Mark Ribowsky

Das großartige Leben des Little Richard


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Rockszene im Süden teilten integrierte Schwarze und Hillbillys in Memphis unter sich auf, wobei Sam Phillips eine entscheidende Rolle spielte. Im selben Jahr machte Elvis seine ersten beiden Aufnahmen, Coverversionen von Arthur Cudrups „Thatʼs Alright“ und Roy Browns „Good Rocking Tonight“. In New Orleans verquirlte 1949 Fats Dominos erster Hit „The Fat Man“, das an Willie Halls „Junker Blues“ angelehnt war, kreolische Klänge mit Scat-Jazz-Gesang, Stakkato-Klavierakkorden und einem gleichbleibenden Backbeat. Man könnte auch diese Platte, von der das hauptsächlich Blues veröffentlichende Label Imperial über eine Million Exemplare absetzte, als erste oder zumindest älteste Rock-’n’-Roll-Aufnahme ansehen. An der Ostküste, wo Johnny Otis das Zepter schwang, feierten im Blues verwurzelte Acts bei Federal Records Erfolge – siehe The Penguins mit ihrem umwälzenden Doo-Wop „Earth Angel“ und The Platters mit ihren samtweichen Harmonien. Das Material wurde in beiden Fällen von dem weißen jüdischen Blues-Jünger Buck Ram komponiert und produziert, der darauf bestand, dass die Plattenmogule von Mercury seine Protegés im Hauptprogramm führten und nicht auf einem Sublabel für „schwarze“ Musik – ein wichtiger Fortschritt für farbige Künstler.

      So gestaltete sich die Situation Mitte des 20. Jahrhunderts. Ein stark verhallter und von tief wummernden Frequenzen – bis zur Erfindung des E-Bass auf sperrigen Kontrabässen mit Saiten dick wie Bandnudeln erzeugt – umrahmter Beat zu E-Gitarren wurde zum Soundtrack der Zeit. Es war eine Art Klangbrei und alles andere als perfekt, aber genau das verlieh diesem neuen und doch alten Sound seine Durchschlagskraft, fiebrige Wirklichkeitsnähe, schiere Freude an Wohlgefühl und Lüsternheit – den absoluten Grundprinzipien des Rock ’n’ Roll. Die gewagtesten Songs nahmen die geringste Rücksicht auf den guten Geschmack – dazu braucht man sich nur Hank Ballards „Work with Me, Annie“ oder „Sixty Minute Man“ von Billy Ward and His Dominoes anzuhören. Ferner wussten die Rocker zu Beginn der 1950er auf sich aufmerksam zu machen; sie trugen allesamt weite, schnittige Anzüge mit Hahnentrittmuster und zweifarbige Schuhe, ein weiteres Relikt der R&B-Hochphase. Fürwahr: Der Rock hatte seinen Look, seinen Sound und sein Milieu, womit er nun eine Möglichkeit zum Aufblühen bekam. 1953 wurde „Crying in the Chapel“, eine alte Country-Schote von RCA, die den neuen Zeitgeist völlig verkannt hatte, von den Orioles rockig nachgespielt und zu einem frühen Crossover-Schlager, den Little Richard später coverte.

      Noch hatte kein reiner Rocksong die Popcharts unterwandert; zu den bestverkauften Singles des Jahres zählten „Vaya Con Dios“ und „(How Much Is) That Doggie in the Window?“. 1954 wurde die Hitliste jedoch durchlässiger: Zwischen „Little Things Mean a Lot“ und Doris Days „Secret Love“ stand in den Top 3 des Jahres „Sh-Boom (Life Could Be a Dream)“ von den Crew Cuts, eine glattgebügelte Interpretation eines Stücks der schwarzen The Chords – die ihrerseits noch auf Rang 26 stand. Den 19. Platz belegte „Earth Angel“, gefolgt von Bill Haleys „Shake, Rattle and Roll“. Es ging voran in kleinen Schritten, die zusehends größer wurden. Was weiterhin fehlte, war eine Galionsfigur, die Teenagern Rock so klar und aufrichtig in seiner reinsten Form vermitteln konnte, dass er religiöse Züge annahm.

      * * *

      Inmitten dieses Aufruhrs verrichtete Richard Penniman allerdings wieder den Abwasch am Busbahnhof, beobachtete Reisende und schrieb Songs in der Küche, älter nunmehr und ein wenig verlebter, aber nach wie vor für alle, die ihn kannten, ein Mann der Gegensätze. An und für sich hatte er als aufnehmender Musiker zweimal versagt, konnte aber jederzeit für volle Häuser innerhalb des Chitlinʼ Circuit sorgen, wo Clint Brantley ihn regelmäßig weiterhin touren ließ. Auf dessen Rat hin stellte er eine feste Begleitband zusammen, indem er die Instrumentalisten des R&B-Duos Shirley and Lee anheuerte, als es in Nashville auftrat. Es waren die Saxofonisten Wilbert „Lee Diamond“ Smith (später Mitkomponist von Aaron Nevilles „Tell It Like It Is“) und Clifford „Gene“ Burks“, E-Gitarrist Nat „Buster“ Daniel und Schlagzeuger Charles Connor.

