seit der Teilung immer eine mehr oder weniger große Rivalität zwischen beiden wettinischen Linien. Der Gegensatz verschärfte sich, als durch Martin Luther Wittenberg der Ursprungsort für die Reformation der Kirche wurde. Der ernestinische Kurfürst Friedrich der Weise wollte dem Willen Gottes mit der Macht des Staates nicht vorgreifen und ließ Luther und seine Anhänger gewähren. Der albertinische Herzog Georg dagegen lehnte seit 1521 Luther ganz bewusst und grundsätzlich ab.
Herzog Heinrich der Fromme, Herr des Freiberger Ländchens, Gemälde von Lucas Cranach d. Ä., Öl auf Lindenholz, bez. und datiert 1537 (Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister)
Der gehorsame Sohn macht sich frei
Geburt im Freiberger Ländchen
Durch seine Geburt hatte Herzog Moritz zunächst nur einen Platz am Rande der großen Möglichkeiten und Geschehnisse. Sein Großvater Herzog Albrecht der Beherzte hatte die „väterliche Ordnung“ erlassen, nach welcher immer der erstgeborene Wettiner die albertinischen Stammlande erbte. Herzog Georg der Bärtige trat deshalb 1500 in Dresden die Nachfolge seines Vaters Albrecht des Beherzten an. Für den streitbaren Heerführer hatte Georg schon seit 1488, seinem siebzehnten Lebensjahr, die Regentschaft geführt. Für den zweitgeborenen Sohn Heinrich erwarb sich Albrecht 1498 die Rechte als Ewiger Gubernator von Friesland und kaufte dem Hause Burgund 1499 dazu noch die Herrschaft über Groningen und Ommeland ab. Der Bereich Friesland reichte damit von der Zuidersee bis an die Wesermündung. Aber Heinrich wurde von den Friesen zuerst um Groningen und dann allgemein nicht anerkannt. Albrecht der Beherzte setzte sich zwar wieder in Friesland durch, doch nach dessen Tod wollte Heinrich als Nachfolger diese mühsame Herrschaft nicht führen und gab sie lieber an seinen älteren Bruder Georg ab. Er erhielt dafür das Freiberger Ländchen mit den Ämtern Freiberg und Wolkenstein in der Mark Meißen und jährlich 12000, später 20000 Gulden und zwölf Fuder Wein zu seinem Unterhalt.
Herzog Georg baute eine geordnete Verwaltung für Friesland auf, die auch nach seinem Weggang lange in Geltung blieb. Er konnte die sächsische Herrschaft jedoch gegen den Widerstand der Friesen nur bis 1515 halten und verkaufte nach einer völligen Niederlage Friesland wieder an den jungen Burgunder Karl, den späteren Kaiser Karl V.
Die beiden Brüder waren unterschiedlich begabt. Georg beherrschte die Verwaltung eines Landes von Grund auf. Er schrieb selbst gern in seiner fürstlichen Kanzlei die Entwürfe für wichtige Schriftstücke und beherrschte so viel Latein, dass er mit Erasmus von Rotterdam, dem Fürsten aller Humanisten Europas, korrespondieren konnte. Dagegen hasste Herzog Heinrich schriftliche Arbeiten. Die Schreiber sind ihm nachgelaufen, um eine Unterschrift zu bekommen, so ungern unterschrieb er selbst Briefe und Schriftstücke. Vielleicht spielte auch beim Verzicht Heinrichs auf Friesland ein gewisser Trotz gegen den großen, immer besseren Bruder eine Rolle, der schon in der Jugend in seine Aufgabe als regierender Fürst im albertinischen Sachsen als Statthalter des in Kriegen abwesenden Vaters hineinwachsen konnte.
50 Jahre hat Georg als Patriarch, der sich für das Große ebenso verantwortlich fühlte wie für das Kleine, das albertinische Herzogtum verwaltet. Dagegen blieb anfangs für Heinrich nur das abgelegene, windige Friesland, dessen Bewohner sich einer sächsischen Gubernation keinesfalls fügen wollten. Deshalb hat er viel lieber in der moderneren Bergstadt Freiberg gewohnt. Über 30 Jahre hat dann der körperlich große Herzog Heinrich sein Denken und Handeln auf das Freiberger Ländchen beschränkt. Er reiste nicht zu den Reichstagen. Dieses Recht nahm sein Bruder für ihn wahr. In seinem Ländchen war Heinrich ein populärer Fürst, der seine Untertanen kannte. Er kümmerte sich um Handwerk und Gewerbe. Er liebte die Freuden der Tafel und hörte gern Gesang. In den Erzgebirgswäldern ging er auf die Jagd. Er hatte Zeit, sich dem Sammeln von Kanonenrohren und Handfeuerwaffen zu widmen, die er in Freiberg gießen ließ.
Prinz Moritz von Sachsen, Kinderbild nach einem Gemälde von Lucas Cranach d. Ä., 1526
Seine größte Tat war, dass er mit fast 40 Jahren – in damaliger Zeit an der Schwelle des Alters – die fast 15 Jahre jüngere Katharina von Mecklenburg am 7. Juli 1512 heiratete. Sie war keine schöne, aber eine selbstbewusste, kluge und energische Frau. Der Landgraf Philipp von Hessen und der Kurprinz Johann Friedrich waren ihre Neffen, Kinder ihrer älteren Schwestern. Vielleicht wollten Hessen und Kursachsen mit der Ehe etwas mehr Einfluss im albertinischen Raum gewinnen?
