Markus Peters

Gesundmacher Herz


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Informationstechnik dabei helfen kann. Und das liegt daran, dass die Auskünfte, die das Herz zu geben hat, in seinem Rhythmus verborgen sind.

      Fühlt man den eigenen Puls, so wird man – im Normalfall – den Eindruck haben, als sei dieser vollkommen regelmäßig. Misst man ihn aber ganz genau aus, kann man feststellen, dass die Zeiträume zwischen den Herzschlägen doch unterschiedlich lang sind. Wobei sich diese Abweichungen lediglich im Millisekundenbereich bewegen, also nur mit sehr genauen Messinstrumenten überhaupt zu erfassen sind.

      Moderne Messtechnik zusammen mit computergestützten Auswertungsverfahren bietet diese Möglichkeit. Schauen wir uns deshalb einmal genauer an, wie die „Kurve“ eigentlich aussieht, die Ergebnis eines Elektrokardiogramms (EKG) ist:

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      Diese Abbildung zeigt die unterschiedlichen Phasen des Herzschlags, wie sie durch ein EKG gemessen und aufgezeichnet werden. Die genaue zeitliche Dauer eines Herzschlags lässt sich am exaktesten durch den Abstand zwischen den scharfen Zacken (den sogenannten R-Zacken) ermitteln, die gleichsam den Höhepunkt eines jeden Herzschlags darstellen.

      Mit dem Alltagsverstand betrachtet, könnte nun angenommen werden, dass ein möglichst gleicher Abstand zwischen den R-Zacken (eine exakt getaktete Herzfrequenz also) der Idealfall und jede Abweichung ein Übel sei. Tatsächlich jedoch ist der Zeitraum zwischen den R-Zacken immer unterschiedlich lang – und das ist auch gut so, wie wir später noch sehen werden.

      Zunächst aber geht es darum, diese feinen Unterschiede in der Frequenz des Herzschlags so präzise wie möglich zu ermitteln – was dann etwa so aussehen könnte:

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      Da die Werte der Abweichungen sehr klein und deshalb für Berechnungen etwas umständlich zu handhaben sind, behilft man sich mit einem kleinen Trick: Die genaue Zeit zwischen einem und dem nächsten R-Zacken (zum Beispiel 0,811 Sekunden) wird umgerechnet auf die vertrautere Größe Herzschlag/Minute (das ergibt in diesem Fall = 74 Schläge/Minute).

      Würde das Herz also beispielsweise immer genau mit der Frequenz des Abschnitts A in der obigen Abbildung schlagen (= 0,789 Sekunden), so ergäbe das einen regelmäßigen Puls von 76 Schlägen / Minute. Die Frequenz des Abschnitts B (0,769 Sekunden) entspräche hingegen einem Puls von 78 Schlägen/Minute und so weiter:

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      Und weil – wie oben zu sehen ist –, die Frequenzen des Herzschlags eben nicht gleichmäßig, sondern „variabel“ sind, wird dieses Phänomen „Herzfrequenz-Variabilität“5 genannt – ein Begriff, der in diesem Buch noch sehr häufig auftauchen wird.

      Die bei der Messung der Herzfrequenz-Variabilität entstehende Zahlenreihe (in unserem Beispiel also 76,78,80,74 usw.) kann nun in Form einer Kurve einfach dargestellt werden. Das Bild, das dabei entsteht, kann allerdings höchst unterschiedlich aussehen – und spiegelt direkt und gut verständlich wider, in welcher emotionalen Verfassung sich eine Versuchsperson oder ein Patient befindet.

      Es kann deshalb gesagt werden: Die Herzfrequenz-Variabilität ist immer dann ein Signal für einen positiven Gemütszustand, wenn sich die Zeitabweichungen zwischen den R-Zacken eines EKG in einem annähernd regelmäßigen, sinusförmigen Rhythmus wiederholen.

      Negative Gefühlszustände (wie Ärger) führen zu einer uneinheitlichen, unharmonischen, unrhythmischen und scharf gezackten Kurve.

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      Positive Gefühlszustände hingegen (wie Wertschätzung) zeigen einen eher regelmäßigharmonischen, gleichsam „schwingenden“ Verlauf.

