachverhalte geben kann.
Ferner kommt hinzu, dass die hier vorgestellten Ergebnisse zum Teil noch sehr neu sind (zumindest aus Sicht des Mediziners), und dass in den nächsten Jahren viele weitere Erfahrungen und Forschungsergebnisse hinzukommen werden. Der darin begründeten Unzulänglichkeit dieses Buches bin ich mir durchaus bewusst, stand ich doch auch immer wieder vor der Frage, wo eine Grenze zu ziehen wäre bei der Darstellung umgreifender Zusammenhänge. Es geht mir in diesem Buch um einen ersten, neuen Entwurf einer künftigen Herzlehre – auch wenn es in Einzelheiten ganz sicher noch Korrektur- und Diskussionsbedarf gibt.
Letztlich könnte jedes der folgenden Kapitel ein eigenes Buch sein! Deshalb will auch dieses