Ben Westhoff

Original Gangstas


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der Kontrolle der Atlantic Drive Compton Crips stand. Aber auch andere Untergruppen der Crips trieben unweit von dort ihr Unwesen: die Neighborhood Crips, die Kelly Park Crips und die Southside Crips – und alle wollten ihre Drogengeschäfte ausbauen. „Es war ein Pulverfass“, erklärt CPO Boss Hogg.

      Die Crips wurden 1969 in South Central von einem muskelbepackten Teenager namens Raymond Washington gegründet, der sogleich seinen gefürchteten High-School-Freund Stanley „Tookie“ Williams rekrutierte. Sie formten eine Allianz, um sich gegen andere lokale Gangs zur Wehr zu setzen. „Ich dachte, dass ich die Straßen von all diesen plündernden Gangs säubern könnte“, sagte Williams später. „Aber da lag ich total falsch. Vielmehr wurden wir irgendwann selbst zu einem Monster, gegen das wir eigentlich hatten vorgehen wollen.“ 1979 wurde Williams wegen Mordes verurteilt und 2005 schließlich mittels einer Giftspritze hingerichtet. Washington verabscheute zwar Knarren, liebte es jedoch sich zu kloppen. „Raymond zog sich sein Shirt aus und prügelte sich den ganzen Tag lang den Arsch ab“, berichtete ein Bekannter einmal. Er wurde 1979 ermordet.

      Nachdem sie die Farbe Blau zu ihrem Markenzeichen erklärt hatten, versuchten die Crips in den frühen Siebzigerjahren ihren Einflussbereich nach Compton auszudehnen, wo es eigene Gangs gab. Die Jungs von der Piru Street und Umgebung, nahe der Centennial High School, hatten sich zu den Pirus zusammengeschlossen. Zu ihnen zählten auch Sylvester Scott und Benson Owens, denen nachgesagt wird, die Bloods gegründet zu haben, zu denen auch die Brims und die Bounty Hunters aus dem Sozialbau Nickerson Gardens in Watts gehörten. Sie wählten Rot als ihre Farbe, da die Pirus auch „Roosters“ – also „Hähne“ – und die Bounty Hunters „Blobs“ – wie das rosafarbene Ungetüm aus dem Film The Blob – genannt wurden beziehungsweise die Brims rote Streichhölzer an ihren Kopfbedeckungen trugen.

      Diese beiden großen Gangs splitterten sich auf und wucherten über das ganze Land. Die Rivalitäten zwischen Bloods und Crips – sowie unter ihren eigenen Untergruppierungen – wurden zunehmend blutig. Als Eric schließlich ein junger Mann war, hatten die Crips und die Bloods sowie die Latino-Gangs Compton unter sich aufgeteilt und versuchten, die ganze Region zu kontrollieren. Der Anreiz dafür war leicht verständlich. In den benachbarten Gegenden gab es keine Arbeit, hohe Kriminalität und zerbröckelnde Familienstrukturen. Der Schulterschluss mit anderen desillusionierten Kids konnte einem somit Stolz und ein Gefühl der Einheit vermitteln. Begleitet wurden all der Stolz und die Einheit jedoch auch von Gewalt. 1984 gab es in den Gang-Gebieten in L.A.-County circa 200 Todesfälle zu beklagen. 1988 waren es fast 500. Und Anfang der Neunzigerjahre gab es über das ganze Land verteilt bereits geschätzte 100.000 Gang-Mitglieder.

      Es ist nicht ganz klar, zu welcher Untergruppe der Crips Eric sich zählte. Die Gang hatte sich noch nicht ganz aufgegliedert – und eigentlich mochten ihn die meisten Crips-Fraktionen in seinem Teil der Stadt. Es war auch sicher kein Fehler von ihm, ihnen hochqualitatives Coke zu Spitzenpreisen zu verkaufen. Das alles machte ihn aber nicht zu einem waschechten Gangbanger. Zwar trug er manchmal Blau, doch beteiligte er sich weder an Drive-by-Schießereien, noch forderte er Vergeltungsschläge gegen andere Gangs. So war er nicht gestrickt. Ihm ging es ums Geld, so einfach war das.

      Atlantic Drive war der Name eines Apartmentgebäudes, das er manchmal als Stützpunkt für seine Unternehmungen verwendete, und auch der Name der Straße, in der es sich befand. Das einstöckige Stuck-Haus beherbergte ein paar Dutzend Familien, erwies sich aber als besonders effektiver Drogenmarkt, der rund um die Uhr geöffnet war. Der C-förmige Grundriss bedingte, dass man von der Straße aus nur in ein paar der Wohneinheiten Einblick hatte. Dies hatte zur Folge, dass potenzielle Käufer vorstellig werden konnten, ohne von der Polizei beobachtet zu werden. Hier erhielten sie alles von Crack und Angel Dust über Weed bis hin zu in Angel Dust getunkten, mit Sherman-Zigarrenpapier gedrehten Joints. Obwohl ständig Leute ein und aus gingen, gelang es irgendwie, das Gebäude „undercover“ zu halten. Nachdem die Transaktionen über die Bühne gegangen waren, wurden die Käufer rasch zurück auf die Straße eskortiert. Vor Ort herrschte Rauchverbot. Hier ließ es sich perfekt dealen.

