Todd Huizinga

Was Europa von Trump lernen kann


Скачать книгу

– die staatliche, großindustrielle und intellektuelle Elite – amerikanischen Patriotismus für eine globalistische Orientierung eingetauscht hat. Dieser Begriff des Globalismus, und wie darauf zu reagieren ist, ist für das weitere Verständnis zentral. Trump wollte und will die frühere Größe Amerikas dadurch wiederherstellen, dass er bei dem amerikanischen Staat sowie den Führungskräften der amerikanischen Wirtschaft „patriotische Rechenschaftspflicht“ wieder durchsetzt.

      Im Prinzip ging es in der ganzen Wahlkampagne genau um diese Themen, also um Identity Politics auf der einen Seite gegen die Wiederbehauptung der patriotischen Verantwortlichkeit innerhalb der Elite auf der anderen. Die Kampagne verlief vor dem Hintergrund einer weitverbreiteten Empfindung unter der Bevölkerung im allgemeinen, die das Gefühl der Einwohner von Flint ähnelte, dass man sie vernachlässigt, allein lässt und ignoriert. Die Präsidentenwahl 2016 fand im Rahmen einer wachsenden Spaltung statt, die die Arbeiter- und Mittelklasse (vervollständigt durch eine beträchtliche Unterklasse) von einer kleinen Elite trennt. Hinzu kommt – und darum geht es eigentlich in diesem Buch –, dass der Prozess einer wachsenden Spaltung zwischen einer zum großen Teil traditionalistischen Bevölkerung und einer postmodern-progressiven, globalistisch denkenden Elite überall in der westlichen Welt zu beobachten ist und sich unentwegt verschlimmert.

      Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Beobachter die Ähnlichkeiten zwischen Bernie Sanders und Donald Trump notiert haben. Ihre Kandidaturen zielten beide auf genau diesen Hintergrund ab: die Spaltung und Entfremdung zwischen einer kleinen Elite und einer Mehrheit, die sich vernachlässigt vorkommt. Diese Entfremdung ist weit genug verbreitet, um sowohl rechts als auch links, Konservative und Progressive, anzusprechen, und zwar auf ähnliche Art und Weise. Eigentlich könnte man sagen, dass diese Entfremdung nicht nur die gemeinsame Wurzel von den Kampagnen von Donald Trump und Bernie Sanders war, sondern dass ihr auch eine überraschende Gemeinsamkeit zwischen zwei Bürgerbewegungen zu Grunde liegt, die sich sonst auf entgegengesetzten Polen des politischen Spektrums befinden, nämlich der Tea-Party-Bewegung auf der rechten und der Occupy-Wall-Street-Bewegung auf der linken Seite. Ein Lied vom Country- und Westernsänger John Rich, „Shuttin’ Detroit Down“, das einige Zeit zu einer Art Parole für die Tea-Party wurde, veranschaulicht diese Gemeinsamkeit. Das Lied vermengt altehrwürdige amerikanische, Tea-Party-artige Werte wie z.B. Familie, Fleiß, Selbstständigkeit, Chancengleichheit und Patriotismus mit normalerweise linken, Occupy-Wall-Street-artigen Themen wie Klassenkonflikte zwischen Arbeitern und Reichen, die im Lied vom „Boss“ und den Wall-Street-Bankern verkörpert werden:

       „Mein Papa sagte mir, dass in diesem Land alle gleich sind

       Man arbeitet für seinen Dollar und steht dafür gerade,

       Wenn die Dinge schiefgehen.

       Und jetzt sehe ich wie die großen Tiere im Fernsehen winseln,

       Dass sie ihre Milliarden verlieren und es liegt an mir und dir

       Denen zur Rettung angelaufen zu kommen.

       Nun Verzeihung, dass ich keine Träne vergieße.

       Denn sie verkaufen Märchen und wir nehmen das hier nicht ab.

       Denn in der echten Welt wird Detroit stillgelegt,

       Während der Boss seine Prämie kassiert und wegjettet.

       DC rettet all die Banker und guckt zu, wie die Bauern ihr Land versteigern.

       Ja, während man in der New Yorker Wall Street sich austobt,

       Wird hier in der echten Welt Detroit stillgelegt.“

      Auf der rechten Seite wittern viele, dass das Land der Chancengleichheit nicht mehr wirklich allen eine Chance bietet. Auf der linken Seite ahnen viele, dass eine kleine herrschende Klasse – das obere Ein-Prozent, wie die Occupy-Wall-Street-Bewegung sie bezeichnete – alle anderen, die restlichen 99-Prozent, ausbeutet. Rechts und links gibt es wesentliche Unzufriedenheit und beträchtliche Verärgerung über eine distanzierte Elite in Politik und Wirtschaft, die das schöne Leben genießt und sich um ihre eigenen Interessen kümmert. Aber diese Entfremdung hat noch tiefere Wurzeln. Im Folgenden möchte ich mich auf drei konzentrieren: den Verwaltungsstaat, die Herrschaft der Juristen, und den Verlust an Freiheit durch Identity Politics und politische Korrektheit. Hinter all dem lauert die vorhin angedeutete Weltanschauungskluft zwischen einer zum großen Teil traditionalistischen Bevölkerung und einer postmodern-progressiven Elite.

