die Gründung eines Charters in Arizona veranlasst. Rudy versicherte jedoch, dass es nie zu einer Überprüfung kommen würde.
Aber da gab es noch ein Problem mit Rudy. Er war zwar ein offizielles Mitglied der Solo Angeles aus Tijuana, doch nicht ihr Präsident! Sein neuer Status in der Tarnorganisation nötigte die anderen, ihn ständig zu kontrollieren. Man musste ihn daran erinnern, dass er schauspielerte, dass die Rolle als Präsident der Nomads eine Tarnung darstellte und dass er im Grunde genommen ein Schwerverbrecher war, der den Befehlen des ATF zu gehorchen hatte.
Beef stellte einige spezielle Beamte ab, um das Verhalten des Informanten genau zu beobachten. Es waren erfahrene Agenten, die das Risiko der Operation auf sich nehmen und nach minimaler Ausbildung in die Biker-Identität schlüpfen konnten. Nicht nur kreierte Beef einzelne Nomads-Charaktere für die falschen Solo Angeles, sondern er beachtete auch die Hackordnung und das Rangsystem des „Marionetten-Clubs“. Er brauchte also nur noch verschiedene und allzeit bereite Schauspieler, die glaubhaft Vollmitglieder und Prospects verkörperten.
Die Aktion glich nicht nur einer Theateraufführung, sondern musste auch exakt so durchgezogen werden.
Beef spielte die Rolle des Zeremonienmeisters, des Masterminds, des Großmeisters.
ATF Special Agent „Carlos“ war eine eindeutige Wahl. Man rekrutierte ihn von der Miami Field Division. Er sprach fließend Spanisch und verfügte über jahrelange Undercover-Erfahrungen, gemacht bei seiner Arbeit mit mexikanischen Dealern im pazifischen Nordwesten und der kubanischen Mafia in Miami.
„Wie lange?“, schrillte O’Briens Stimme in Beefs Kopf.
„Höchstens vier Monate.“ Beef zeigte sich optimistisch.
Carlos sollte die Rolle eines neuen Members spielen, ein Drogenhändler, den man beschissen hatte und der ganz dringend die Hilfe von „Rudy-dem-immer-bereiten-Dealer“ benötigte, um sich die verlorengegangene Lieferung wieder unter den Nagel zu reißen.
„Und wer noch?“, fragte O’Brien mit Nachdruck. Für die Rolle der Vollmitglieder wählte Beef zwei Agenten vom Phoenix Police Department aus. Er überzeugte die Behörde, dass sie dem Wunsch eines ihrer jungen Beamten zustimmte, der sich freiwillig gemeldet hatte. Obwohl Timmy über keine größeren Erfahrungen als Undercover-Ermittler verfügte, kannte er sich bei Bikes gut aus und war darüber hinaus ein Kampfsporttrainer. Mit einer Körpergröße von über 1,80 Meter spielte er einen überzeugenden Geldeintreiber.
Schwieriger gestaltete es sich, die Rolle eines Prospects zu besetzen. Beef wusste, dass kein lokaler Cop sich freiwillig von einem Bundesagenten runterputzen lassen wollte. Und er wollte auf gar keinen Fall Öl ins Feuer gießen und die vorhersehbare Konkurrenz zwischen den Behörden anheizen. Ein Cop würde als Prospect nur zehn Sekunden überleben.
Davon abgesehen betrug die übliche Bewährungsfrist für einen Prospect der Solo Angeles 90 Tage. 90 Tage im Höllenfeuer der boshaften Erniedrigung! 90 Tage, in denen ein Anwärter herumhetzte, um den Bikern Bier zu bringen, kopfüber in Mülltonnen gesteckt wurde und alle Launen der Rocker zu ertragen hatte. Das war eine undankbare, jedoch notwendige Rolle. Beef durfte keine Rücksicht auf das Ego des Kandidaten nehmen, denn er musste ein All-Star-Team aufstellen. Zwei Minuten, 90 Tage – wen interessierte schon der Unterschied.
Beef wollte dem Cop nicht unbedingt erklären, dass die Hells Angels mindestens ein Jahr erwarteten oder – realistischer – „so lange es eben dauert“.
Ein größeres Problem stellte das Motorradfahren dar. Bislang hatten nur Timmy und Rudy auf einem Bike gesessen. Und es gab nur wenig Zeit, den anderen das Fahren beizubringen. Beef überzeugte O’Brien vom Leasen eines überdachten Motorradanhängers oder Trailers. Damit konnten die Agenten die Hells Angels in dem Glauben wiegen, dass sie schon an langen Touren teilgenommen hatten. Kleinere Strecken stellten das geringere Problem dar, doch man wusste von den Angels, dass sie manchmal stundenlang oder sogar tagelang in größeren Rudeln von mehreren Bikern unterwegs waren.
