Ben Westhoff

Original Gangstas


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Eric wusste nicht, was er davon halten sollte, willigte jedoch prompt ein.

      Ungefähr zur gleichen Zeit benahm sich Butler auch sonst seltsam. Rucker fiel das schon am Anfang der Woche auf, als er an seinem Drogenspot in der Glencoe Street stand, nur einen Steinwurf entfernt vom Haus eines gemeinsamen Freundes, Emil Moses, der sich gerade erst in seiner Garage erhängt hatte. Nachdem die Polizei eingetroffen war und der Gerichtsmediziner sich um den Körper kümmerte, versammelte sich eine Menschenmenge. Butler und Rucker unterhielten sich und beklagten ein paar Minuten lang den Tod des Freundes, bevor Rucker wieder Geschäftliches ansprach. Er war auf der Suche nach Ware: „Hast du etwas?“

      „Nein“, antwortete Butler, der die Umgebung mit seinen Augen abtastete. „Ich lass es locker angehen und gönne mir eine Auszeit.“

      „Warum denn?“

      „Die Lage ist irgendwie komisch zur Zeit.“

      Die beiden Männer gingen daraufhin ihrer Wege und verabredeten sich zur Beerdigung von Moses, bei der Rucker als Sargträger fungieren sollte. Für diesen Anlass hatte er sich sogar einen Anzug ausgeliehen. Doch Butler sollte es nicht mehr dorthin schaffen. Ein paar Tage später, kurz nach Mitternacht, fuhr er seinen Truck durch Mid-City in Los Angeles und wollte gerade auf den Freeway 10 auffahren. Als er vor einer Ampel zum Stillstand kam, wurde er von insgesamt sieben Kugeln getroffen, die offenbar von seinem Beifahrer abgefeuert wurden, der anschließend aus dem Wagen gesprungen war.

      Da sein Fahrer nun tot war, begann der Truck langsam rückwärts zu rollen, bis er mit einem Masten kollidierte und stehenblieb. Dieser Mord warf eine Reihe von Fragen auf: Wer steckte hinter dieser Tat? Warum wurde Horace Butler ermordet? Ging es dabei um Geld? Oder um den Truck? Um Drogen? Nur eines war klar: Es würde in dieser Woche noch ein zweites Begräbnis in Compton geben.

      Butlers Tod traf Eric schwer. „Er und ich trafen uns jeden Tag“, sagte er. „An diesem Abend musste ich zufällig etwas mit meiner Mutter machen. Deshalb war ich nicht dabei. Wahrscheinlich wäre ich ebenso tot wie er, wenn ich dort gewesen wäre.“

      Auf Eric sollte schon bald der nächste Schock warten. Als er zum verlassenen Haus zurückkehrte, wo Butler sein Geld versteckt hatte, fand er nicht nur die Geldtüte, sondern auch ein Paket mit Kokain. Eric begriff rasch, dass er auf einer Goldmine saß. Ganz abgesehen von der Kohle war ihm nun Stoff im Wert von zehntausenden Dollar in den Schoß gefallen. Er musste es nur auf die Reihe bringen, das Zeug zu verticken.

      Eric machte sich sofort an die Arbeit. Als Rucker wenig später bei ihm zu Hause aufkreuzte, staunte dieser nicht schlecht, als er Eric vorfand, wie dieser über einem kleinen Elektroherd kauerte und versuchte, Crack zu kochen. „Mann, wo hast du den Stoff her?“, fragte Rucker.

      „Ich wollte das Geld holen“, sagte Eric, „und das hier war auch noch da.“

      Erics mangelnde Erfahrung war offensichtlich. Er hielt Rucker ein Stück unter die Nase und spekulierte über dessen Wert: „Das hier geht für zwanzig, oder?“

      „Teufel, nein!“, sagte Rucker. Der Brocken war eher sechzig Dollar wert. Rucker gab ihm daraufhin einen Crashkurs darin, wie man den Preis von Crack-Körnern berechnete. Von da an begann Rucker sein Kokain bei Eric zu kaufen. Seine Preise waren sehr gut – 1.000 Dollar pro Unze, eine Menge, für die andere 1.500 Dollar verlangten. Eric überließ ihm sogar Pakete auf Kommission. Er konnte es sich ja leisten, da die Ware, die ihm in den Schoß gefallen war, nichts als reinen Profit einbrachte.

      1985 schien Eric auf einer Welle des Erfolgs zu schwimmen. Nachdem er die Profite, die sich aus Butlers Vorräten ergaben, in Nachschub investiert hatte, lief er in feinem Zwirn herum und düste in schneidigen Karren durch die Gegend. Aber er war noch nicht zufrieden. Tief drinnen wusste er, dass das nicht das richtige Leben für ihn war. Und so beschloss er, etwas zu unternehmen.

      Ein gefährlicher Ort

      Der Alltag in Compton entsprach nicht wirklich dem Bild, das Hollywood von der Welt der Straßengangs verbreitete. In den Achtzigerjahren war die Stadt, die sich ungefähr 15 Kilometer von Downtown L.A. befindet, zumindest tagsüber immer noch eine typische Mittelschicht-Vorstadt. Hier gab es gut ausgestattete, farbenfrohe Bungalows mit großen Gärten, Eisenstäben vor den Fenstern und schmiedeeisernen Zäunen. Kinder fuhren auf ihren Fahrrädern, Kleider hingen zum Trocknen auf Wäscheleinen und braune wie schwarze Mitbürger gingen ihren Working-Class-Jobs nach. Spätabends fuhren Teenager in ihren Suzuki-Trucks und VW Käfern gegeneinander Autorennen um Geld. Aber die Gegend wirkte nicht wie ein Kriegsgebiet.

