im Auditorium gehörte. Trotzdem hatte er damit abgewartet, ihn als Schützling zu gewinnen, bis Richard volljährig war, aber zeigte, dass er noch wie ein Teenager singen konnte. Hinzu kam selbstverständlich, dass Bud Penniman de facto sein Manager gewesen war. Die Umstände änderten sich mit dem Tod des Vaters, aber Brantley machte sich keine großen Hoffnungen, auch weil Richards Reinfall mit RCA eine Hürde darstellte, die es zu überwinden galt. Die erste Amtshandlung des neuen Managers bestand darin, den Sänger auf Tour zu schicken, um die Musikszene aufzurühren, damit sein Name die Runde machte.
„Such dir eine Band“, riet er ihm, „und du bekommst genug Arbeit.“
* * *
Wie sich herausstellte, sollte die Band ihn finden. Als Brantley einen Gig für ihn im Nachtclub New Era in Nashville buchte, suchte ein Quintett unter Trompeter Raymond Taylor, dessen Ehefrau Mildred Schlagzeug spielte, einen Frontmann. Sie hörten den Jungen aus Macon und boten ihm den Posten prompt an.
Ihr Name lautete The Tempo Toppers, und tags darauf gaben sie ihren nächsten Auftritt im Dew Drop Inn in New Orleans. Da sie zuvor nicht mehr proben oder Richard wenigstens in einen Anzug stecken konnten, der zu ihren Outfits passte, übernahm er den Gesang für Gospel- und Blues-Nummern, die dargeboten wurden, während eines der Bandmitglieder Kraftakte vollführte, etwa das Hochheben eines Stuhls, auf dem jemand saß. Trotzdem war Richard eben Richard: ungezügelt mit plötzlichen Wechseln ins Falsett, ohne je falsche Töne zu erwischen, während seine Mätzchen am Klavier und seine heißspornige Persönlichkeit das Publikum in Wallung brachten.
Zu dem Zeitpunkt drangen die jungen Wurzeln des Rock ’n’ Roll bereits in Blues-Erde, was sich in halsbrecherischen Freiformarrangements aus wiederkehrenden Hooks zu von Piano und Bläsern hervorgehobenen Stampf-Rhythmen äußerte, die mit rumpelnden Basstönen und polternden Drums einhergingen. Die Tempo Toppers, zu denen außerdem Billy Brooks, Bary Lee Gilmore und Jimmy Swann gehörten, passten recht gut in dieses Schema, das Taylor auf die Eigenkompositionen der Gruppe anwandte. Wer das Glück hatte, Little Richards rohe, offenbarende Kraft in dieser Phase zu sehen und zu fühlen, konnte auch behaupten, die Zukunft amerikanischer Musik zu erleben; im Süden galt sein Name auf jener Tour eine ganze Menge. Der Saxofonist Hamp Swainn, der mit Richard die High School besucht und danach die Bigband The Hamptones gegründet hatte – 1954 wurde er zudem beim Radiosender WBML Macons erster schwarzer Diskjockey –, spielte oft in denselben Clubs des Chitlinʼ Circuit. „Sobald es hieß, Little Richard würde kommen, durfte man mit Zulauf rechnen“, gab er an. „Überall in Georgia, Alabama und Florida.“ Bald übernahm Richard den Gesang in Hamps Band, und die beiden sollten neben Clint Brantley den beinahe parallelen Aufstieg von James Brown beflügeln, der knapp ein Jahrzehnt früher emporkam als Otis Redding.
Der gewaltige Zuspruch, den Richard in diesen Lokalen erhielt, sicherte ihm stattliche Einkünfte, die er Brantley größtenteils vorenthielt, um am Ende nicht nur mit ein paar Kröten dazustehen. Beim Auftritt der Toppers im Club Matinee in Houston ergab sich dann auch die Chance, zu einer anderen Plattenfirma zu wechseln. Don Robey, der das florierende R&B-Label Duke-Peacock besaß, besuchte das Konzert – und fand die stürmisch virtuose Performance des Sängers umwerfend, der den Zuschauern zum Schluss mit auf den Weg gab: „Ich bin Little Richard, der König des Blues … und seine Königin ebenfalls!“ Robey hatte für sein Unternehmen ein Programm aus jungen, prototypischen Rock-’n’-Roll-Acts zusammengestellt, darunter Clarence „Gatemouth“ Brown, Memphis Slim, Floyd Dixon, der glücklose Johnny Ace und Big Mama Thornton, die im Lauf jenes Jahres noch mit dem knorrigen „Hound Dog“ aufwartete, produziert von dem Blues-Bandleader Johnny Otis aus Los Angeles.
