eines Vierteljahres stattfinden, echte Adaptationen, die im Laufe der Jahre auch genetisch fixierte und über die Generationen weitergegebene Veränderungen einschließen. Alle haben das gemeinsame Ziel, die Sauerstoffversorgung des Organismus unter den gegebenen Umständen zu optimieren.
Das Herz-Kreislauf-System zeigt charakteristische Unterschiede, abhängig davon, ob es sich um Neuankömmlinge bzw. Völker, die noch nicht allzu lange in großer Höhe leben, handelt oder um „echte“ Höhenvölker. Dabei wirken direkte wie indirekte Faktoren. Durch den Euler-Liljestrand-Mechanismus (hypoxische pulmonale Vasokonstriktion) erhöht sich der Druck im kleinen Kreislauf, was nicht nur bei Tieflandbewohnern, sondern auch bei Hochlandbewohnern der Anden zu rechtsventrikulärer Hypertrophie führt (Abb. 2.27). Damit das System diese hohen Drücke verkraften kann, bildet sich bei Kindern aus den Anden-Hochregionen die Muskulatur der Pulmonalarterien nicht nach der Geburt zurück, wie dies normalerweise der Fall wäre. Irgendein Vorteil dieser Vorgänge ist nicht denkbar. Daher sollten sie eher als Reaktion, denn als Anpassung gesehen werden. Ein normalerweise sinnvoller Vorgang, nämlich das Umlenken des Blutstroms von minderdurchbluteten Arealen der Lunge in solche mit guter Durchblutung durch den Euler-Liljestrand-Reflex, wird bei längerem Höhenaufenthalt eher zum Nachteil. Diese Probleme haben „echte“ Höhenvölker wie die Tibeter nicht. Sie haben sich über Hunderte von Generationen adaptiert und zeigen sowohl in Ruhe als auch unter Belastung einen allenfalls geringen Anstieg des Druckes im kleinen Kreislauf und eine etwa halb so große Inzidenz der rechtsventrikulären Hypertrophie (17 % vs. 29 % bei Han-Chinesen in Tibet). Aus Tierversuchen ist bekannt, dass es sich bei der hypoxischen pulmonalen Vasokonstriktion um eine echte genetische Veränderung und nicht nur um eine physiologische Adaptation handelt, die nach den Mendel‘schen Regeln autosomal-dominant vererbt wird.
Abb. 2.26: Zeiträume verschiedener Akklimatisations- und Adaptationsmechanismen (Daten aus Ward et al. 2000 und zahlreichen anderen Quellen). Der Hauptaktivitätsbereich des jeweiligen Mechanismus ist mit Rot angedeutet
Die maximale Herzfrequenz ist bei Tibetern im Gegensatz zu Andenbewohnern und Tieflandbewohnern in der Höhe nicht limitiert. Dies ist vermutlich dadurch erklärbar, dass sie in der Höhe keinen reduzierten Vagotonus aufweisen.
Über den größeren Thoraxumfang von Hochlandbewohnern wurde oft berichtet. Allerdings stellt sich dieses Merkmal bei genauer Betrachtung als relativ kleiner Unterschied zu Tieflandbewohnern gleicher Ethnie heraus: Die Steigerung der Vitalkapazität betrug im Mittel gerade einmal 300 ml. Für eine dauerhafte Höhenadaptation dürfte dies von marginaler Bedeutung sein, denn die Tibeter zeigen dieses Merkmal nicht und haben eine den Tieflandbewohnern vergleichbare Vitalkapazität. Allerdings könnte die größere totale Lungenkapazität der Andenbewohner, die vor allem auf einem erhöhten Residualvolumen beruht, für diese Population durchaus von Vorteil sein, denn hierdurch reduziert sich die Schwankungsbreite des pCO2 zwischen den jeweiligen Atemzügen und es ist für die Atemregulation folglich leichter, die bekannte Tendenz zu periodischer Atmung unter Kontrolle zu halten. Auch hier zeigt sich die längerfristige Adaptation der Himalayavölker an die Höhenhypoxie: Tibeter haben eine sehr hohe Diffusionskapazität und Sherpas weisen durch höheren pCO2 eine deutlich geringere Höhenalkalose auf. Dies ist ein Hinweis darauf, dass ihr Sauerstofftransport äußerst effektiv ist.
Abb. 2.27: Träger im Marsyangdi-Tal (Nepal). Diese Männer stammen aus dem Tiefland, sind allenfalls teilweise höhenakklimatisiert und haben ein den Touristen vergleichbares Risiko für Höhenzwischenfälle (Foto: T. Küpper)
Die Atmung und Atmungskontrolle ist in der Höhe ein außerordentlich labiles und kritisches Problem, nicht nur im Schlaf: Bereits Paul Bert beobachtete gegen Ende des 19. Jahrhunderts gesunde Personen, die im Wachzustand eine deutliche Periodik in der Atmung aufwiesen (Abb. 2.28). Im Laufe der Zeit ökonomisiert sich die Atmung, was sich unter anderem in einer Abnahme des Atemminutenvolumens in Ruhe um 12–15 % in 4000–4500 m Höhe zeigt. In Jahrzehnten dauernden Höhenaufenthaltes verschiebt sich die hypoxische Atemantwort (HVR) hin zu niedrigeren Werten. Bei Völkern, die schon sehr lange in der Höhe leben (Tibeter), ist dagegen die HVR sehr stabil und nimmt auch mit zunehmendem Alter praktisch nicht ab.
