Martin Linne

Smart Tourism – Share Economy im Tourismus


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konnten z. B. Stadtautos oder Stadtteilautos ein rentables Dasein aufbauen.5

      Share Economy geht aber noch einen Schritt weiter als Unternehmen oder Vereine (wie z. B. bei Stadtteilautos), die ihre Geschäftsidee auf der zeitlich befristeten Vermietung aufbauen. Share Economy „kann jeder“. Jeder teilt mit jedem. Ich habe ein Segelboot, das ich nicht ständig alleine nutzen kann, also teile ich es. Das ist im Übrigen keine Innovation. Schon oft hat es „Kleinstfirmengründungen“ gegeben, um das eigene Boot durch die Vermietung finanzieren zu können.6

      Wie funktioniert nun Share Economy genau? Internet und mobile Endgeräte bilden den Rahmen, die technische Grundvoraussetzung.7 Ohne zeitnahe und individuelle Informationsübermittlung funktioniert der smarte Konsum nicht.

      Share Economy besteht aus drei wesentlichen Akteuren. Neben Anbieter und Nachfrager, die auf dem Markt als realem oder virtuellem Schauplatz miteinander agieren, ist bei der Share Economy ist der klassische Markt in Form eines Protalbetreibers institutionalisiert. Hier entsteht die (Geschäfts-) Idee, bestimmte Kapazitäten durch Teilen besser auszulasten. Der Portalbetreiber nutzt technische Möglichkeiten, um seine (Geschäfts-) Idee virtuell umzusetzen. Die Portale sind so aufgebaut, dass jeder seine eigenen Angebote dort ohne spezielle Softwarekenntnisse einstellen kann.

      Internet und mobile Endgeräte bilden den Rahmen

      Quelle: eigene Abbildung.

      Solche Such- und Tauschportale basieren darauf, Interessen von Sharing-Gebern und Sharing-Nehmern zu verbinden. Selbstverständlich sind Überschneidungen zwischen dem Portalbetreiber und Gebern bzw. Nehmern nicht selten, sie sind aber nicht zwingend erforderlich. Diese Portale finanzieren sich über die Einstellgebühren der Such- oder Tauschangebote.

      Share Economy funktioniert in zwei Richtungen. Der Austauschprozess kann vom Sharing-Geber angestoßen sein. Er will z. B. seine Wohnung während eines Urlaubsaufenthalts nicht ungenutzt lassen und Teile seiner Urlaubskosten bzw. seine „überflüssig“ gezahlte Miete kompensieren. Der Sharing-Geber bietet also seine überschüssige Kapazität in einem passenden Portal an. Der Prozess kann aber ebenso gut vom Sharing-Nehmer initiiert werden. Dieser sucht z. B. für einen spontanen Bedarf ein Auto. Diesen Bedarf kann er über eine Leihwagenfirma decken oder eben über ein Sharing-Portal, in das Privatpersonen Ihren PKW eingestellt haben.

      Eine Weiterentwicklung stellen die Vermittlungsportale dar. Auch hier werden Anbieter und Nachfrager zusammengeführt. Im Vordergrund steht dabei nicht der direkte Tausch einer Sache (z. B. Wohnung). Zweck ist hier vielmehr das Teilen, also eine zeitweise Vermietung z. B. einer Wohnung oder eines Autos. Diese Vermittlungsportale finanzieren sich i. d. R. über Provisionen, also einen Anteil an den erzielten Erlösen.

      Zwischen Such- und Tauschportalen und den Vermittlungsportalen bestehen Unterschiede. Diese werden ausführlich in Kapitel 6 aus juristischer Sicht dargestellt.

      Teilen ist nichts Neues, immer schon war es Teil des menschlichen Zusammenlebens. Wie selbstverständlich nutzte man früher alles zum Leben Benötigte im Familienverband, in der Nachbar- und Dorfgemeinschaft gemeinsam. Familienmitglieder versammelten sich zum kollektiven Fernsehen vor dem „modernen Lagerfeuer“, Wäsche wurde in Gemeinschaftswaschküchen oder Waschsalons gewaschen und öffentliche Badeanstalten machten das fehlende private Badezimmer wett. Seitdem Mitte des letzten Jahrhunderts die Ausstattung der deutschen Haushalte mit Fernsehgeräten, Waschmaschinen und sonstigen Gebrauchsgegenständen stieg, haftet dem aus der Not geborenen Teilen der Hauch der Bedürftigkeit an. Erst mit zunehmendem Wohlstand und erschwinglicheren Gütern verschwand das selbstverständliche Teilen aus dem Alltagsleben.

