heimlich Gras in ihre Pfeife und dann Tabak obendrauf“, erzählte er. „Sie schmauchte vor sich hin und wusste von nichts, und dann lachte sie einfach in einem fort … Sie war zierlich und zahnlos, der Rausch fast zu heftig für sie. Dabei ist mir „Good Golly, Miss Molly“ eingefallen, denn das sagte sie, als sie so über allen Wolken schwebte. Alles, was ich sang, beruhte auf wahren Begebenheiten.“
* * *
Mit kanpp unter 20 hatte sich Richard zu einem gut aussehenden jungen Mann von knapp zwei Metern Größe gemausert, gertenschlank und dennoch nicht schlaksig, mit Menjoubärtchen und hohen Wangenknochen, die sein Grinsen umso breiter wirken ließen. Seine Frisur entsprach der Mode anderer schwarzer Sänger: eine mit Pomade hochtoupierte Tolle, mit der er schon Jahre zuvor herumgelaufen war, ehe er sie Bud zuliebe abgeschnitten hatte. Seine Aufschneiderei war mehr als putzig; sie drang ins Publikum und gebot Aufmerksamkeit. Er schlug den Saal in seinen Bann, und selbst der Vater musste einsehen, dass sein Sohn einen eigenen Weg einschlagen, eigene Musik singen würde. Als Richard die Hudson High abbrach, wussten seine Eltern, dass sie ihn nicht dazu bringen konnten, es sich noch einmal anders zu überlegen. Trotz allem aber kam der Vater dem Sohn wieder näher, sobald dieser nicht mehr unter seiner Fuchtel stand. Für die zwei begann ein schwieriger Versöhnungsprozess, wobei Bud ein für ihn großes Zugeständnis machte, indem er einem Auftritt von Richard beiwohnte. In seinen Augen gewannen sie beide dadurch, dass Richard für sich selbst aufkam, seinen Mann stand.
„Er hat unsere Telefonnummer“, sagte er zu Leva Mae. „Falls etwas passiert, kann er jederzeit anrufen, dann kommen wir ihn holen, und zwar auf der Stelle.“ Seine letzten Worte zum Thema waren klipp und klar: „Lass ihn gehen.“
Im Grunde aber war Richard bereits gegangen. Für immer.
„Ich versuchte es mit Gesangsunterricht, doch das klappte nicht, weil die Lehrer nicht damit klarkommen, wie ich singe. Richtige Sänger – Leute, die was von Musik verstehen, die nicht Rock ’n’ Roll ist – haben mir gesagt, das sei was Besonderes. Ich danke Gott dafür. Sobald ich ein Lied höre, würde ich es am liebsten singen! Bei Musik muss ich einfach von den Haarspitzen bis zu den Zehen loswackeln!“
– Little Richard
Anfang des neuen Jahrzehnts hatte der frischgebackene Little Richard noch einen weiten Weg zum Starruhm vor sich. Auf ihn warteten einige komplizierte Zwischenstationen, an denen er kurz davor stand, die Brocken hinzuschmeißen, zurück zur Fifth Avenue 1540 zu gehen und auf ein geistliches Amt hin zu studieren. Das kärgliche Honorar, das er für Gigs mit durch die Stadt ziehenden Bands erhielt, genügte nur, wenn irgendwelche Gönner für seine Rechnungen aufkamen, wofür einige Gegenleistungen verlangten. Sowie er auf die 20 zuging, büßte er etwas von seinem Reiz ein, also musste er niedere Tätigkeiten ausüben, um sich über Wasser zu halten. Dennoch schaffte er es, weiter in der Musikwelt voranzukommen, wenn auch nur schrittweise statt sprunghaft. Nach seinem Engagement bei B. Brown hängte er sich an die Schauspieltruppe eines gewissen „Sugarfoot Sam from Alabam“. Wie historische Dokumente zeigen, trat Little Richard in diesem Rahmen in Frauenklamotten auf.
„Eines Abends fehlte eins der Girls“, erläuterte er dazu, „und sie steckten mich in ein rotes Ausgehkleid. So bescheuert hatte ich noch nie ausgesehen. Princess Lavonne war dann mein Bühnenname.“
Weil er nicht in hochhackigen Schuhen gehen konnte, blieb er auf einem Fleck stehen, während sich die überwiegend schwulen Zuschauer darüber belustigten, was Richard „die Freakshow des Jahres“ nannte. Er beschloss zwar bald, sich von Sugarfoot Sam zu trennen, doch der Einzug in den homosexuellen Untergrund verhalf ihm zu einem Ruf und es ergaben sich manche Gelegenheiten, mit ähnlichen Acts zusammenzuarbeiten, denen mehr daran lag, die Empfindungen Schwuler anzusprechen, als Gospelmusik oder Rhythm ’n’ Blues zu verbreiten. Solche Projekte waren etwa der King Brothers Circus, die Tidy Jolly Steppers oder die L. J. Heath Show. Für die meisten musste Richard abermals in Frauenkleider schlüpfen, sich schminken, rote Wimpern ankleben und übertrieben verhalten. Dies schien nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein, aber zweifellos ein Weg, der aus Macon hinausführte, über Nebenstraßen in die Zentren der großen Städte Georgias und Alabamas. Und da er nun mitten im rasenden Getümmel kleiner wie großer schwarzer Talente steckte, knüpfte er Kontakte, die ihn zu seinem ersten richtigen Durchbruch führten.