Robey, ein Tausendsassa, war schon Glücksspieler, Leiter eines Taxiservice, Spirituosenhändler und Besitzer des piekfeinen Bronze Peacock Club gewesen, den er schließlich zu einem Aufnahmestudio umgebaut hatte. Er stand nicht nur dem Betrieb vor, sondern managte auch die meisten Künstlerinnen und Künstler in seinem Kader, schrieb und verlegte ihre Songs – genauer gesagt: Er behauptete, sie geschrieben zu haben, oder er dachte sich falsche Urhebernamen für die Kompositionsangaben aus, wodurch die Tantiemen in seine Tasche wanderten. Er machte wie Clint Brantley ein Geschäft aus der Unterstützung schwarzer Musiktalente, kam Richard allerdings als Mensch in peinlicher Weise allzu vertraut vor. Robey hätte fast Brantleys Zwilling sein können, ein Afroamerikaner mit hellerer Haut, der sich gegenüber „niederen“ Schwarzen mit dunklerem Teint äußerst abschätzig verhielt und ihnen unverblümt nach dem Motto „Entweder so oder gar nicht“ in die Aufnahmen pfuschte. Ohne sich die Mühe zu machen, die Band oder ihren Frontmann hinzuzuziehen, schlossen Brantley und Robey einen Vertrag, wobei der Manager in die üblichen Künstlertantiemen von einem schlappen halben Cent einwilligte. Zur Zeit der Unterzeichnung hatten sich die Taylors von den Toppers getrennt, um eine neue Formation zu gründen, die Deuces of Rhythm; Richard sang zeitweise auch dort. Weil die Toppers bei ihrer ersten Peacock-Session drei von Taylors Songs einspielen sollten (für einen erhielt Robey die Credits) und dessen Frau ebenfalls mitwirkte, einigte man sich auf einen Kompromiss: Die erste Platte würde unter dem Bandnamen Deuces of Rhythm and Tempo Toppers, Lead: „Little Richard“ erscheinen.
Die Aufnahmen fanden am 25. Februar 1953 in Robeys Studio statt. Die ausgewählten Lieder hatten tadellose Hooks, die aktuellen Trends entsprachen. „Ainʼt That Good News“ langte tief ins Weihwasserbecken, da der Titel einem Spiritual entlehnt war (was später auch für den gleichnamigen Klassiker von Sam Cooke galt), und dazu gab es erst trägen, dann dank eines Tempowechsels flotten Blues. Mit „Fool at the Wheel“ tat man der Besessenheit des frühen Rock ’n’ Roll von schnellen Autos Genüge, während das Stück mit dröhnendem Bass und fieberhaften „Ba doo baah“-Kehrversen Fahrt aufnahm. „Rice, Red Beans and Turnip Greens“ machte einen Schlenker zurück zu traditionellem Satzgesang, aufgewertet durch einen geschmeidigen Orgelpart, und „Always“, die einzige Komposition von Robey, war auch die schwächste, ein noch lauerer Aufguss jenes Chorprinzips.
Die Tracks haben jedoch alle Charme – man höre Richards hohe Töne, die hervorstechen –, wie es schon bei jenen für RCA der Fall war, bloß dass ihnen das aufwieglerische Moment der Bühnenperformance des Frontmanns abging. Diese fehlende Magie enttäuschte niemanden so sehr wie ihn selbst, doch er riss sich zusammen, als die Musik veröffentlicht wurde – erst „Ainʼt That Good News“ mit „Foot at the Wheel“ als B-Seite, dann mit Robeys Erlaubnis unter dem Banner Tempo Toppers, Featuring: „Little Richard“, die Single „Always“ / „Rice, Red Beans and Turnip Greens“. Da die Platten nicht beworben oder im Radio gespielt wurden, verkaufte man nur wenige Exemplare. Dies erhöhte naturgemäß die Spannungen zwischen Künstler und Label. Richard bemerkte einmal über Robey, der in der Stadt „schwarzer Cäsar“ genannt wurde und sich mit schwerbewaffneten Schlägertypen umgab: „Er war fast wie ein Diktator.“
Und weiter: „Ein Schwarzer, der wie ein Weißer aussah, und er war sehr streng. Er trug einen fetten Diamantring an einer Hand, kaute ununterbrochen auf einer dicken Zigarre und fluchte über mich … Er hat dich total bevormundet, wie um jeden Atemzug zu kontrollieren, den du machst. Ich verachtete ihn dafür, dass er so gemein war.“
Richard hielt damit nicht hinterm Berg, sondern gab anderen Acts Bescheid, Robey sei „grob“ und „fies“, „hat mich nicht bezahlt“: ein „Gauner“, der „all die Leute nur ausgenutzt hat – und ausgezehrt.“ Demgemäß war Robey „sehr böse auf mich.“ Die beiden stritten sich oft, bis dem Plattenboss der Gaul durchging. „Er stürzte sich auf mich, sodass ich umfiel, und trat mir in den Bauch. Ich erlitt einen Zwerchfellbruch, der mir jahrelang zu schaffen machte, und musste operiert werden. Er war aber bekannt dafür, Leute zu vermöbeln. An allen hat er sich vergriffen, nur Big Mama Thornton nicht. Sie machte ihm Angst.“
Dieser Eklat bedeutete praktisch das Ende ihrer Geschäftsbeziehung und kam in einem passenden Moment: Robey hatte eingesehen, dass er sich nicht gegen Richard durchsetzen konnte, und es geschafft, den allgegenwärtigen Johnny Otis zu weiteren Aufnahmen der Tempo Toppers zu bewegen, hinter denen er seine eigene Band leiten sollte. Der Sohn griechischer Einwanderer und Leader einer populären Blues-Jazz-Combo wurde als hellhöriger Talentsucher geschätzt. Er hatte Little Esther Phillips und Etta James entdeckt, aber auch R&B-Hits wie „Double Crossing Blues“ oder „Cupidʼs Boogie“ mit seiner Band fertiggebracht.