der ihm, in den Augen vieler, in puncto Selbstdarstellung das Wasser reichen konnte.“
Die Gruppe – vor allem Banks – war bereits zu Charterhouse-Zeiten auf Bowie aufmerksam geworden. „Ich mochte ‚I Can’t Help Thinking About Me‘, weil es abenteuerliche Akkorde verwendete und eine gute Melodie hatte“, sagt Banks. „Ich verfolgte sogar seine Phase bei Decca, als er eine Art Anthony Newley war. Ich liebte alles von ihm bis Hunky Dory. Alles, was danach kam, gefiel mir auch, aber nicht im selben Ausmaß. Er ging in eine andere Richtung und widmete sich dem Minimalismus.“
„Ich war ein großer Bowie-Fan“, erzählte Gabriel Buckley. „Es ist komisch, dass es Tony war, der auf Bowie stieß, als eine seiner frühen Singles herauskam. Ich war dann ab Bowies zweiter Inkarnation dabei. Bowies Fähigkeit, sich in Atmosphäre, Charaktere und Arrangements zu vertiefen, und was er mit dem Gesang machte, gefielen mir sehr. Ich glaube, wir bewegten uns auf ähnlichen Wegen. Dann lagen wir eine Nasenlänge vor Bowie und es kam Ziggy Stardust, gestellte Blowjobs und der ganze Rest – und schon zog er an uns vorbei. Wir waren immer noch stark und wurden geliebt, aber er war definitiv ein Phänomen.“
„Peters Entscheidung, sich den Scheitel zu rasieren, Masken zu tragen und eine theatralischere, Bowie-mäßige Richtung zu verfolgen, machte einen riesigen Unterschied aus“, sagt Ant Phillips. „Es wurde zu einem vitalen Teil seines Acts.“
„Peter hat immer gerne mit solchen Dingen experimentiert“, sagt David Stopps. „Ich denke, Bowie beeinflusste ihn dabei zu einem gewissen Grad. Wir hatten sehr viel mit Bowie zu tun, immerhin hat er bei uns Ziggy Stardust vorgestellt. Ich denke, Peter war beeinflusst von den Figuren, mit denen Bowie herumspielte, etwa Ziggy oder Aladdin Sane. Er kopierte ihn sicherlich nicht, aber er ließ sich inspirieren. Er fand, dass das eine interessante Sache sei – verschiedene Masken und Looks gehörten zu dieser Art von Identitätsentwicklung dazu. Ich musste immer lächeln und mich daran erinnern, dass das alles zum Entertainment gehörte. Während Bowie aber zu der Person, die er darstellte, wurde, verstand es Peter einfach als Maske.“ Bowie trat erst im Juli 1972 mit „Starman“ bei Top Of The Pops auf, also nachdem Gabriel geschminkt beim Great Wester Festival auf der Bühne gestanden war.
Die Broschüre zur Genesis-Tour Anfang 1973 beschrieb Peter Gabriels Bühnenauftritt als „erschreckender als Alice Cooper und abgedrehter als David Bowie, aber noch einmal: es sind natürliche und keine gestellten Darstellungen, die die Charaktere, die er besingt, auszeichnen und die Herzen des Publikums bezaubern.“ Die Charaktere, in die Gabriel schlüpfte, gehörten zum jeweiligen Song. Bowie wurde hingegen zu einer zentralen Figur.
Gabriel verehrte Bowie, aber seine öffentlichen Liebeserklärungen wurden von Bowie nie erwidert. Gabriel bemühte sich in Folge, stets auf der Hut zu sein, wenn er mit Interviewern über ihn sprach. So auch 1974 im US-Magazin Circus:
„Circus: Lässt du dich von Bowies Kostümen beeinflussen?
Gabriel: Ich denke, wir gingen schon vor ihm in diese Richtung. Sicher bin ich mir aber nicht.
Circus: Denkst du, dass du ihn beeinflusst hast?
Gabriel: Nein, das würde ich auch nicht behaupten.
Circus: Was, denkst du, sind die grundlegenden Unterschiede zwischen Bowies und deinen Kostümen?