Er beteiligte sich an einer weiteren Reisetruppe, den Broadway Follies. Sie gab Varietévorstellungen mit homosexuellen Sängern, Tänzern und Kabarettisten, geleitet von einem Kerl, der sich Snake nannte, und mit dem Transvestiten Madame Kilroy als Hauptattraktion. Als Richard einstieg, gehörte auch der R&B-Sänger Chuck Willis aus Atlanta dazu, der sechs Jahre älter war als er und immer noch Lehrgeld zahlte – womit er pikanterweise auf Umwegen durchkam, nachdem Richard das Musikgeschehen verändert hatte: Willis aufgepeppte Coverversion von Ma Raineys Blues-Ballade „C.C. Rider“ wurde ein durchschlagender Crossover-Hit. Die beiden künftigen Stars befanden sich im Aufwind, auch wenn sie noch darauf warteten, zum Zug zu kommen. Richard ging eine folgenreiche Verpflichtung ein, als das Baileyʼs 81 Theater in Atlanta die Broadway Follies buchte. In diesem Topclub gaben sich regelmäßig Blues-Schwergewichte mit Plattenverträgen und landesweiten Konzerten die Ehre, etwa B. B. King oder Jimmy Witherspoon. Ihre Darbietungen öffneten Richard die Augen vor der Wirklichkeit, da er sich anhand der Reaktionen seines Publikums für einen Star hielt, bis sie auftraten und buchstäblich die Wände wackelten.
Nichtsdestoweniger tat sich im Umgang mit ihnen eine weitere Chance auf, denn er lernte den Jump-Blues-Heuler Billy Wright kennen, der dem jungen Penniman verblüffend ähnlich sah. Obgleich der Mann behauptete, wie Richard 1932 geboren worden zu sein, war er unschwer erkennbar älter, undurchsichtige Vergangenheit hin oder her. Fest stand nur, dass er ein Spektakel bot und in Blues-Clubs als Frauenimitator Eindruck gemacht hatte. Als selbst ernannter „Prince of the Blues“ verteilte er seine Schminke dick im Gesicht und trug verwegene Anzüge, toupierte Haare sowie einen schmalen Schnurrbart zur Schau. Gesang bedeutete bei ihm eher Geschrei. Als er Ende der 1940er-Jahre der Hausact des Royal Peacock Club in Atlanta geworden war, nahm er seine ersten Songs für das Label Savoy ebendort auf. Sein Einstand „Blues for My Baby“ erreichte den dritten Platz in den R&B-Charts. Für Richard war Wright eine Offenbarung, so wie er das Flair des Showgeschäfts mit Gospel- und Bluesgesang oder -gekreisch verband.
„Er bereicherte wirklich mein ganzes Leben“, schwärmte er. „Er war der fantastischste Entertainer, den ich je gesehen hatte.“
Wright betreute auch einen Kreis anderer Acts, bei denen er die Fäden zog, und Richard war nicht nur als Sänger gut, sondern auch ein gewiefter gesellschaftlicher Aufsteiger. Wohl wissend, wie er Billy schmeicheln konnte, verwendete er die gleiche Schminke Pancake 32 und zollte ihm Tribut, indem er seine Stücke coverte. Das entging Wright nicht.
1951 hatte sich eine kleine Anhängerschaft um Wright geschart, der sich auch Richard anschloss, wovon er tatsächlich profitierte. Billy empfahl ihn Zenas Sears, einem Moderator des Blues-Radiosenders WGST in Atlanta, wo er selbst und andere Sänger aus der Gegend aufnahmen, die mit großen Labels arbeiteten. Der DJ zog überraschenderweise schnell einen Plattenvertrag bei RCA Victor für Richard an Land. Die Verkaufsstrategie des Labels, das ein echter Branchenriese war, beruhte auf der Fertigung von Victrola-Grammofonen, mit denen Hörer wiederum viele von RCA gepresste Titel hörten, insbesondere die für Einzelsongs erfundene 45rpm-Platten, die das veraltete 78rpm-Format abgelöst hatten (Amerikas größtes Label Columbia entwickelte bald darauf das zunächst für sinfonische Werke vorgesehene 33⅓-Vinyl).
Nach der Aufnahme bewarb Sears die Tonträger, die WGST unter der Aufsicht der Plattenfirma der jeweiligen Künstler veröffentlichte, in seiner Sendung, wofür er sich bestimmt unter der Hand vergüten ließ, wie es damals im Business üblich war – die einzige Möglichkeit, „Race Music“ im Radio unterzubringen. Selbst ein Großkonzern wie RCA tat sich im Gegensatz zu Decca, Okeh, Atlantic oder Savoy schwer mit der Durchdringung des R&B-Marktes, bis er 1953 ein Sublabel dafür gründete. Die Führungsriege des Unternehmens im New Yorker Rockefeller Center gab wenig auf Blues oder Jazz, weshalb sie Hochbegabte wie Louis Armstrong und Nat „King“ Cole anderen