Группа авторов

Chimära mensura?


Скачать книгу

der National sozialist_innen behauptet, die eigensinnige Widerständigkeit der in Dienst genommenen Hunde, die immerhin 34 Mauertote unter sich zu beklagen hatten, beschrieben. Ein Ausblick beschreibt die Situation der ehemaligen West-Grenzhunde an den EU-Außengrenzen nach der „Wende“, wo die Hunde Flüchtlinge abschrecken mussten, anstatt sie mit freundlichem Gebell willkommen heißen zu dürfen.

      Bisher wurde die Intervention von einer Reihe von Zeitungen und einem Fernsehbeitrag besprochen. In zahlreichen E-Mail-Verteilern verschiedener Disziplinen und an universitären Kaffeetischen wurde der Hoax zum Gesprächsstoff. Das Hannah-Arendt-Institut nahm den Beitrag aus der digitalen Ausgabe von Totalitarismus und Demokratie und bedauerte in einer stattdessen veröffentlichten Stellungnahme, dass die Redaktion „durch einen gefälschten Lebenslauf, eine scheinbar wissenschaftliche Argumentation, die dem Leser mit ausführlichen Erläuterungen, umfangreichen Fußnoten und falschen Archivangaben glaubhaft gemacht wurde … systematisch getäuscht“ worden sei. Auch der Arbeitskreis für Human-Animal Studies Chimaira sah sich zu einer Stellungnahme zu diesem „plumpen Human-Animal-Studies-Bashing von Schulte & Co“ genötigt.

      s u b \ u r b a n (s\u): Sie schreiben, dass Sie mit Ihrer Intervention „eine Diskussion darüber anregen wollen, warum engagierte Gesellschaftskritik in den Geisteswissenschaften zur Ausnahme geworden ist“. Ist diese Diskussion nach Ihrer Meinung bereits im Gange? Wie erleben Sie die Reaktionen auf Ihre Intervention?

      Christiane Schulte & Freund_innen (CSF): Der Telepolis-Text wie auch die Berichterstattung haben per E-Mail und Internet eine unglaubliche Reichweite erlangt. Allerdings gibt es die Tendenz, das Ganze als Witz und Unterhaltung abzutun, was schade ist. Natürlich ist die Satire auch witzig, aber sie hat ein ernstes Anliegen, nämlich die Marginalisierung von Gesellschaftskritik in der Wissenschaft anzusprechen. Wir wollten die unsichtbaren „Grenzen des Sagbaren“ sichtbar machen und zeigen, dass man mit den bizarrsten Inhalten durchkommt, solange sie mit dem Mainstream konform sind, während andere Inhalte und Methoden es extrem schwer haben, als „richtige Wissenschaft“ anerkannt zu werden. Diese Inhalte sind nicht zufällig herrschaftskritisch, feministisch, staatskritisch, antikapitalistisch … unbequem eben.Von daher hätten wir erwartet, dass Vertreter_innen der Kritischen Wissenschaft mehr Diskussionsbedarf haben würden, oder die Zivilgesellschaft. Doch z. B. auch die Vereine, die von der Extremismusklausel akut betroffen waren, haben sich bisher nicht dazu geäußert. Nur der MDR hat im Magazin artour eine Verbindung gezogen, die offensichtlich ist: Die Extremis mustheorie, die der Schäferhund-Hoax als unwissenschaftlich vorgeführt hat, diente in Sachsen über zwei Jahrzehnte dazu, Antifaschist_innen und Linke mit Nazis gleichzusetzen, während die ganz realen Nazis unbehelligt blieben. Die jüngsten Ereignisse zeigen, welche fatalen Folgen das hat.

      s\u: Warum ist Ihnen das Moment der Anonymität so wichtig?

      CSF: In allen Anfragen war dies bisher das erste Thema. Spannender ist aber doch die Gegenfrage: Warum ist es so wichtig, wer Christiane Schulte ist? Ist es nicht wichtiger, was sie zu sagen hat? Je öfter diese Frage gestellt wird, desto mehr erscheint auch die Personalisierung im Medienbetrieb als ein Problem. Eine Story ist nur dann interessant, wenn man ein nettes Gesicht dazu hat. Auch im akademischen Betrieb geht das so: Bei Bewerbungen ist ein schickes Foto immer gut, während in anderen Ländern längst Bewerbungen ohne Foto üblich sind.

      s\u: Es ging uns nicht so sehr um Personalisierung. Sondern eher darum, inwieweit Sie Anonymität als notwendig erachten und dies zugleich auch Ausdruck dessen ist, was Sie kritisieren: eine Struktur der Einschüchterung und die Angst vor den sozialen Kosten von Kritik im Kampf um die Ressourcen des akademischen Feldes? Alan Sokal, der ja in den 1990er Jahren vermutlich den bekanntesten Hoax in den Wissenschaften veröffentlichte, konnte das unter seinem Klarnamen machen.