      Unter der Oberfläche jedoch schwelte eine urbane Katastrophe – hohe Arbeitslosigkeit, hohe Armutsrate, hohe Säuglingssterblichkeit und eine steigende Anzahl von Gangmorden. Die Rezession der Siebzigerjahre hatte sich durch Präsident Nixons Comprehensive Employment and Training Act entspannt, ein staatliches Jobprogramm, das den Leuten im Viertel Arbeit verschaffte. 1982 setzte Präsident Reagan das Programm außer Kraft, wodurch es Ortsansässigen erschwert wurde, Jobs zu finden.

      Auch die Polizei war keine große Hilfe. Bis sie im Jahr 2000 aufgelöst wurde, hatte Compton seine eigene Polizeieinheit – und zwar eine der korruptesten im ganzen Land. Die Stadt mit ihren gerade einmal 93.000 Einwohnern verzeichnete 1986 insgesamt 66 Morde und 1987 sogar 85, was der dreifachen Pro-Kopf-Rate von ganz Los Angeles entsprach, das damals selbst als notorisch gefährlicher Ort galt. In L.A. ereigneten sich in den Achtzigerjahren fast 3.000 Tötungen, die im Zusammenhang mit Bandenkriminalität standen. Ein schwarzer Teenager lief sechsmal größere Gefahr als Mordopfer zu enden als ein Weißer gleichen Alters.

      In Los Angeles legten die meisten Soldaten ab, die im Zweiten Weltkrieg in Richtung Südpazifik in See stachen. Im Anschluss an den Krieg zogen die vielen Jobs in der Flugzeugbaubranche Leute aus dem ganzen Land an. Und das wunderbare Wetter war sicher kein Störfaktor. Erics Eltern zählten zu den ersten schwarzen Familien in Compton und waren von Greenville in Mississippi aus nach Compton gezogen und Teil einer großen Migrationswelle. Im 20. Jahrhundert war die Stadt größtenteils weiß gewesen. Für kurze Zeit hatten 1949 sogar George und Barbara Bush dort in einem Apartmentkomplex gelebt, als der spätere Präsident noch Ölbohrausrüstung verkaufte.

      Compton war außerdem berüchtigt für seinen Rassismus. Obwohl der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten Rassentrennung in Bezug auf das Wohnungswesen bereits 1917 untersagt hatte, verfolgten Bauunternehmer und Banken weiterhin dieses System. Ein Immobilienmakler konnte seine Lizenz verlieren, wenn er Integration begünstigte – und Compton war von diesem Trend stärker betroffen als jeder andere Teil von Los Angeles. Brutale Bürgerwehren versuchten schwarze Familien am Betreten der Stadt zu hindern, was sie mit ihrem Slogan „Keep the Negroes North of 130th Street“ untermauerten. Marvin Kincy, ein 1950 in Compton geborener Schwarzer und Veteran der Piru-Gang, erinnerte sich daran, dass ihm eingebläut wurde, aus Angst vor Übergriffen durch „Niggerjäger“ die Wilmington Avenue nicht mehr nach 19 Uhr zu überqueren. Er fügte noch hinzu, dass er als Neunjähriger von vier jungen Weißen in einem 57er-Ford unter dem Vorwand zu ihrem Wagen gelockt wurde, ihn nach dem Weg fragen zu wollen. Als er nahe genug war, hatten sie ihn mit faulen Eiern und Tomaten beworfen.

      Nach einem Beschluss des Obersten Gerichtshofs im Jahr 1949, der systematische Diskriminierung zusehends erschwerte, wurden die Restriktionen im Wohnungswesen gelockert. Die Wrights ließen sich daraufhin in Compton nieder, wo Eric 1964 das Licht der Welt erblickte. Unweit von ihrem Wohnort ereigneten sich im Folgejahr die Unruhen von Watts, ausgelöst durch eine Verkehrskontrolle eines schwarzen Autofahrers, der von einem weißen Highway-Cop kon­trolliert wurde, weil der vermutete, der Fahrzeuglenker sei betrunken. Daraufhin kam es zu Krawallen mit Dutzenden Toten und Sachschäden in bis dahin ungekannter Höhe. In der Folge begann die Gegend sich aufgrund der Abwanderung der weißen Bevölkerung und der Stilllegung von Betrieben zu verändern. Die ehemalige Heimat der Bushs zog nun Drogendealer, Hausbesetzer und Prostituierte an – und Compton verwandelte sich in eine der gefährlichsten Städte des Landes.

      Jeder in Los Angeles, der sich während der frühen Jahre der Regierung Reagan nach einem billigen Rauschzustand sehnte, musste nur dem riesigen Drogenumschlagplatz namens The Track in South Central, der sich in der 81st Street zwischen Hoover und Vermont befand, einen Besuch abstatten. Vor allem die