Die von der Regierung zur Verfügung gestellten Bikes sahen recht schäbig aus, hatten einige Macken und stammten aus recycelten Teilen, beschlagnahmt bei anderen Fällen. Manchmal waren es Motorräder aus älteren Fällen. Über den Agenten schwebte ständig die Gefahr, dass einer der Biker seine Harley aus einer früheren Konfiszierung wiedererkannte, aber das Risiko wollten Beef und die Kollegen eingehen. Dem Mastermind boten sich keine großartigen Wahlmöglichkeiten, und er musste nun mal ein Team von Zweiradfahrern zusammenstellen.
Doch es gab noch einen weiteren Anlass zur Sorge – die Haftungsfrage und die Versicherungsansprüche. „Was ist mit Unfällen? Pannen?“ Beef zerstreute O’Briens Bedenken und versprach, dass die Agenten so wenig wie möglich fahren würden. Stattdessen wollten sie die Maschinen in dem Anhänger transportieren, die Böcke eine Meile vor Tourbeginn ausladen und den Dreck und Schweiß eines langen Trips imitieren. Als Nomads der Solo Angeles mussten sie im Rudel in der letzten Reihe fahren, weit hinter den Engeln. Man würde meilenweit keine Notiz von ihnen nehmen. Zumindest hoffte das Beef.
Durch den Transport im Trailer waren Pannen so gut wie ausgeschlossen, doch für Notfälle führte jeder ein Werkzeugset bei sich, ausgestattet mit Schraubenschlüsseln, einigen Bolzen und einem Schraubendreher.
„Wie willst du das Ding überhaupt durchziehen?“, fragte einer der Kollegen mit einem schnippischen Unterton.
Es war ein einfacher Plan: Die Frischlinge sollten einige Tage wie Schatten an Rudy kleben und dabei üben, in der Stadt und auf der Interstate mit gemächlichen 45 Meilen die Stunde zu fahren. Als Gruppe würden sie sich in Bars sehen lassen, um sich an die Verhaltensnuancen der jeweils anderen zu gewöhnen. Auf dem Programm standen zudem kleinere Waffen- und Drogenkäufe in der kriminellen Szene rund um die Apache Junction. Nachdem das Team sich einige Tage in der Öffentlichkeit gezeigt und sich kennengelernt hatte, wollte Rudy sie den Hells Angels dann vorstellen.
So in der Art müsste es funktionieren.
Beefs Kritiker argumentierten, dass der Plan einige Macken habe, ja sogar undurchführbar sei. Wer sei so dumm, einen Biker zu spielen, ohne die wichtigste Fähigkeit draufzuhaben – ein Bike zu fahren? Beef schmetterte die Einwände mit der ihm typischen Respektlosigkeit ab. Meine Güte, jeder Agent war ein Schauspieler und wenn man ihm die Möglichkeit gab, einen „wahren“ Outlaw zu personifizieren – eine sowohl glamouröse als auch potentiell karriereförderliche Rolle –, würde er es schon lernen (oder zumindest glaubhaft rüberbringen).
Abgesehen von allem, was sich um ein Bike drehte, servierte Beef den Anzugträgern des ATF weitere schlagkräftige Argumente. Rudy stand schon längst in Kontakt zu den Hells Angels. Darüber hinaus war geplant, dass die Agenten in waschechter Solo Angeles-Kluft auftauchten, wodurch sie von der ersten Sekunde an glaubhaft wirkten. Die Patches nachzuahmen stellte kein großes Problem dar. Beef wollte sich Rudys authentisches Solo Angeles-Abzeichen ausleihen und die Mutter eines pensionierten Spezialagenten einspannen, damit sie seinem Team die Kopien auf die Lederwesten nähte. Die alte Dame sollte darüber hinaus Buttons fertigen, Bottomrocker für die Prospects sowie Namensschilder und Anhänger mit folgenden Motti: FSSF („Forever Solos, Solos Forever“), FTW („Fuck The World“ – ein beliebter Slogan der Outlaw-Biker), Pistoleros de Mexico, IIWII („It Is What It Is“). Hinzu kamen Anstecker, um den Rang jedes Agenten im Chapter zu verdeutlichen.
„Und wie willst du O’Brien klarmachen, dass sie Bundesagenten gestattet, Abzeichen von Outlaw-Bikern zu tragen?“, wollte ATF Special Agent Christopher („Cricket“) Livingston eines Morgens von Beef wissen. Die beiden saßen in einem Starbucks und hatten schon einige Tassen tiefschwarzen Kaffees intus. Cricket arbeitete weniger als fünf Jahre als Agent. Er war ein ehemaliger Marine, eingesetzt bei Spezialoperationen und Aufklärungsmissionen.
„Wir überzeugen sie, dass die Hells Angels parasitäre Arschlöcher sind!“, schlug Beef vor, während er sich einen Muffin nahm.
In der Öffentlichkeit präsentierten die Biker ihre „Bruderschaft“ als eine eklektische Bande harmloser Jungs mittleren Alters, die gerne ärmellose Kutten oder Bowling-Jeanshemden trugen und aufgemotzte Motorräder fuhren. Jedes Jahr verkauften die Biker Hells Angels-Merchandise