Bei den Andenbewohnern wurden oft sehr hohe Hämoglobinspiegel berichtet und diese dahingehend interpretiert, dass es sich hierbei um eine Langzeitadaptation handelt, die bei noch längerer Adaptationszeit (Tibeter, Sherpas) wieder verschwindet. Bei genauer Untersuchung waren aber offensichtlich in nennenswertem Umfang Personen mit chronischer Höhenkrankheit („Mong’s Disease“) in den Kollektiven. Bereinigt man die Kollektive, lässt sich der Unterschied nicht mehr darstellen. Trotzdem lassen sich Unterschiede zwischen den Aymara in den Anden und Tibetern bzw. Sherpas sichern: Die Südamerikaner haben etwa 4 g/dl höhere Hämoglobinspiegel. Offensichtlich ist der mit dem Hämoglobinanstieg verbundene Effekt der Konzentration von Sauerstoffträgern nur in der (relativ) akuten Phase der Höhenadaptation von Vorteil, während über die Zeit der damit verbundene Viskositätsanstieg eher von Nachteil ist. So interpretiert man heute den niedrigeren Hämoglobinwert der Tibeter als Zeichen der Langzeitadaptation. An tibetischen Frauen, die in etwa 5000 m lebten, konnte als Beweis dieser These gezeigt werden, dass die Sauerstoffsättigung im Wesentlichen von einem einzigen Gen abhängig war. Dies konnte bei Andenbewohnern nicht gefunden werden.
Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass trotz über 30 000 Jahre erfolgter Höhenadaptation in Tibet eine vollständige Adaptation in dem Sinne, dass der Organismus die Höhe absolut und schädigungsfrei akzeptiert, offensichtlich noch nicht erfolgt ist. Bereits in der Fötalphase treten mit erhöhter Inzidenz Schädigungen auf (kraniofaziale Defekte, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Analatresie und andere). Vermutlich weil unmittelbar nach der Geburt der Sauerstoffpartialdruck nicht in dem Maße ansteigt, wie im Tiefland, also die Resistance der Pulmonalgefäße nicht entsprechend gemindert wird, besteht eine höhere Inzidenz für persistierenden Ductus arteriosus Botalli. Diese Inzidenz ist eindeutig höhenabhängig und besonders groß bei Tieflandbewohnern, die in Hochregionen umsiedeln (Han-Chinesen in Tibet: 2,5 %).
Die hohe Inzidenz der chronischen Bronchitis und der chronisch-obstruktiven Bronchialerkrankung (COPD) insbesondere im Himalaya und in Tibet (22,9 %!) ist dagegen nicht der Höhe, sondern den sozialen Umständen zuzuschreiben, neben dem Rauchen insbesondere auch dem ständigen Kochen und Heizen mit offenem Feuer in engen, schlecht belüfteten Räumen. Problematisch ist die recht hohe Rate an Komplikationen (5–12 % Lungenemphysem, 1 % Cor pulmonale). Ähnlich höhenunabhängig dürfte auch die niedrige Rate an Arteriosklerosen und Myokardinfarkten der Hochlandbewohner sein. Ebenfalls sozioökonomische Umstände dürften hauptverantwortlich für die niedrigen Cholesterinspiegel in Bhutan, bei Sherpas und Tibetern sein. Eindeutig mit den sozialen Umständen hängt das nahezu ausschließlich in den Himalayaländern vorkommende Kangri-Karzinom zusammen. Hierbei handelt es sich um ein spinozellluläres Plattenepithelkarzinom der Bauchdecke auf dem Boden einer geschwürigen verbrennungsbedingten Narbe. Ursächlich kommt im Kaschmir das unter der Kleidung getragene Holzkohleöfchen in Frage („kangri“ = Feuerkorb), in anderen Gegenden, dass man ganz dicht an einem Feuer oder einer anderen Wärmequelle schläft („kang“ = Ofen).
Abb. 2.28: Erste Messung der höhenbedingten Cheyne-Stokes-Atmung durch A. Mosso auf der Margheritahütten-Expedition 1894 mit der in Abb. 1.4 dargestellten Messapparatur (aus: Mosso 1899)
Hinsichtlich der arteriellen Hypertonie ist die Lage deutlich unübersichtlicher. Zunächst einmal ist die Inzidenz bei Hochlandbewohnern generell niedrig. Allerdings finden sich deutliche Unterschiede. Die sehr geringe Rate bei der Andenbevölkerung beruht höchstwahrscheinlich auf der traditionellen Ernährung und dem Lebensstil. Bei Sherpas und bei der Bevölkerung im Tien Shan und Pamir ist arterielle Hypertonie praktisch unbekannt, während sie bei den dazwischen wohnenden Tibetern bei etwa 4 % der erwachsenen Bevölkerung diagnostiziert werden kann. Eine leicht erhöhte Inzidenz findet sich auch bei männlichen Bewohnern des äthiopischen Hochlandes.