      Heute kehren Praktiken des gemeinschaftlichen Konsums – vom Teilen über das Ausleihen, Tauschen, Wiederverwenden bis hin zum Schenken – in unser Leben zurück. Mehr und mehr Menschen stellen – vollkommen freiwillig – ihr Hab und Gut anderen zur Verfügung. Dabei ist dieses Wiederaufleben des gemeinschaftlichen Konsumierens keineswegs Konsequenz einer Lebensweise, in der Menschen das bescheidene, entbehrungsreiche Leben für sich entdeckt haben. Der durch Teilen ermöglichte Zugang zu allen erdenklichen materiellen und immateriellen Vermögensgütern ist vielmehr Ausdruck, dass Konsum in unserer Gesellschaft auf dem Weg ist, völlig neue Formen anzunehmen. Denn anders als das notgedrungene Teilen vergangener Tage geht es beim heutigen „Sharing“ nicht um das Überwinden von Knappheit, sondern – ganz im Gegenteil – um die Umverteilung des Überflusses.

      Dabei unterscheiden sich die Modelle der Share Economy vom herkömmlichen Teilen zwischen Familienmitgliedern, Freunden und Nachbarn durch eine komplexe Planung, eine veränderte Organisation von Prozessen und vor allem durch die Reichweite. Die modernen Netzwerktechnologien heben das Teilen zwischen Menschen heute auf ein nie gekanntes Niveau, da sie vollkommen neue Wege auftun, wie sich Menschen miteinander verbinden – in Echtzeit und immer öfter mobil. Geteilt wird heute (beinahe) alles mit jedermann. Denn das Internet löst das uralte Problem, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen auf die denkbar effizienteste Weise. Im Netz finden sich korrespondierende Interessen quasi auf Knopfdruck, und mit der Weiterentwicklung zum Social Web sowie der Hilfe weiterer Technologien geschieht dies situativ und passgenau: Das Zusammenspiel aus GPS und sozialen Netzwerken beispielsweise macht es kinderleicht, Kontakt zwischen Menschen aus derselben Umgebung herzustellen, die etwa eine Mitfahrgelegenheit suchen bzw. anzubieten haben. Natürlich war dies auch in Zeiten Schwarzer Bretter möglich, aber aufgrund der geringeren Reichweite mit kleineren Erfolgsaussichten und zudem weniger bequem, reibungsfrei und schnell. Technologie bewirkt zudem, dass die Nutzung von Dingen näher an die Vorteile des Eigentums heranrückt. Das „geteilte Auto“ ist keineswegs eine neue Idee, gibt es doch Mietwagenfirmen beinahe ebenso lange wie das Auto selbst. Jedoch ist Car Sharing um ein Vielfaches flexibler und bietet dem Nutzer eine stärker individualisierte Lösung, weil der nächstgelegene Wagen geortet und mittels Chipkarte geöffnet werden kann. Nach Gebrauch wird er stehen gelassen, wo immer man möchte und abgerechnet wird minutengenau. Darüber hinaus schafft die Technik den Intermediär ab: „Echtes“ Teilen wird möglich, von Privatperson zu Privatperson. Über Internetplattformen werden Eigentümer, die ihr Hab und Gut für den gemeinschaftlichen Konsum zur Verfügung stellen möchten, mit Nutzern zusammengebracht. Das Mietwagenunternehmen wird obsolet. Das Internet hilft also jenen Effekt zu beseitigen, den Ökonomen als „double coincidence of wants“1 bezeichnen: Das Dilemma von Tauschgeschäften besteht immer darin, dass übereinstimmende Bedürfnisse, Wünsche oder sonstige Ereignisse, die dann Auslöser der Transaktion sind, kaum jemals zur selben Zeit und am selben Ort auftauchen; vielmehr muss ein „doppelter Zufall“ eintreten, der darin besteht, dass der Anbieter von Produkt bzw. Leistung A Interesse an Produkt bzw. Leistung B hat und umgekehrt. Oder bildhaft gesagt: „[N]ur wenn ein hungriger Schneider einen unbekleideten Bauern trifft, der über Nahrungsmittel verfügt und sich Hosen wünscht, können beide einen Handel abschließen.“2 Weil das Internet ein riesiger Marktplatz ist, auf dem Milliarden von Bedürfnissen zusammenkommen, ist damit zu rechnen, dass sich der zweifache Zufall tatsächlich ereignet – zumindest mit ungleich größerer Wahrscheinlichkeit als dies auf lokalen Märkten der Fall wäre. Technologie unterstützt den Marktmechanismus, die richtigen Dinge zur rechten Zeit am richtigen Ort verfügbar zu machen.

      Zum einen ist die Technologie – vor allem das Internet – der große „Ermöglicher“ der Share Economy. Zum anderen tragen die technologische Entwicklung und die dadurch vorangetriebene Vernetzung der Menschen aber gleichzeitig zu einem Wandel von Einstellungen gegenüber Konsum, Besitz und Eigentum bei. Es sind vor allem diese neuen Einstellungen und das resultierende, veränderte Konsumverhalten, wodurch sich Sharing vom Nischen- zum Massenphänomen entwickelt.