      CSF: Sie haben es erfasst: Der Druck, sich einordnen zu müssen, macht auch vor uns nicht halt. Nur die Anonymität bot die Möglichkeit, überhaupt erst mal frei sprechen zu können, ohne „Schere im Kopf“: Wird mir das beruflich schaden? Was ist bei der nächsten Bewerbung, der nächsten Evaluation? – Das alles einmal zu vergessen, war eine echte Befreiung und hat die Kreativität für die Satire überhaupt erst freigesetzt. Alan Sokal hatte es 1996 insofern einfacher. Er hatte eine Stelle an der New York University und arbeitete als Physiker nicht in dem Bereich, in dem er seine Satire platzierte. Selbstzensur im eigenen Forschungsfeld war also nicht die Idee seiner Intervention. Zwanzig Jahre später gibt diese Frage aber die Hauptstoßrichtung unserer Satire vor. Wir brauchen einen radikalen Bruch mit der Prekarisierung, den Kettenverträgen, den Projektstellen und dem ewigen Bewerber_innenstatus in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Dieses System erzeugt Duckmäusertum und verhindert originelles Denken. Es müssen unbefristete Stellen und soziale Sicherheit erkämpft werden. Die Vorschläge seitens der GEW etwa liegen seit Jahren als „Templiner Manifest“ auf dem Tisch, doch in der Realität hat sich wenig geändert. Unser Hunde-Hoax zeigt, was für eine Wissenschaftskultur entsteht, wenn Geisteswissenschaftler_innen wie Praktikant_innen gehalten werden: Was nichts kostet, ist auch nix wert. Wer die Leute ständig in Existenzangst hält, bekommt eben Konformismus und Nachgeplapper. Die Lösung kann von daher auch nicht mehr peer review sein – das wird das Problem eher noch verstärken, weil gerade ein anonymes peer review, bei dem man alle möglichen und unmöglichen Gutachter_innen im Kopf mitdenken muss, nicht zu originellen Thesen führt. Zu erwarten sind dann eher Artikel mit viel „einerseits-andererseits“, die sich der Linie des Fachblatts anpassen und möglichst viele von dessen Beiträgen zitieren, damit dessen impact factor steigt. Originalität braucht aber nicht noch mehr Evaluation, sondern eine liberale Wissenschaftskultur und soziale Sicherheit für die Forschenden.

      s\u: Wie kann man Ihrer Ansicht nach jenseits der Satire der Main streamisierung der Wissenschaft entgegen wirken?

      CSF: Zunächst: Nicht alles, was Mainstream ist, ist automatisch schlecht. Wir behaupten nicht, die allein seligmachende Weisheit zu besitzen. Doch wir wollen, dass neben dem Hauptstrom auch Platz für Seitenströme und insbesondere für Gesellschaftskritik ist.

      Wie kann man das erreichen? – Satire kann nur auf ein Problem aufmerksam machen, es aber nicht lösen. Satire ist eine Strategie, um etwas offenzulegen, die Debatte um gesellschaftliche Veränderungen beginnt erst danach. Für die Wissenschaft bedeutet das, mal genauer nach den Ursachen des Konformismus zu fragen.

      Es geht dabei nicht nur um einzelne Strömungen, sondern um ein Wissenschaftssystem, in dem die bereits angesprochenen prekären Arbeitsbedingungen mit feudalen persönlichen Abhängigkeiten kombiniert werden. Da es in Deutschland keine unbefristeten Stellen im Mittelbau gibt, hat eine Professur nach wie vor einen geradezu mittelalterlichen Status: Alle anderen am Institut sind abhängig vom Lehrstuhlinhaber und dessen Protektion – Lehrstuhlinhaberinnen sind nach wie vor die Minderheit. Es besteht ein massiver Anreiz, sich einzuordnen und Knickfüße zu machen. Gleichzeitig soll man irgendwie innovativ sein. So entstehen Schein-Innovationen und Pseudodebatten, aber keine unabhängige Forschung.

      Hinzu kommt ein kulturelles Problem: In Deutschland fehlt die liberale Wissenschaftskultur und oft denkt man, der Kalte Krieg sei noch nicht zu Ende. Gesellschaftskritik steht bei uns immer unter Ideologieverdacht, und auch das ist innovationsfeindlich. So gab es in Deutschland seit den 1970er Jahren eine sehr gute Frauen- und Geschlechterforschung, die kaputtgespart wurde. Und dann wird sie auf Umwegen aus den USA als Gender Studies teilweise wieder reingeholt. Ähnlich verlief es mit antirassistischen Ansätzen, die erst unter dem Label Postcolonial Studies bei uns wissenschaftlich sprechfähig wurden, oder mit marxistischen Strömungen, wie etwa der Kritischen Geographie. David Harvey hätte zum Beispiel in der BRD als Marxist nie eine Professur bekommen. Aber weil sich seine Bücher in den USA gut machen, wird er nun auf Kosten der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeladen. In Deutschland ist eine gesellschaftskritische Wissenschaft also erst dann aussprechbar, wenn sie vom Weltmarkt kommt. Niemand hat bei der Bachelor-Reform daran gedacht, sich vielleicht aus dem angelsächsischen System auch mal Dinge zum Vorbild zu nehmen wie populär geschriebene Sachbücher und eine liberale Wissenschaftskultur mit Raum für Dissidenzen.

      s\u: Liest man Ihre Erklärung auf Telepolis wie auch die Stellungnahme des Arbeitskreises Chimaira, so fällt auf, dass in