      In den USA breitet sich der Verwaltungsstaat schon mehr als 100 Jahre lang aus. Die Bürokratisierung der Herrschaft, d.h., die zunehmende Ausübung von politischer Macht durch Bürokraten und Fachleute, hat ein Ausmaß erlangt, dass man langsam den Punkt erreicht, an dem Beamte de facto die legislative Gewalt ausüben, für die nach der amerikanischen Verfassung die gewählten Kongressmitglieder verantwortlich sind, die Politiker also, die regelmäßig durch Wahlen dem Volk gegenüber Rechenschaft ablegen müssen. Schon seit mehr als 100 Jahren, seit den Präsidentschaften von Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson am Anfang des 20. Jahrhunderts, wächst der Verwaltungsstaat in den Vereinigten Staaten fast ununterbrochen. In dieser Zeit machte der Bürokratiestaat große Sprünge nach vorn, vor allem während der Amtszeiten von Franklin Delano Roosevelt, Lyndon Johnson, Richard Nixon und Barack Obama. Unter Barack Obama, der in Deutschland immer noch eine unkritische Verehrung genießt, die er niemals verdient hat, ist der Verwaltungsapparat des Staates so explosiv gewachsen, dass nach einer Schätzung von Clyde Wayne Crews auf cato-unbound.org im Jahr 2015 „Verwalter“ dreißig Mal mehr Vorschriften und Regelungen gemacht haben, die das tägliche Leben der Amerikaner mitbestimmen, als der Kongress Gesetze verabschiedet hat.

      Aber die Anzahl von Vorschriften und der Überbürokratisierung ist nicht das größte Problem. Das Problem, wie ich vorhin angedeutet habe, ist die mangelnde Rechenschaftspflicht der Beamten und der Einrichtungen, die die Vorschriften machen. Ein Grund, warum das lange Zeit relativ unbemerkt ablief, ist, dass Vorschriften eben als vergleichsweise harmlose „Vorschriften“ daherkommen, obwohl sie eigentlich Gesetze sind. Und der Kongress ist die Einrichtung, die dazu da ist, um die legislative Gewalt auszuüben. Stattdessen, wie Joseph Postell von der University of Colorado bemerkt, „verabschiedet der Kongress Gesetze, die dessen legislative Gewalt auf Ministerien und andere Einrichtungen des Staates übertragen. Diese Ministerien und Einrichtungen, in denen das Personal aus ungewählten Beamten besteht, entwickeln dann die Gesetze, denen [die Bevölkerung] folgen muss.“ Was vielleicht noch schlimmer ist: Viele der Einrichtungen üben die drei Gewalten des Staates – die exekutive, legislative und judikative Gewalt – aus. Sie „sind mit der Gewalt versehen worden, Gesetze zu verabschieden, ihre Einhaltung zu untersuchen sowie zu erzwingen, die mutmaßlichen Verstöße gegen die Gesetze zu verfolgen, und oft sogar über diese mutmaßlichen Verstöße Urteile zu fällen.“

      So beschreibt Professor Gary Lawson das Vorgehen einer typischen Instanz des Staates, der Federal Trade Commission (Bundeshandelskommission): „Die Kommission verabschiedet Regelungen. Dann ermächtigt sie Untersuchungen über mögliche Verstöße gegen diese Regelungen; die Kommission führt die Untersuchung dann aus und berichtet über ihre Feststellungen an die Kommission. Die Anklage der Kommission über den Verstoß gegen eine Regelung der Kommission wird dann von der Kommission verfolgt und gerichtlich entschieden. In gewissen Fällen, wenn die gerichtliche Entscheidung der Kommission nachteilig ist, kann die Kommission dann bei der Kommission Berufung einlegen...“ James Madison, einer der amerikanischen Gründerväter und Hauptverfasser der amerikanischen Verfassung, hatte Recht, als er schrieb, dass die Vereinigung aller drei Staatsgewalten in den gleichen Händen „der Inbegriff der Tyrannei“ sei.

      Es überrascht also nicht, dass endlich, nach einem Jahrhundert des ständigen Wachstums, die außer Kontrolle geratene Erweiterung des Verwaltungsstaats den Eindruck unter vielen Amerikanern