Katharina wurde die treibende Kraft im Leben des großen und gutmütigen Mannes. Sie brachte ihrem Mann erst drei Mädchen zur Welt: Emilie, Sibylle und Sidonia, und dann drei Knaben: Moritz, Severin und August. Nach den Bildern Lucas Cranachs ist Heinrich größer und schlanker als seine schwergewichtigen ernestinischen Vettern von Friedrich dem Weisen bis zu Johann Friedrich. Nach der damals üblichen Geste von Fürsten liegt die Hand von Heinrich auf dem Schwertgriff auf den Bildern von Cranach. Mit dem Handeln Heinrichs hat die Geste nichts zu tun. Er hatte wenig vom praktisch kriegerischen Sinn seines Vaters geerbt. Heinrichs Körpergröße erbte der Enkel Georg Friedrich in Bayreuth, der über zwei Meter erreichte. Luther meinte 1539 schließlich nach der Regierungsübernahme in Dresden über den alten Heinrich: Ach, der gute Fürst hat nun ein groß Land, aber er ist alt, schwach und ungeschickt dazu.1 Elisabeth von Rochlitz sagte noch schärfer: Wer S. L. zum regiment tuchtig gewest, S. L. vater hette im nicht das narrenteil also verordnet.2
Katharina konnte mit den 20000 Gulden Jahreseinkommen in Freiberg nicht viel erreichen, denn sie trat gern in höfischer Pracht auf. Sogar noch als Witwe von 62 Jahren scheute sie eine Reise zum kaiserlichen Hof nach Brüssel und einen Empfang bei Karl V. nicht. Sie suchte Bedeutung durch die Ehen ihrer Kinder zu gewinnen.
Moritz wurde am 21. März 1521 in Freiberg im mittelalterlichen Schloss Freudenstein geboren. Er war der erste Sohn des so unterschiedlichen Fürstenpaares. Heinrich war mit rund 48 Jahren für Moritz ein alter Vater. Die meisten Menschen starben, auch wenn sie in gesicherten Verhältnissen lebten, damals zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. Der Kardinal und Erzbischof Albrecht von Mainz und Magdeburg wurde neben Herzog Georg dem Bärtigen Pate von Moritz, weil er Herzog Heinrich das für einen ersten Sohn versprochen hatte. Dieser wurde deshalb nicht Wilhelm oder Friedrich, Johann oder Heinrich genannt, sondern auf den für die Wettiner ungewöhnlichen Namen Moritz nach dem Heiligen des Erzbistums Magdeburg getauft.3 Für den Sohn der unbedeutenden Freiberger Nebenlinie der Wettiner war es gut, den mächtigsten deutschen Kirchenfürsten als künftigen Helfer zu haben. Vielleicht stand dahinter die vage Hoffnung, dass Moritz dessen Nachfolger im Erzbistum Magdeburg werden könne.
Die älteste persönliche Nachricht von Moritz ist das Kinderbild, das Lucas Cranach der Ältere im Jahre 1526 von ihm gemalt hat. Es zeigt einen schmalen Knaben im groß geratenen Festtagsgewand. Seine rötlich blonden Locken sind sicher für das Malen gelegt worden. Sie lassen eine hohe Stirn frei. So gelockt wurden damals Engel und Heilige, Fürsten und Adlige dargestellt. Sein etwas spitzes Kinn stammt wohl von der Mutter. Als Erwachsener hat Moritz sein eher schmales Gesicht mit einem großen Bart eindrücklicher gemacht. Die Hände im Kinderbild halten sich am Gürtel, denn er würde als Sohn des Freiberger Ländchens gewiss keine wesentlichen Attribute der Macht zu halten haben.
Es heißt, dass Moritz als Kind weniger Anlage zum kriegerischen Beruf gezeigt hätte als sein jüngerer Bruder Severin, der kecker (mutiger) in Zweikämpfen mit ihm gewesen sei.4 Noch das Moritzmonument von 1553/54 an der Brühlschen Terrasse in Dresden, sein Ehebild zusammen mit seiner Gemahlin Agnes von Lucas Cranach d. J. und das Standbild auf dem Grabmal im Freiberger Dom zeigen seinen Körper nicht korpulent und das Gesicht eher schmal. Er hat wohl nicht die Anlagen der Ernestiner zum Körpergewicht besessen. Bei seiner Trauerfeier 1553 war ein junger Mann mit der Rüstung des Kurfürsten Moritz bekleidet. Noch 1550 nennt ihn Philipp von Hessen „Mormau“5, was eher ein kindlicher Spitzname als ein wirklicher Deckname ist, wie er nötig war. Vielleicht war der Name auch „Morman“ (d. h. Moritzchen). Moritz hat auch von Größe und Gewicht her solche Benennungen nicht ablegen können. Er hatte wahrscheinlich die Statur seiner Mutter geerbt, die es drahtig und zäh auf das