8,3 % immerhin fast dreimal so hoch wie bei denen, die Zusatzsauerstoff benutzten (3 %). Am K2 ist dies noch extremer: Insgesamt waren hier im Zeitraum 1978–1997 164 Alpinisten erfolgreich. Von diesen waren 71,3 % ohne Zusatzsauerstoff unterwegs. Von Letzteren starben 18,8 % beim Abstieg, während bei denen mit Sauerstoff kein einziger starb (Gesamttodesrate am K2 im genannten Zeitraum 13,4 %).
Aus diesen Zahlen ist keinesfalls zu schließen, dass die Gesamtzahl der Toten am Berg durch die Verwendung von Sauerstoff sinkt. Die Zylinder müssen in die Höhe geschafft werden und sollten im Übrigen aus Umweltschutzgründen auch wieder mit herab gebracht werden. Somit sind nicht nur mehr Personen dem Risikogelände exponiert, sondern auch individuell länger und öfter. Es liegen beispielsweise keinerlei Daten vor, ob nicht mehr Menschen (Porter!) im Khumbu-Eisbruch (Everest) beim Transport vieler Sauerstoffflaschen sterben als die Zahl der Toten, die im Gipfelbereich durch die Verwendung des Sauerstoffs vermieden werden.
Hinweis. In letzter Zeit werden in manchen Regionen spraydosenähnliche Sauerstoffflaschen zur Besserung von Höhensymptomen und im Einzelfall auch zum Aufstieg angeboten. Finger weg! Sie sind mit 14 bar gefüllt und bieten nur für einige wenige Minuten Sauerstoff, auch bei sparsamster Verwendung viel zu wenig, um einen Höhenkranken zu behandeln oder einen Aufstieg zu versuchen! Würden nicht immer wieder ahnungslose Alpinisten darauf hereinfallen, wäre das Angebot von „sauerstoffangereichertem Trinkwasser“ zur Linderung von Beschwerden und Besserung der Leistungsfähigkeit in der Höhe eigentlich ein netter Scherz. Es hat nur einen einzigen Effekt, der es von normalem Wasser unterscheidet: Es ist bei 2–3 US$ pro Flasche für den Verkäufer ein gutes Geschäft.
Neben der Benutzung zum Aufstieg wird Zusatzsauerstoff in den Hochlagern verwendet. Hier wird ein Effekt genutzt, der seit Paul Bert, Angelo Mosso und Nathan Zuntz, also seit über 100 Jahren, wohlbekannt ist: die Verbesserung des Schlafs. Mit zunehmender Höhe tritt eine signifikante Zunahme von Apnoephasen ein, die zunächst die O2-Sättigung auf relativ hohem mittleren Niveau stabilisieren, in noch größerer Höhe aber schließlich zum Problem werden, weil ein Schlaf im eigentlichen Sinne nicht mehr möglich ist. Hier setzt die nächtliche O2-Gabe ein: Neben einer Verbesserung der SaO2 tritt eine Verringerung der Herzfrequenz, eine Minderung des Atemminutenvolumens, aber vor allem eine signifikante Verbesserung der Schlafstruktur mit Minderung der Apnoephasen ein. Die Benutzer fühlen sich am nächsten Morgen deutlich erholter als diejenigen, die ohne Sauerstoff die Nacht verbracht haben. Es ist bislang nicht bewiesen, dass die nächtliche Sauerstoffbenutzung über den rein subjektiven Effekt, eine bessere Nacht verbracht zu haben, hinausgeht, also dass das Risiko für Höhenprobleme gesenkt oder die Leistungsbereitschaft am folgenden Tag durch die subjektiv bessere Erholung gesteigert wird.
2.9.3 Anwendungspraxis und ethische Fragen
B. Jelk
Seitdem der Trishul (7120 m, Garhwal-Himal/Indien) als erster Berg von einer britisch-französischen Expedition im Jahre 1907 mit Zusatzsauerstoff erstbestiegen worden ist, wird von Alpinisten in großer Höhe regelmäßig Sauerstoff eingesetzt, wenn auch heute nicht mehr unterhalb der 8000-m-Marke und auch an den niedrigen Achttausendern nur im Ausnahmefall oder zeitweilig, beispielsweise zum Schlafen. Die Trisul-Besteigung war damals bahnbrechend, dauerte es doch 21 Jahre, bis ein höherer Berg bestiegen werden konnte.
Bereits von Anbeginn an entzündete sich unabhängig von jeglicher physiologischer Überlegung eine teilweise heftige Debatte über die ethischen Aspekte einer Besteigung mit Sauerstoff. Berühmt ist das Zitat von Mallory, der 1922 am Everest trotz der höheren Aufstiegsgeschwindigkeit seiner „sauerstoffgeschwängerten“ Partner feststellte: „When I think of mountaineering with four cylinders of oxygen on one’s back and a mask over one’s face – well, it loses its charm”. H.W. Tilman brachte es 1948, also Jahrzehnte bevor R. Messner die Verwendung von Zusatzsauerstoff als „unsportlich“ verdammte, kurz und bündig auf den Punkt: “… oxygen use is not climbing by fair means” Heute würde man das wohl „Doping“ nennen.
