die ja eher dogmatisch ist und einem ganz anderen Weltbild wie auch Wissenschaftsverständnis entspringt. Diese beiden vermeintlich konträren Ansätze scheinen doch überraschend gut zusammenzugehen. Warum?
CSF: Wir halten die Human-Animal Studies nicht für undogmatisch. Die darin vertretene These von der animal agency erfüllt vielmehr alle Kriterien eines Dogmas: Sie wird gesetzt, ist unverhandelbar, alle Ergebnisse sind nur zu ihrer Bestätigung da und in ihrer Allgemeinheit lässt sie sich nicht widerlegen. Denn klar: Tiere sind keine Möbel, sie tun immer irgendwas und aus dem Tun wird dann agency. Erinnern wir uns nur an die Erklärung von Chimaira und die Trotzreaktion, dass ja nicht bewiesen sei, dass die Mauerhunde nicht doch von KZ-Hunden abstammten. „We want to believe“, würde Akte X-Star Fox Mulder dazu sagen. Gemeinsam ist beiden Ansätzen, zumindest in der Konferenzeinladung „Tiere unserer Heimat“, ein holzschnittartiger Antikommunismus. Wir sind keine stalinistischen DDR-Fans, wie uns der Betreiber des Foucault-Blogs in einem Kommentar unterstellte. Wir finden allerdings, dass weder die Sprachschablone „Unrechtsstaat“ die DDR erklären kann, und ebensowenig die Totalitarismustheorie, die durch die Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Staat in letzter Konsequenz den Holocaust relativiert. Für den Stalinismus, der Millionen von Opfern forderte, mag dieser Vergleich auf einem nachvollziehbaren Erschrecken beruhen. Aber erklären kann der Vergleich nichts, denn der Stalinismus hat nicht den Nationalsozialismus als historischen Vorläufer, sondern die sozialistische Arbeiter_innenbewegung. Hier wäre der Vergleich zwischen den Zielen einer Bewegung und den Realitäten des Staatssozialismus angebracht. Bei der Übertragung auf die DDR zeigt sich die ganze Erklärungsunfähigkeit der Totalitarismustheorie: In der DDR gab es keinen Holocaust; sie hat keinen Weltkrieg vom Zaun gebrochen. Ein Vergleich mit dem NS-Regime ist daher schon bezüglich der unterschiedlichen Dimensionen absurd. Im Gegenteil, wenn man die DDR und das NS-Regime mal „ehrlich“ miteinander vergleichen würde, käme die DDR noch zu gut weg. Deswegen heben ja gerade „Ostalgiker“ das Antifaschistische in der DDR hervor, um über ihre diktatorischen Züge nicht reden zu müssen. Es ist auch interessant, dass etwa der Vergleich zwischen „Bismarckstaat“ und NS verpönt ist. Hier redet niemand von „zwei deutschen Diktaturen“, obwohl im Deutschen Kaiserreich die Regierung nicht gewählt, sondern vom Kaiser ernannt wurde. Auch nicht gerade demokratisch.
Die Human-Animal Studies sind jedoch für die Totalitarismustheorie und andere konservative bis rechte Erklärungsmuster offen, weil sie schlichtweg keinen Begriff von Gesellschaft haben.
s\u: Die Universitäten in Deutschland waren ja (mit wenigen erkämpften Ausnahmen) selten Orte radikaler Gesellschaftskritik. Ist es da so verwunderlich, dass sich an diesen unkritisches und marktförmiges Wissen reproduziert? Welchen Ort könnte denn eine kritische Wissenschaft haben? Welche kollektiven Formen jenseits der von Ihnen eingeforderten kritischen Haltung je einzelner Wissenschaftler_innen könnte sie annehmen?
CSF: Nein, es ist nicht verwunderlich. Die Universitäten sollen Berufsausbildungen für den Markt anbieten, und welcher Staat finanziert schon seine eigenen Dissident_innen?
Allerdings herrscht an den Universitäten immer auch ein Bildungsideal: Objektivität, Neutralität und Pluralismus sind zentral, wenn Wissenschaftler_in nen im Feuilleton ihre Welterklärungen legitimieren. Wichtig ist daher, diesen Anspruch auch einzufordern und den Konformismus nicht einfach hinzunehmen, weil das ja im Kapitalismus sowieso die Funktion der Uni sei. Die Universitäten sind Kampffelder. Wer jeden gesellschaftlichen Konformismus und Konservatismus rein funktionalistisch mit der institutionellen Struktur erklärt – aus dem Verblendungszusammenhang oder anderen abstrakten Ableitungen heraus –, der gibt den Anspruch auf, etwas verändern und bewegen zu wollen. Die Universitäten waren einmal offener für Kritische Wissenschaft, und sie könnten es wieder werden. Wir hoffen, dass unsere Intervention auch ein Ansporn dafür ist.
Gleichzeitig braucht es Gegen-Institutionen und Räume. Zeitschriften sind in diesem Zusammenhang sehr wichtig, auch eigene Kongresse, auf denen sich emanzipatorische Wissenschaft trifft. Das sind aber alles auch Fragen einer guten Selbstorganisation. Hier fehlt oft die Energie, die Vision - oder der Schulenkampf verstellt den Blick auf größeres.
Ansonsten ist Wissenschaft nicht alles. Sie kann politische Bewegungen nicht ersetzen, nur begleiten, vielleicht beraten, aber sie hat ihre Grenzen. Die Wissenschaft ist nur ein Kampffeld von vielen, das muss auch klar gesagt werden. Wer kritisch sein will, kann das nicht nur in der Theorie sein, sondern muss sich auch einmischen, Teil von sozialen Bewegungen werden, auf der Straße gehen. Theorie ist eben nicht auch „irgendwie“ Praxis, sondern Politik geht über das Universitäre hinaus.
Das Gespräch führten Stefan Höhne, Boris Michel und Lisa Vollmer.
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