      Auch die Gangs waren in den Drogenhandel verwickelt, aber es gab keine wirklich etablierte Hierarchie. „Wenn jemand mitbekam, dass du ein Gangster warst, dann bekamst du immer etwas vorab“, erzählt Rapper J-Dee, der in der Poinsetta Avenue in Compton dealte. „Das lief immer auf Kommission ab. Jeder hatte einen Beeper und eines dieser schweren Ziegelstein-Telefone. Wenn du dir das in die Hose geschoben hast, rutschte sie dir runter.“

      Dealer bunkerten ihre Vorräte in einem Geheimversteck. Dabei handelte es sich meistens um die Bleibe eines Drogensüchtigen, den man mit Crack bezahlte, vielleicht mit einem Gramm pro Tag. „Wir nannten sie Hausmann oder Hausfrau“, erklärt J-Dee und fügt hinzu, dass ihn keine Schuldgefühle plagen, Leuten eine so schädliche Droge verkauft zu haben. „Wir hielten ihnen schließlich keine Knarre an den Schädel.“

      J-Dee, der als Mitglied von Ice Cubes Gruppe Da Lench Mob berühmt werden sollte, spezialisierte sich darauf, den Leuten direkt auf der Straße ihren Stoff wie bei einem Drive-Thru-Schalter von Taco Bell zu verchecken. Zu den Abnehmern zählten Angestellte einer nahegelegenen Flugzeugfabrik in Long Beach ebenso wie Suchtkranke aus der Nachbarschaft. Die Kohle versteckte er unter der Einlagesohle in seinem Schuh – „auf diese Weise konntest du zu Fuß flüchten“. Sobald er einmal 1.000 Dollar eingesackt hatte, trug er das Geld nachhause, um dann wieder zu seinem Standort zurückzukehren.

      Eric dealte nicht mit jedem auf der Straße, sondern verkaufte im großen Stil, aber eben nur an Kunden, die er kannte, zum Beispiel seine Cousins, die vom Atlantic-Drive-Gebäude aus arbeiteten. Wenn er eine Nummer auf seinem Pager wiedererkannte, rief er von einem Münztelefon aus zurück. Natürlich musste man sich an Codes halten. Für einen 8-Ball (eine Achtel Unze Koks) musste die Pager-Nachricht die Ziffer „8“ enthalten. Für eine halbe Unze lautete der Code „12“. Wenn Eric ein Deal komisch vorkam, ließ er sich einfach nicht darauf ein. Ein Fehler hätte gereicht und alles wäre vorbei gewesen. Die Dealer aus Compton ließen sich auf keinen Bockmist ein – dafür erinnerte sich Eric zu gut an den Namen Horace Butler.

      Die Goldmine

      Horace Butler war Erics Onkel zweiten Grades – und das absolute Ebenbild des Rappers Buffy von den Fat Boys. Seine Schulkameraden zogen Butler ständig wegen seines Gewichts auf. „Also war er schon ziemlich abgehärtet“, erzählte sein Freund Mark Rucker. „Wenn du ihm einen Tritt gabst oder ihm ein Bein gestellt hast, schlug er dir einfach ins Gesicht.“ Er wohnte in der Nähe auf der Poinsettia Avenue und war so etwas wie Erics Mentor in Bezug auf die Drogen. Wenn man sich gut mit ihm stellte, gab sich Butler durchaus großzügig. Er war jedoch recht verschlossen und man musste sich sein Vertrauen erst einmal verdienen. Allerdings vertraute er seinem Blutsverwandten Eric. Als er ein Teenager war, machte Butler ihn zu seinem Boten, der die Kunden mit Stoff versorgte, nachdem Butler die Deals abgeschlossen hatte.

      Eric, der die Dominguez High School geschmissen hatte, hatte bis dahin nicht viel Ahnung vom Drogengeschäft. Als Teenager hatte er ein paar Spritztouren mit gestohlenen Autos unternommen. Auch hatte er schon den einen oder anderen Einbruch auf dem Kerbholz. Er stahl Farbfernseher und Videorecorder. „Einmal wollte er seiner Mom einen gestohlenen Fernseher schenken“, erinnerte sich Bigg A mit einem Lachen. Doch was das Dealen betraf, so war Eric noch ein Neuling. Deshalb kam es für ihn auch überraschend, als Butler ihn eines Tages im Jahr 1984 einlud, mit ihm eine Runde in seinem Truck zu drehen.

      Eric kletterte in Butlers Wagen, einen GMC mit Metallic-Lackierung und Chromfelgen an den Geländereifen, der eigentlich nicht Butler gehörte, sondern einem anderen Typ aus der Gegend, der aber inzwischen im Knast saß. Die Karre war beschlagnahmt worden und Gerüchten zufolge waren in ihr immer noch einige Lagen Sherman-Joints verstaut. Niemand traute sich, Anspruch auf den Wagen zu erheben, da jeder fürchtete, schließlich selbst im Kittchen zu landen. Doch Butler war das egal. Ihm gelang es, sich den Wagen zu sichern – und nun saß er hinter dem Steuer dieses großen, schönen GMC.

      Mit Eric an seiner Seite fuhr Butler den Schlitten zu einer geheimen Location in der Nachbarschaft, fernab von neugierigen Blicken. Butler blickte sich um und wollte auf Nummer sicher gehen, dass ihn auch niemand beobachtete. Dann kramte er an der Seite eines verlassenen Hauses eine Einkaufstüte aus Papier hervor. Er öffnete sie und zeigte Eric ihren