Zeitweilig war die Verwendung von Zusatzsauerstoff so selbstverständlich geworden, dass niemand ernsthaft daran glaubte, dass Besteigungen von Achttausendern ohne diesen überhaupt möglich sein könnten – Herrn Kellas und die großen Höhen, die bereits Mallory und seine Kameraden erreicht hatten, hatte man offensichtlich vergessen. G. Pugh hält Tilman und anderen Sauerstoffgegnern 1957 als erster seine Vermutung entgegen, dass Zusatzsauerstoff die Sicherheit der Bergsteiger erhöhe – eine, wie oben dargestellt, bis heute nicht schlüssig bewiesene Vermutung.
Selten wird es so offen formuliert, aber bei vielen Menschen spielt offensichtlich auch eine Rolle, dass die Angst vor der Höhe oder vor einer Höhenkrankheit reduziert wird. Die Expeditionen in die hohen Berge sind viel einfacher geworden und die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs wird als größer angesehen. Aus diesem Grunde wagen sich aber auch Bergsteiger an diese Berge, die ohne zusätzlichen Sauerstoff nie an einer Expedition teilnehmen würden. Die Angst, an einem Berg zu sterben, ist um vieles reduziert worden.
In letzter Zeit wagen sich wieder weniger Alpinisten ohne zusätzlichen Sauerstoff an einen Achttausender. Die Höhe, in der zusätzlich Sauerstoff genommen wird, ist unterschiedlich. Mit der Kommerzialisierung der Expeditionen tragen Höhenträger die Sauerstoffflaschen in die Höhenlager und die Bergsteiger benützen sie, sobald sie das Gefühl haben, ohne sie nicht mehr weiterzukommen.
Es gibt die Ansicht, dass zusätzlicher Sauerstoff gleichzustellen mit Doping beim Radfahren, z. B. bei der Tour de France. Es erlaubt Amateuralpinisten, die eigentlich nichts in diesen Bergen zu suchen haben, Achttausender zu besteigen. Mit viel Geld ist eine Besteigung des Everest möglich. Aus eigener Erfahrung sind Personen bekannt, die 3–5 Versuche unternommen hatten und schlussendlich den Gipfel mit Höhenträgern, die alles getragen haben, und zusätzlichem Sauerstoff den Gipfel erreicht haben. Diese Art von Höhenbergsteigen stört natürlich diejenigen, die ein Bergsteigen „by fair means“ propagieren, und dies sind nicht nur die Spitzenbergsteiger. Das Interesse an den Achttausendern ist bei guten Alpinisten durch diese Entwicklung verloren gegangen. Darum werden von ihnen schwierige und neue Routen in allen Höhen vorgezogen. Bislang haben sich die führenden Personen und die internationalen Verbände noch nicht auf eine einheitliche Ansicht einigen können. Es ist jedoch zu beobachten, dass die Verwendung von Zusatzsauerstoff zunehmend als „nicht natürlicher Eingriff in den Körper zur Leistungssteigerung“ betrachtet wird, was also der Definition des Dopings entsprechen würde. Das Minimum, das von demjenigen zu fordern ist, der Sauerstoff verwendet, ist die Angabe „Besteigung mit Zusatzsauerstoff“. Das gebietet allein schon die sportliche Fairness. Über die Verwendung selbst muss jeder Bergsteiger letztlich ganz persönlich entscheiden.
Hinweis. O2-Flaschen werden bei ca. +20 °C gefüllt, aber z. B. bei –20 °C benutzt. Damit gilt das Boyle-Mariotte’sche Gesetz nicht uneingeschränkt, was vermeintliche „Leckagen“ der Ausrüstung erklärt. Dadurch stehen in der Höhe ca. 15 % weniger Druck zur Verfügung. Da die Systeme nicht temperaturkompensiert sind, wird das Gas etwa 15 % schneller abgelassen. Als Faustformel sollte man den Flascheninhalt um mindestens 10 % unterschätzen, um ein vorzeitiges Ende des Vorrats in extremer Höhe zu vermeiden (Windsor u. Milledge 2008).
Weiterführende Literatur
Huey RB, Eguskitza X: Supplemental oxygen and mountaineer death rates on Everest and K2. Jama 284(2): 181 (2000)
Küpper T, Schöffl V, Netzer NC. Cheyne Stoke Breathing at High Altitude – Benefit or Troublemaker? Sleep Breath 12(2): 123–127 (2008)
Küpper T, Schöffl V, Netzer N. Cheyne-Stoke-Atmung in der Höhe – eine sinnvolle Reaktion des Körpers oder eher Ursache für Störungen? Jahrbuch 2007 der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin, Innsbruck, 2007, pp. 115–127
Windsor JS, Rodway GW. Supplemental oxygen and sleep at altitude. High Alt Med Biol 7: 307–309 (2006)
2.10 Hochlandvölker
T. Küpper
2.10.1 Geschichte und demografische Übersicht
Die Beschreibung und Untersuchung von Hochlandbewohnern ist aufgrund zahlreicher Faktoren auch hinsichtlich scheinbar banaler Studien