      Dieser erzählte: „Richard wollte uns mit nach Georgia nehmen. Er hatte nämlich keine Gruppe, nur einen Gitarristen aus Memphis, Thomas Hartwell. Der war auch sein musikalischer Leiter, weil er in Hausbands von Clubs spielte. Ansonsten zog damals niemand mit ihm durch die Gegend. Er war derjenige, der auf uns zukam und meinte, Richard wollte uns anheuern. Ich konnte ihm nur sagen: „Gern, Mann, aber ich hab kein Schlagzeug. Ich muss mein altes vom Pfandhändler zurückkaufen.“ Wir hatten halt überhaupt keine Kohle und seit drei Wochen nichts Anständiges zu uns genommen. Meine Schuhe waren voller Löcher, also ich fragte ihn: „Könntest du bitte dafür sorgen, dass wir was zu essen kriegen?“ Richard tat es. Dann holte er mein Kit vom Pfandleiher und kam für mein Hotelzimmer auf, mit dessen Miete ich im Rückstand war. Das zeigt, wie gern er mit uns arbeiten wollte.“

      Connor, der seinerzeit erst 18 gewesen war, ergänzte noch: „Ich hatte Richard in dem Club Tijuana in New Orleans gesehen, wo er mit den Temple [sic] Toppers aufgetreten war, und wusste um sein großes Talent. Meine Mutter kannte ihn auch. Als ich ihr sagte, ich würde nach Macon fahren, erwiderte sie: „Little Richard, das ist doch der Junge, der wie ein Mädchen aussieht mit seinen langen Haaren, oder?“ Er hatte also schon einen Ruf weg, wollte aber noch viel mehr. Und er wusste, was wir für ihn tun sollten. Wir probten für gewöhnlich bei ihm zu Hause im vorderen Zimmer, während draußen an die 50 Leute standen und zuhörten. Nach einer Woche dort meinte Richard: ,Komm mit, wir gehen zum Bahnhof in der Fifth Street und schauen dem Zug hinterher.‘ Die Bahn fuhr also ab. Sie entfernte sich und machte dabei ‚tsch-tsch-tsch-tsch, tsch-tsch-tsch-tsch‘. Dann wurde sie schneller: ,tsch-tsch-tsch-tsch, tsch-tsch-tsch-tsch‘, und er sagte: ,Das ist der Rhythmus, den du bei uns spielen sollst.‘ Ich antwortete: ,Nun ja, du willst Achtelnoten.‘ Und die hatten eine Menge Energie, Mann.“

      Richard erweiterte die Band, als sie nach Macon kamen, um den dritten Saxofonisten Grady Gaines und Kontrabassist Olsie „Bassy“ Robinson, der eine Schlüsselrolle einnahm, indem er das pochende Fundament legte. Die Gruppe spielte punktgenau zusammen und war so flexibel, dass sie auf Richards flatterhafte Stimmungs-, Tempo- und Stilwechsel reagieren konnte. Er behielt sie während seines Runs auf die Spitze die ganze Zeit über bei, wobei der Glanz der Upsetters fast so legendär wurde wie er selbst. Die Mitglieder schminkten sich ebenfalls und trugen einheitliche Kleidung; die liebten sie, Ersteres hingegen nicht, wenngleich sie es als notwendiges Zugeständnis an die lukrative Bekanntheit des Acts auffassten. Zudem hatte es praktische Gründe.

      Laut Connor nannte Richard die Combo The Upsetters, weil „wir jede Stadt, in der wir spielten, in Aufruhr versetzen sollten. Er sagte etwa den Saxofonisten – allen außer mir, weil ich ja hinterm Schlagzeug saß: „Wenn eine Band von der Bühne springt, möchte ich, dass ihr vom Dach des Gebäudes springt!“ Er wollte alle anderen übertreffen … Wir mussten bunte Klamotten anziehen, wie Schwule. Das war nötig, um in den weißen Clubs zu spielen, damit wir nicht bedrohlich auf die weißen Girls wirkten, damit das weiße Publikum nicht bemerkte, dass diese schwarzen Jungs scharf auf sie waren.“

      Auf der künstlerischen Ebene formten die Upsetters Richards charakteristischen Sound, den man idealerweise live erlebte, wenn sich alle Strömungen von „Race Music“ zu einer reißenden Welle vereinten und die brausende Begleitung der Band seine Sprengkraft verstärkte. Die Zuschauer in den Clubs kannten seine obskuren Songs und sangen sie mit. Die prall gefüllten Säle warfen pro Show 15 Dollar ab, sodass die Gruppe manchmal auf 100 Dollar wöchentlich kam, und Richard bestand darauf, nicht mehr einzustreichen als die anderen. Bei Konzerten etablierter Sänger wie Fats Domino oder Chuck Berry, der noch auf seinen Zenit zustrebte, rief er sich herablassend ins Gedächtnis, dass diese „Blues-Typen“ in kalter Furcht davor, ihm nicht gewachsen zu sein, in seinem Schatten stehen würden.

      Trotzdem stand er nach der Tournee abermals am Busbahnhof, der die Ungewissheit bezüglich seines weiteren Werdegangs symbolisierte. Da sich keine Plattenfirma bei ihm meldete, vermutete er, Don Robey würde ihn madig machen. Er dachte sogar, es sei vielleicht der Wille Gottes, um ihn wieder auf den geistlichen Pfad zu lotsen. Gottes Wirken war für Little Richard jedoch rätselhaft. Just als er die Kanzel hätte wählen können, öffnete sich eine neue Tür, was seine musikalischen Hoffnungen aufrechterhielt. Dies geschah im Frühjahr 1955, als Lloyd Price ein Konzert im Macon City Auditorium gab. Er wurde hoch gehandelt und war neben Fats Domino ein früher Emporkömmling der Szenehochburg New Orleans. Seine