Gabriel: Soweit ich das überblicke, will er mit ihnen einen gewünschten Effekt erzielen. Sie sind nicht so wichtig für die Songs an sich. Wohingegen wir versuchen, ein paar der Charaktere aus den Texten zum Leben zu erwecken.“
***
Gabriel fühlte sich rasch wohl in der Haut seiner neuen Bühnenpersönlichkeit. Als er im Melody Maker darauf angesprochen wurde, antwortete er: „Es ist mir egal, wie sie reagieren, solange sie überhaupt reagieren. Ich würde mir nur dann Sorgen machen, wenn sie gar keine Reaktion zeigen würden. Ich hoffe, dass es die Leute entweder wunderlich oder amüsant finden.“ Wunderlich und amüsant war es tatsächlich. Gabriel schlüpfte nun auf der Bühne in eine Reihe von Charakteren. Gegenüber einem Journalisten in Los Angeles merkte er an: „Es ist leichter, über die Masken als über Akkord-Abfolgen zu schreiben, und die Leute wollen so etwas auch gar nicht lesen, weil sie es nicht verstehen oder es sich einfach nicht gut liest.“
„Das Problem war“, lacht Mike Rutherford, „dass man eben nicht viel über Musik schreiben kann. ‚Wummernder Bass‘, ‚donnernde Drums‘ – aber was kommt dann? Alles Visuelle war viel leichter zu beschreiben. Peters Kostümierungen und später die Leinwände, die Dias und Lightshow garantierten, dass es etwas gab, worüber man schreiben konnte. Das störte mich nie sonderlich.“ Gail Colson sah gerne dabei zu: „Nichts schockierte mich wirklich und Peter hatte eine sehr lebhafte und ergiebige Fantasie.“ Steve Hackett wartete stets ungeduldig, was für spannende neue Innovationen Gabriel als nächstes aus dem Hut ziehen würde: „Ich fand das alles mehr lustig als überraschend! Ich stand hinter ihm. Mir gefiel diese Art der Präsentation.“
Gabriel war bereit und offen dafür, die Band zu promoten. Er und Jill lebten in der Campden Hill Road in Notting Hill. „Peter war ein attraktiver Junge und sehr schlau“, erinnert sich Conroy. „Er kümmerte sich um die Öffentlichkeitsarbeit. Ein absoluter Frontmann. Peter war auch viel mehr in London als die anderen, die irgendwo außerhalb wohnten.“
Es waren definitiv die Masken und die visuellen Elemente, die Genesis auf die nächste Ebene beförderten. „Es war alles sehr fotogen, was dazu führte, dass sie wahrscheinlich – im Verhältnis zu ihrer Popularität – mehr Berichterstattung bekamen, als ihnen zugestanden wäre“, erklärt Chris Charlesworth, der mittlerweile der Nachrichtenredakteur bei Melody Maker war und teilweise mitverantwortlich dafür war, wer auf das Cover kam. „Es war toll, ihn etwa als alten Mann oder als Fuchs oder als Sonnenblume verkleidet auf dem Titelblatt zu haben – sehr auffällig, sehr dramatisch. Ich bezweifle nicht, dass unsere wohlmeinende Berichterstattung ihnen enorm weiterhalf.“
Chris Welch, einer der frühesten Bewunderer der Band, schrieb in seinem Buch The Secret Life Of Peter Gabriel über ihr erstes Treffen: „Ich fand ihn nicht nur charmant, sondern auch sehr verletzlich, sonderbar mysteriös und manchmal wie von einer unheimlichen Präsenz besessen. Ich spürte, dass er eine geistige Macht über Menschen hatte, wenn er sie mit seinem durchdringenden Blick fixierte und dabei lächelte, als würde er auf ein intuitives, dunkles Wissen zurückgreifen können. Dann löste er den Bann mit einem knarrigen Lachen und die Stimmung, die er beliebig heraufbeschwören konnte, löste sich und verflüchtigte sich rasch in eine andere Sphäre.“
Gabriels Präsenz und Persönlichkeit haben zweifellos eine verführerische Wirkung, wie auch Phil Collins meinte: „Pete gab sich immer sehr vage. Auf einen Beobachter kann das so wirken, als wäre er total high, obwohl er in Wahrheit immer komplett nüchtern war.“ Paul Conroy fügt noch hinzu: „Ich weiß noch, als er dieses Haus in der Campden Hill Road hatte und sich nie auf irgendetwas derartiges einließ, obwohl er sich ein paar ziemlich interessante Charaktere ausdachte.“ Charlesworth fasst die Gefühle vieler in Bezug auf Gabriel während dieser Ära zusammen: „Peter war ein sehr ernster Kerl, der ernsthafteste aus seiner Truppe. Er sah aus, als würde er sich ständig Gedanken machen – als wäre er niemals frei von Sorgen.“ Gabriel handelte mit Bedacht und großer Ernsthaftigkeit. So sorgte er sich über seine relative Armut und die Belastung, die es mit sich brachte, ein jungverheirateter Mann in einer tourenden Rockband zu sein. Auch darüber, rechtzeitig Songtexte beisteuern zu können, machte er sich seine Gedanken. Und da gab es nun so einen Song, den er versuchte zu vollenden – er beruhte auf einer wahren Begebenheit und erwies sich als besonders schwierig umzusetzen.
Bildstrecke 1
Als Harold Demure aus „The Battle Of Epping Forest“, 1973. Mick Rock
Promofoto für Decca Records, 1968 – Anthony Phillips, Mike Rutherford, Tony Banks, Peter Gabriel, John Silver.