      Herzfrequenz-Variabilität und Geburtshilfe

      In der Geburtshilfe ist die Herzfrequenz-Variabilität des ungeborenen Kindes ein wichtiges Indiz für seine Gesundheit. Eine Reduzierung der Herzfrequenz-Variabilität (also eine Tendenz hin zu einem exakt getakteten Herzschlag) bedeutet Gefahr für das Kind und führt unter Umständen zu der Entscheidung, die Entbindung sofort – zum Beispiel durch einen Kaiserschnitt – durchzuführen.

      Dabei ist die Herzfrequenz-Variabilität beim ungeborenen Kind sehr viel ausgeprägter als später im Kindes- oder gar im Erwachsenenalter. Allgemein nimmt die Variabilität der Herzfrequenz mit jedem Lebensjahr weiter ab. Das erklärt auch, warum eine Abnahme der Herzfrequenz-Variabilität im Mutterleib als Anzeichen einer unmittelbaren Lebensgefahr für das Kind gesehen wird.

      Die „Sprache des Herzens“ ist somit – der Informationstechnik sei Dank – zumindest ansatzweise entschlüsselt. Damit aber tatsächlich von einer Sprache die Rede sein kann, muss der Sprechende – in unserem Fall also das Herz – aus sich heraus etwas mitzuteilen haben, also über so etwas wie eine eigene „Intelligenz“ verfügen. Das allerdings widerspricht dem Bild, das wir traditionellerweise vom Herzen haben. Das Herz ist doch – so haben wir es alle gelernt – nur ein pumpender Muskel, der eine zwar beeindruckende Kraft- und Ausdauerleistung vollbringt, ansonsten aber eher „dumm“ ist. Gesteuert wird die Herztätigkeit, das erscheint uns immer noch selbstverständlich, allein durch das Gehirn.

      Tatsächlich aber ist dem ganz und gar nicht so: Neurowissenschaftler wissen vielmehr schon seit einer ganzen Weile, dass das Herz ein eigenes unabhängiges Nervensystem aufweist, das große Ähnlichkeit mit dem Nervensystem des Gehirns hat. Das Herz besitzt – so wissen wir heute – mindestens 40 000 Nervenzellen (Neuronen). Das entspricht immerhin der Menge von Neuronen, über die auch verschiedene Funktionskerne des Gehirns (zum Beispiel der für das Riechen zuständige Hirnbereich) verfügen. Damit ist die Voraussetzung für einen „gleichberechtigten“ Informationsaustausch zwischen dem Nervensystem des Gehirns und dem des Herzens gegeben.

      Wobei die Erkenntnis, dass es eine Verbindung zwischen den Nervensystemen des Gehirns und denen des Herzens gibt, ebenfalls nicht neu ist. Allerdings nahm man noch bis in die 1970er-Jahre hinein an, dass diese Verbindung nur deshalb gebraucht werde, damit das Herz die „Befehle“ des Gehirns verstehen und umsetzen könne.

      Erst um 1975 herum stellten die Physiologen John und Beatrice Lacey fest, dass die Nervenverbindung zwischen Gehirn und Herz alles andere als eine Einbahnstraße ist.6 Es stimmt zwar, dass das Gehirn „Anordnungen“ an das Herz schickt. Die Laceys entdeckten aber, dass das Herz scheinbar auch so etwas wie einen eigenen Willen hat. Die Nervenzellen des Herzens (wenn man so will: das herzeigene Gehirn) senden also nicht nur Daten an das Gehirn, sondern sie beeinflussen es auch in durchaus entscheidender Weise:

      Kommunikationswege Herz – Gehirn

      Die aktuelle Forschung hat bisher vier Wege identifiziert, auf denen die Kommunikation zwischen Herz und Gehirn stattfindet:

      1. Die neurale Kommunikation

      Das Herz sendet seine Informationen über den Vagusnerv und die Nerven des Rückenmarks an das Gehirn (und umgekehrt).

      2. Die biochemische Kommunikation

      Auch die Hormone sind Informationsträger, über die Herz und Gehirn miteinander in Verbindung treten. Hormone sind ja nichts anderes als chemische Substanzen, die mit dem Blutstrom durch den Körper geschickt werden, um in bestimmten Organen gezielte Reaktionen auszulösen. Auch auf diesem Weg kann das Herz Informationen empfangen, „verstehen“ und weiterleiten. Das Herz vermag aber auch selbst Hormone zu bilden (zum Beispiel das Atriopeptin, das unter anderem daran beteiligt ist, den Blutdruck sowie den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt des menschlichen Körpers im Gleichgewicht zu halten). Hier steht die Forschung allerdings noch ganz am Anfang.